FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Ferdinand aka Left Boy beim Frequency Festival 2022

Franz Reiterer

Festivalradio

„Stabil, stabil“ war das Motto am Frequency-Freitag

Die beste Bassistin, eine Polonaise, längst überholte Pop-Figuren, eine elektronische Ein-Mann-Maschine und ein Menschgewordenes Reibeisen: All das gab es am Freitag beim FM4 Frequency zu erleben - mit den Nova Twins, Von Wegen Lisbeth, Ferdinand, Elderbrook und AnnenMayKantereit.

von Michaela Pichler

Es liegt was in der Luft, am Frequency-Freitag – es sind vielleicht einfach nur die Überreste des ersten Tages oder aber auch der Regen, der in tiefen Wolken schon prophetisch über dem Festivalgelände hängt. Angeblich hätten die glorreichen Glass Animals das schlechte Wetter am Donnerstag aus der britischen Heimat mit nach St. Pölten gebracht. Am Freitagnachmittag bricht aber dann ein anderer Brite den vermeintlichen Wetterfluch.

Wenn Alexander Kotz alias Elderbrook die Space Stage betritt, verflüchtigen sich die letzten bösen Wolken. Und während der bärtige Brite mit den Zeilen „I’m still numb“ sein Live-Set eröffnet, strömen die ersten Trauben an Menschen dicht vor die Bühne. Unter diesen Festivalbesucher*innen fühlen sich die ein oder anderen vielleicht tatsächlich noch ein bisschen dumpf, doch gegen die müden und vom Zelt gepeinigten Knochen hilft die gute Musik. Elderbrook hat sich ein Drum-Machine-Türmchen gebaut, in dem er an seinen Keys klimpert, an seinen Knöpfen und Reglern schraubt, bis sein Indie-House über die tanzende Meute schwappt. Es tut gut, endlich wieder in Österreich zu sein, das erzählt er zwischen zwei Songs seinem Publikum. Dabei ist sein letzter Festivalauftritt als Elderbrook in diesem Land noch gar nicht so lange her, vor zwei Wochen hat er Vorarlberg beim Szene Open Air einen Besuch abgestattet.

Von der elektronischen Ein-Mann-Maschine geht es weiter zum klassischen Bandkonstrukt, Richtung Green Stage. Vorbei an einer endlosen Schlange, die sich für ein Autogramm von US-Rapper G-Eazy anstellt. Auf der Green Stage wartet auch schon das Singer-Songwriter-Projekt Cavetown, rund um den 23-jähringen Engländer Robin Daniel Skinner. Der ist als Musiker im World Wide Web mit seinem Youtube-Channel großgeworden. Live sind die Gitarren einen Tick mehr auf Krawall gebürstet als auf Cavetowns pop-polierter Platte, das sitzt gut am Freitag Nachmittag. Cavetown spielt seinen noch unreleasten Song „Frogs“, der sich mittlerweile schon als Tour-Liebling etabliert hat. Frösche finden alle gut, manche im jungen und queeren Publikum haben sie sogar als Bucket Hat auf. Zwischen den Pop-Rock-Nummern wird zum Wasser-Trinken animiert, die Stimmung ist allgemein auf Kindness aus.

Das ändert sich auch nicht, als später auf der Green Stage nicht die angekündigte Antilopen Gang auftreten kann. Denn die musste leider krankheitsbedingt ausfallen. Aus Wien ist aber eine gutgelaunte Alternative angereist: Bibiza reimt sich auf Ibiza, vielleicht ist er deshalb auch ein kleiner Strahlemann. „Das ist jetzt meine fünfte Show mit Live-Band - es ist also wirklich so ein richtiges Konzert, nicht einfach so eine Playback-DJ-Rap-Show“, meint Bibiza noch kurz vor dem Auftritt im FM4-interview. Die besagte Live-Band erkennt man am Dresscode, mit den schwarz-gelben Polo-Shirts eines Wiener Taxi-Unternehmens sehen die Bibizas ein bisschen nach Schuljungenband aus.

Am Mittwoch hat bereits seine Swift Circle Kollegin Eli Preiss am Prequency aufgeheizt, für den Bibiza-Auftritt am Freitagnachmittag holt er sich dann aber von einem anderen Rap-Kollegen kurzzeitig Unterstützung. Ein maskierter Slav betritt die Bühne, gemeinsam wird gegen Berlin gewettert. Bibiza macht Tempo, die Menge macht Moshpit. Es wird wieder heiß auf dem steinigen Feld, das den Namen Green Stage gar nicht mehr verdient.

So richtig Tempo machen an diesem Abend dann aber doch ganz, ganz andere. Das Londoner Duo Nova Twins lockt in die Indoor-Halle zur Red Bull Stage. In Großbritannien spielen sie mit ihrem Nu-Metal-infiziertem Schmelz-Rock Headliner Shows, in Österreich hat man die beiden Musikerinnen Amy Love und Georgia South vielleicht auch schon beim Nova Rock 2019 oder vor kurzem als Support von Yungblud im Wiener Gasometer entdeckt. Spätestens aber hier, beim Frequency 2022, wird ein kleines, aber feines Publikum geläutert von der Energie, die sich mit den Nova Twins auf der Bühne aufbaut.

Live spielen sie sich im Trio mit einem Drummer durch das mittlerweile fast zehn Jahre umfassende Band-Repertoire. Vor kurzem ist außerdem ihr zweites Album „Supernova“ erschienen, mit dem sie sogar für den Mercury Prize 2022 nominiert sind. Wenn sie aber schon heute, am Frequency, einen Award gewinnen dürften, dann würde er an die beste Bassistin des ganzen Festivals gehen: Georgia South drangsaliert ihr Instrument, bis die Donner-Hooks beißend und kratzend von den Wänden widerhallen. Nova Twins schlagen die schönste-härteste Kerbe in den bisherigen Frequency-Reigen. Es ist ein Fest.

Tritt man wieder raus aus der Konzertblase und rein ins Freiluft-Geschehen, fallen die Massen auf, die schon Richtung Green Stage strömen. Dort beginnen die Indie-Buben Von Wegen Lisbeth sonnenbebrillt und schön rausgeputzt ihren Festivalgig. Es haben sich mehr Fans vor der Bühne versammelt als noch am Tag zuvor bei den Rap-Legenden Cypress Hill. Von Wegen Lisbeth sind dann wohl doch der gemeinsame musikalische Nenner des diesjährigen Frequency-Publikums. Sie spielen nicht nur zum ersten Mal auf diesem Festival. „Es ist auch unser erstes Österreich-Konzert seit Corona!“

Im FM4-Interview sprechen Von Wegen Lisbeth über Schnabeltiere und unbekannte Pasta-Sorten. Live haben sie als Quintett nicht nur eine Miniatur von einem Xylophon dabei, sondern auch das erste Kinder-Keyboard aus längst vergangenen Tagen mitgebracht. Egal ob Songs wie „Meine Kneipe“, „Bitch“ oder „Opti“, beim Publikum sitzt jede Textzeile, als hätten die Fans am Campingplatz nichts anderes gemacht als Von-Wegen-Lisbeth-Lyrics auswendig gelernt. Als die Band dann „Wenn du tanzt“ anstimmt und behauptet, das Wohl der Welt liege nur an irgendjemandes Beinen, dann bricht der wohl deutscheste Kollektiv-Tanz der Menschheitsgeschichte aus. Eine Polonaise zieht sich durch die Festivalmenge; es ist Zeit, um ein neues Getränk zu holen.

Als es dann dämmert und dunkel wird, steht wieder ein anderer Typ auf der Green Stage: Es ist Ferdinand Sarnitz alias Left Boy alias Ferdinand. Aus New York, Los Angeles oder Griechenland hat er seine Mash-Up-Show mitgebracht, inklusive aktuellen Songs, die das Publikum noch nicht ganz mitsingen kann. Alle warten auf die Hits, die bei Ferdinands Set aber erst spät kommen dürfen. Stattdessen springt er zu den Klängen von „Ohne Dir“ auf der Bühne hin und her, gibt den Hotel-Resort-Animateur, tanzt mit seiner Band Sirtaki. Erst bei den Zugaben, zu denen sich Ferdinand dann doch überreden lässt, ist die Meute ganz bei ihm - „Bitte brich mein Herz nicht Baby“, „Security Check“, „Get It Right“ und dann das obligatorische „Jack Sparrow“.

Noch ein letzter Schauplatzwechsel, bevor Eskalation oder Schlaf einen überwältigen. Es geht zur Space Stage. Und ja, es gibt sie: Die AnnenMayKantereit-Fans und sie sind viele. Die Masse drängt sich bis an die Gastro-Stände und weit drüber hinaus, um das Kölner Quartett und den Buben mit der rauen Stimme spielen zu sehen. Fürs Frequency haben AnnenMayKantereit in die Vollen gegriffen und gleich ein ganzes Team auf die Beine gestellt, Streicher*innen und eine Blechblasgruppe bestreiten die Show (vor allem die Trompeterin wird noch große Töne spucken). Irgendwo ist eine Regenbogenflagge zwischen den Bandköpfen drapiert, zu Songs wie „Pocahontas“ wird mitgesungen, getanzt, freundlich im Moshpit gerempelt.

„Wir sind ein bisschen warm, weil ihr so heiß seid!“ Henning May lacht Richtung Menschenmenge, da müsste die Pyro gar nicht mehr nachheizen. Es folgen ein paar Solo-Nummern am Klavier, u.a. „Tommi“, eine Hymne an die Heimatstadt Köln. Fürs letzte Live-Aufbegehren soll dann aber doch noch mal die ganze Band-Familie auf die Bühne. Als die letzten Töne von „Ich geh’ heut nicht mehr tanzen“ in der St. Pöltner Nacht verklingen, gehen die Menschen trotzdem noch weiter tanzen. Vielleicht in die Afterparty-Abriss-Hölle Fortress, zum Beispiel, ein paar Schritte weiter vorne vor der Space Stage. Oder sonst eben am Samstag, denn da ist ja auch noch ein Frequency-Tag.

Aktuell: