FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Foto von einem Andrew Tate Instagram Account

FM4

Der vielleicht unnötigste Influencer aller Zeiten

Mit einer banalen Masche hat der ehemalige Kickboxer Andrew Tate den Algorithmus von TikTok durcheinandergebracht und ist mit sexistischen und frauenfeindlichen Videos zum viralen Influencer geworden. Sein Erfolg ist allerdings auch das Ergebnis einer kaputten Aufmerksamkeitsökonomie, die einen unstillbaren Hunger nach Spektakeln und Skandalen hat.

Von Ali Cem Deniz

Auf TikTok haben Clips von Andrew Tate, in denen er am liebsten über sein Leben als superreicher Alpha Male schwadroniert, mehr als 13 Milliarden Aufrufe erhalten. Dass er trotzdem vielen Menschen kein Begriff ist, zeigt zunächst Mal, dass es im Netz nicht nur Blasen, sondern ganze Parallelwelten gibt, die völlig getrennt voneinander existieren. Wenn man den Namen auf diversen Plattformen eingibt, wird man von einer Welle an Videos und Clips erschlagen, die von vielen kleinen Accounts geteilt werden. Inzwischen wurde Tate von Meta (also Facebook und Instagram), Google und TikTok verbannt. Trotzdem finden sich auf YouTube noch zahlreiche Videos.

Alpha Male aus der Manosphere

Nach einer sportlich erfolgreichen, aber finanziell nicht besonders lukrativen Kickboxer-Karriere hat Andrew Tate in den letzten Jahren versucht, sich als Influencer in der „Manosphere“ zu etablieren.

Die „Manosphere“ ist eine dieser vielen Parallelwelten auf Social Media, in denen sich Incels, Männerrechtler, Pick-Up Artists und selbst ernannte Alpha Males tummeln. Der gemeinsame Nenner ist eine Anschauung, die Männer gleichzeitig zur Krone der Schöpfung und zum größten Opfer einer Gesellschaft erklärt, die zunehmend von Frauen, LGBTIQ und „woken“ Liberalen dominiert wird.

Wie Männer in diese Knechtschaft geraten, wenn sie von Natur aus die stärkeren und klügeren Wesen sind? Solche Widersprüche löst Tate nicht auf. Er macht sich nicht mal die Mühe, denn genau das ist sein Content. Tate verbreitet diese paradoxe Ideologie. Als superreicher, muskelbepackter Alpha Male will er an seinem eigenen Beispiel demonstrieren, wie überlegen Männer sind und kritisiert gleichzeitig, dass Frauen, die laut ihm zu emotional und kindhaft sind, die Männer dieser Welt einfach um den Finger wickeln.

Mit der Pyramide gegen den Algorithmus

In der „Manosphere“ steht er damit nicht allein. Seinen plötzlichen, viralen Erfolg verdankt Tate vor allem einer Masche, mit der er alle Social Media-Plattformen mit seinen Videos, Clips und Podcasts geflutet hat. Tate bietet unter dem Titel „Hustler University“ einen Online-Kurs an, in dem man für 49 Dollar monatlich alles lernen kann, um seinen Erfolg zu kopieren: Investment in Kryptowährungen, Aktienhandel, Buchhaltung. Die Kurse werden nicht von ihm, sondern von ausgesuchten „War Room Members“ abgehalten, die auf Discord absolute Basics der Finanzwelt beibringen. Abschließen kann man dann mit einem PhD – „pimping hoes degree“.

Die „Hustler University“ bringt nicht nur Tate Geld ein, sondern auch seinen Studenten. Wer neue Mitglieder rekrutiert und Clips von Andrew Tate postet und zur „Hustler University“ verlinkt, bekommt Geld. So ist in kürzester Zeit ein Pyramidenmodell entstanden und Tates Videos wurden massenweise geteilt. Wie viele davon von echten Menschen oder von Bots gepostet wurden, lässt sich nicht sagen.

Andrew Tate hat es jedenfalls irgendwann geschafft, aus der Parallelwelt der „Manosphere“ auszubrechen und in der breiteren Öffentlichkeit zum Thema zu werden. Und für Tate ist Aufmerksamkeit nun mal das nicht das schlechteste, auch wenn er derzeit ernste Probleme mit der Polizei hat. In Rumänien, wo er mit seinem Bruder ein Webcam-Business aufgebaut hat, ermittelt die Polizei gegen ihn wegen Vorwürfe von Menschenhandel und Vergewaltigung. Der in den USA geborene und in England aufgewachsene Tate lebt übrigens in Rumänien, weil er dort eigenen Angabe zufolge alles machen kann und die Behörden ihn in Ruhe lassen.

Leider unterhaltsam

Wenn man wertvolle Zeit entbehren will und sich ein paar Clips von Andrew Tate anschaut, wird man zunächst eins feststellen: Er redet unglaublich viel, schnell und eloquent. Häufig sitzt er ohne Hemd in dunklen Zimmern, raucht eine Zigarre und redet über so ziemlich jedes erdenkliche Thema, von Geld über Frauen bis hin zu kohlensäurehaltigem Mineralwasser. Der superreiche Tate meint, man sollte kein stilles Leitungswasser trinken, weil das im Prinzip gratis ist. Kohlensäurehaltiges Mineralwasser hingegen kostet etwas und sollte deswegen die bevorzugte Art der Hydration sein. Und wer einen Herzinfarkt hat, sollte sich aufrappeln, einen Drink nehmen und eine Zigarette rauchen. Eine Behandlung im Krankenhaus sei nur was für Pussies.

Bei diesen Videos muss man sagen: leider unterhaltsam. Tate verdankt seinen Ruhm nicht nur eigenen Shows, sondern vor allem Gastauftritten in anderen Podcasts, die versuchen aus der Masse hervorzustechen. Doch zwischen dem schwachsinnigen Geschwätz, verbreite Tate auch eine frauenfeindliche Ideologie, die ziemlich simpel ist: Frauen sind dazu da, einen Mann zu finden, ihm zu gehorchen und Kinder groß zu ziehen. Dass er gleichzeitig Tipps gibt, wie man mit hunderten Frauen schlafen kann, ist dann auch wieder so ein Widerspruch, der nicht aufgelöst wird.

Ein perfides Spiel

Ist das eine Performance oder ist das ernst gemeint? Das ist die Frage, die man sich immer wieder stellt. Und so spielt Tate ein perfides Spiel, mit dem schon der Verschwörungstheoretiker Alex Jones Karriere gemacht hat. Jones wurde nicht nur von Verschwörungsgläubigen groß gemacht, die ihm jede noch so bescheuerte Theorie abgekauft haben, sondern auch von den klassischen Medien, die seine offensichtlich komplett übertriebenen Performances verbreitet haben. Wenn Jones bizarre Predigten über satanistische Aliens oder schwule Frösche gehalten hat, hat er niemals nur sein eigenes zahlungskräftiges Publikum im Visier gehabt, sondern auch eine ganze Medienlandschaft, die mit Empörung oder Verspottung selbst wiederum ihr eigenes Publikum bedienen wollte.

Das prominenteste Beispiel dafür, wie effektiv diese Art von Öffentlichkeitsarbeit sein kann, ist wohl Donald Trump, der seinen ganzen Wahlkampf auf gezielten Provokationen aufgebaut hat, die nicht nur von ihm wollgesonnenen Medien wie Fox News, sondern vor allem von NBC, CNN und anderen Sendern verbreitet wurden, die Trump stoppen wollten und gleichzeitig nicht bereit waren, sich dem Spektakel zu entziehen.

Andrew Tate ist nur die aktuelle und sicher nicht die letzte schräge Gestalt, die dieses Modell erfolgreich kopiert. Obwohl er ein Social Media Influencer ist, dürften ihn die meisten ironischerweise durch klassische Medien kennengelernt haben.

Mehr als Testosteron

Sein Aufstieg lässt sich auch nicht nur mit dem Testosteron-gesteuerten Gehirn junger Männer erklären, die in ihm ein Vorbild sehen. Wenn Tate im Werbevideo zu seiner „Hustler University“ etwa sagt, dass man mit einem Collegeabschluss nie reich werden wird, trifft er vor allem in den USA einen Nerv, wo junge Menschen Unsummen in einen Uni-Abschluss investieren, um am Ende als Uber-Fahrer zu arbeiten oder sich in Praktika selbst ausbeuten, in der Hoffnung irgendwann einen sicheren Job zu ergattern.

Auch außerhalb den USA bildet sich zwischen Corona, Lockdowns, Klima- und Wirtschaftskrisen und Krieg eine Generation heraus, die kaum Aussicht auf Stabilität hat. Tate spricht in seinen Videos immer wieder diese Krisen an, prangert eine Welt an, in der ganz wenige alles haben, während alle anderen mit wenig auskommen müssen. Er verspricht aber nicht eine andere, faire Welt, sondern eine Abkürzung, mit der man selbst in den Olymp der Superreichen und Supermächtigen kommen kann.

Die Verbannung von Andrew Tate (die ihn erst recht prominent gemacht hat) löst nicht die fundamentalen Probleme, die ein Publikum geschaffen haben, das empfänglich für solche Botschaften ist - und die in ein paar Monaten den nächsten Tate hervorbringen werden, über den wir uns dann erneut aufregen.

mehr Netzkultur:

Aktuell: