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Band und Ensemble auf der Bühne

Niko Ostermann

review

Gemischte Gefühle beim Bright Eyes Konzert

In den 00er Jahren ist der Singer Songwriter Conor Oberst der neue Bob Dylan genannt worden. 20 Jahre später hält man sich an diesem Kompliment fest. Gemischte Gefühle beim Konzert der Bright Eyes gestern in der Open Air Arena Wien, das einzig durch die Unterstützung eines Ensembles österreichischer Gast-Musiker*innen gerettet wurde.

Von Susi Ondrušová

„Es war ein Glücksfall, dass ich überhaupt Zeit hatte. Morgen wäre es nicht mehr gegangen!“ meint Martin Eberle auf dem Balkon der Open-Air-Arena. Er ist Trompeter bei 5K HD und tourt regelmässig mit den Strottern und Soap&Skin. Für die aktuelle Tour, die 2020 angekündigt wurde und nun nach zwei Jahren endlich nachgeholt werden konnte, haben sich Conor Oberst, Mike Mogis und Nate Walcott etwas Spezielles überlegt.

Streicher und Bläser

Das Bright Eyes Ensemble beim Wien Konzert bestand aus Martin Eberle an der Trompete, Emily Stewart an der Violine, Simon Schellnegger an der Viola, Clemens Sainitzer am Cello, Georg Schrattenholzer an der Posaune und Doris Nicoletti an der Querflöte.

Die Band Bright Eyes sollte auf der aktuellen Europa-Tour mit jeweils einem lokalen Ensemble aus Streichern und Bläsern erweitert werden. Martin Eberle wurde von einer Berliner Freundin aus dem Bright Eyes Umfeld mit dem Job beauftragt die Musiker*innen für den Wien-Auftritt zusammenzustellen. Er hatte also Zeit. An einem einzigen Nachmittag wurde geprobt. Auch wenn die Gast-Musiker*innen die Noten teilweise erst am gleichen Tag zu sehen bekamen meint Martin Eberle im FM4 Morning Show Interview, dass es eigentlich „total entspannt“ war. Für die Violine-Spielerin Emily Stewart waren die Alben der Bright Eyes ihr Soundtrack als sie 2002 in die österreichische Hauptstadt gezogen ist, das Konzert mit Bright Eyes jetzt war ein absolutes Highlight für sie: „Dann gehen die Lichter an und ja wir machen Musik mit Leuten, die man nicht kennt aber irgendwie ist man verbunden und dann hat man wieder eine Freude, dass man den Beruf so gewählt hat!“

Auch Conor Oberst ist dankbar und vergisst nicht zu erwähnen, wie sehr er sich freut, dass die Band ihr Konzert nachholen kann und, dass alle Menschen gekommen sind. Es ist nicht selbstverständlich für ihn, dass er für Songs, die er mit 15 geschrieben hat, als 42jähriger immer noch bejubelt wird.
Die Musik der Bright Eyes lebt von der fragilen Stimme von Conor Oberst, seinen poetisch existentiellen Texten: Das Leben ist nicht einfach, wir werden alle sterben, geliebt zu werden ist schön, das Verlassen werden weniger, aber beide Umstände werden in hymnischen Songs verewigt und haben eine ganze Generation von Indie-Folk-Fans geprägt, der Soundtrack einer Erwachsenwerdung, ein Dokument eines Lebensabschnittes und oft auch mentale Stärkung in herausfordernden Zeiten. Lieblingssongs sind emotionale Datenträger. Auf Knopfdruck kommt eine Flut an Gefühlen hoch, Erinnerungen quellen über. Man muss mitsingen, mitfilmen, die Arme in die Höhe reißen, sich umarmen, Nachrichten verschicken „ES IST SO TOLL!"

Erinnerungen

Aber welche Erinnerungen nimmt man nach dem gestrigen Bright Eyes Konzert eigentlich mit nach Hause? „All of my songs feel like rancid in your mouth“ sagt Conor Oberst während dem Konzert. Das war schon nachdem er auf der Bühne gestolpert und hingefallen ist, nachdem er versehentlich seinen Getränkebecher über sein Keyboard geschüttet hat, nachdem man kurz davor war laut zu schreien „Are you okay?“
2005 ist ein Gastspiel der Bright Eyes (damals in der großen Arena Halle) als das „Rotwein-Konzert“ bezeichnet worden, er torkelte damals über die Bühne und spielte sich sichtlich genervt durch sein Set. 2022 ist man versucht den Auftritt als das „Unbekannte Substanzen-Konzert“ zu betiteln. Conor Oberst hat in den letzten zwei Dekaden kontinuierlich Platten veröffentlicht und auch begeistert: als Solo-Musiker. Gemeinsam mit Phoebe Bridgers unter dem etwas sperrigen Bandnamen „Better Oblivion Community Center“. Nicht zu vergessen die Supergroup „Monsters of Folk“, die er gemeinsam mit M Ward und Jim James von „My Morning Jacket“ gegründet hat. Während der Corona-Pandemie ist einigermaßen überraschend nach zehn Jahren Pause das Bright Eyes Album „Down In The Weeds, Where The World Once Was“ erschienen. Der Titel dieses Albums auf dem die Bright Eyes zu einer neuen Höchstform im Studio finden, beschreibt „eine apokalyptische Angst“. Auf persönlicher Ebene geht es bei dem Albumtitel darum: „im Schmutz der eigenen Erinnerungen herumzuwühlen und zu versuchen, die Kostbarkeit zu finden, die überwuchert und nicht wiederzuerkennen ist.“

Kein Nachruf

Wer auf das gestrige Bright Eyes Konzert wegen der einzigartigen Stimme und den Songtexten gegangen ist, wurde wahrscheinlich enttäuscht. Nicht dass man sich einen Sängerknaben erwartet hätte, die unperfekte Stimme war immer die Anziehungskraft von Conor Oberst. Gut gealtert sind seine seine nun teilweise krächzend kränklich klingenden Stimmbänder aber nicht. Wie kleinlich und österreichisch es auch scheint, am Tag danach zu kritisieren, dass ein Sänger seine Songtexte nicht genauso vorträgt wie im Booklet niedergeschrieben, aber: Gibt es aber nicht einen merkbaren Unterschied zwischen Textverwechslung und ganzen Aussetzern? Hat Conor Oberst die Augen zu wegen der vielen Gefühlen oder weil er sie einfach nicht mehr offen halten kann? Kniet er am Boden um dem Publikum näher zu sein, oder weil die Beine zu schwer sind? Ist der Guitar Tech am Bühnenrand auch seine Krankenschwester? Sind seine Bright Eyes-Bandkollegen seine Freunde oder Möglichmacher und „enabler“ dieser öffentlichen Selbstzerstörung?
Und was heißt das überhaupt: Spaß haben? Darf ich mich freuen, weil er sich auch selbst freut auf der Bühne zu stehen? Mit dieser tollen Live-Band und dem großartigen Ensemble, die seine Songs, UNSERE Lieblingssong in einem orchestralen Glanz neu erstrahlen lassen? An diesem perfekten, warmen Spätsommertag in einer der besten Open-Air-Venues des Landes?
„Einen Nachruf schreibe ich nicht“ sage ich einem Freund, der beim Konzert ganz andere und viel positivere Gefühlslagen genossen hat als ich. Was weiß ich schon. Moment. Ich weiß sogar fünf Dinge:

  • Conor Oberst hat schon gesünder ausgeschaut.
  • Trauer um verstorbene Freunde und Familienangehörige ist ein täglicher Begleiter.
  • Alkoholismus ist eine Krankheit.
  • Die Trompete ist mein Lieblingsinstrument.
  • Der Bright Eyes Song „Dance and Sing” geht so:

I’ll grieve what I have lost. Forgive the firing squad. How imperfect life can be. Now all I can do is just dance on through

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