FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Portraitfoto Ari Oehl

Tim Cavadini

Im Oehl-Album „Keine Blumen“ geht es hoffnungsvoll um dunkle Themen

Ein Album mit „Es tut mir leid“ anzufangen, zeugt von Mut, den Emotionen Raum zu geben. Und davon gibt es auf dem neuen Album „Keine Blumen“ von OEHL genug. Geht es doch viel um Tod und Abschiede, aber immer mit einer Portion Hoffnung.

Von Andreas Gstettner-Brugger

In dem Song „Keramik“, der dem Pop-Duo Oehl den Karriereweg geebnet hat, gibt es die Zeile: „Jedem Anfang geht ein Ende voraus“. Das trifft auch auf die österreichische Band zu, die von Herbert Grönemeyer entdeckt und auf seinem Label Grönland Records unter Vertrag genommen wurde. Gründungsmitglied Hjörtur Hjörleifsson ist während der Entstehung des neuen Albums „Keine Blumen“ ausgestiegen. In der Pandemie hat sich Songschreiber und Sänger Ari Oehl zunehmend in seinem privaten Heimstudio mit dem neuen Material beschäftigt und die kreative Kluft zwischen den Freunden und Musikern ist gewachsen.

So präsentiert nun Ari Oehl sein quasi Solo-Album. Es arbeiten zwar viele Musiker*innen mit, aber im Grund ist es sein eigenes und dadurch ganz persönliches Werk. Und wie der Titel „Keine Blumen“ schon nahelegt, geht es diesmal mehr denn je ans Eingemachte. Tod, Verlust und Abschied dominieren die poetischen Texte, während musikalisch immer noch die Hoffnung mitschwingt.

Von Alpha-Männern und Lustverlust

Das Album beginnt mit der Textzeile „Es tut mir leid“. Ein klares Statement, das für Ari Oehl den noch immer vorherrschenden Männer-Duktus keine Gefühle zu zeigen thematisiert. Auch mit dem Song „Bis einer weint“ kratzt der Songschreiber an der veralteten Männlichkeitspose des ewig starken, harten, sich andauernd in Konkurrenz befindlichen und sich messenden Mannes.

Air Oehl: „In der Phrase ‚Bis einer weint‘ steckt ja auch etwas Bubenhaftes. Zu streiten, bis einer weint. Und das habe ich übersetzt auf diese stereotypen Alpha-Männer, die im Erwachsenenalter diese Spiele spielen. Ich versuche näherzubringen, dass Gefühle zu zeigen okay ist und dass das auch eine gewisse Stärke sein kann. Es ist ja auch ‚in‘ geworden, dass sich Influencer*innen filmen, während sie weinen und sie versuchen damit, zu zeigen, dass die Social Media Blase nicht so happy-peppy ist. Ich denke als Gesellschaft werden wir sensibler, glaube aber, dass wir nicht übersehen dürfen, dass es diese krassen, stereotypen Männerbilder noch immer gibt.“

Vielleicht sind in Schieflage geratene Beziehungen oft solche, in denen die Partner*innen in diesen Stereotypen gefangen sind. Die eingespielten Muster führen nicht selten zur Abspaltung und Lustlosigkeit bis hin zur Impotenz. Davon handelt das Stück „Satt werden“. Ari Oehl versteht es dabei sehr gut, solche Themen in eine poetisch-metaphorische Sprache zu übersetzen, die sofort Bilder erzeugt, mit denen auch wir uns identifizieren können. Die Textzeile „Schon wieder nichts im Kühlschrank als Licht, satt werden wir davon nicht“ bringt die aufgetretene, innere Leere in einer Beziehung gut auf den Punkt, bei der noch nicht alles verloren zu sein scheint. Schließlich brennt doch die kleine Glühbirne.

Musikalisch schwingt hier der bekannt Oehl-Groove zu satten Bässen und melancholischen Orgeltönen. Der ein bisschen vernuschelte Gesang erzeugt noch immer Intimität, Nähe und lässt auch die Traurigkeit durchschimmern. Für diese Nummer hat Ari Oehl sich die Münchnerin Mola ins Studio geholt. Ihre Stimme ist unglaublich präsent und man hört eine starke Attitüde heraus. Damit ist ein stimmiges, spannendes Duett entstanden, das auch Ohrwurmqualität hat.

Übungen im Verabschieden

Im Großen und Ganzen ist „Keine Blumen“ ein Album über Abschiede. In dem Albumtitel-gebenden Stück geht es um den Tod. Der reduzierte Anfang mit der verhallten Bassgitarren-Linie und dem sanften Gesang lässt ein Bild des schwarzen Leichenwagens entstehen, während die Fenster geöffnet werden und das Zimmer zum letzten Mal durchgelüftet wird. Auch das Stück „Ruh“ mit seinen an sich beschwingten Beats und dem tanzbaren Rhythmus handelt vom Sterben, wobei hier eine Art von Erlösung im Ende mitschwingt.

Ari Oehl: „Es geht auf diesem Album viel ums Verabschieden und den Tod. Wobei gerade der Tod als Übung zum Verabschieden steht. Wir leben in einer Zeit, in der die Übung des Verabschiedens vielleicht gar nicht so schlecht ist. Wir lernen zum Beispiel, dass wir uns an den Gedanken gewöhnen müssen, dass es wirtschaftlich und ökologisch vielleicht nicht mehr viel besser wird. Das heißt, wie verabschieden uns auch von gewissen Privilegien, sei es als Mann, sei es als Fleischesser*innen, sei es als jemand, der gerne oft um die Welt fliegt. Ich glaube, dass das Verabschieden etwas ist, was wir zur Stärkung der Resilienz brauchen.“

Ein Album, das nicht traurig macht

Starke und dunkle Themen verhandelt Ari Oehl auf „Keine Blumen“. Das hätte zu einem schwermütigen, düsteren Album werden können, das uns durch den dunklen Sog in die Tiefe der Depression mitnimmt. Entstanden ist jedoch ein Werk, das mit all seiner existenzialistischen Auseinandersetzung gleichzeitig eine leichte und fast unbeschwerte Stimmung vermittelt. Das liegt vor allem an der musikalischen Ausführung, die mit luftig-leichten Melodien, tanzbaren Grooves und schönen Refrains immer wieder die Sonne aufgehen lässt.

Ari Oehl: „Ich muss die Message rüber bringen, dass das ein Album ist, das nicht traurig macht. Obwohl so viele traurige Themen oben sind. Das ist mir sehr wichtig.“

Die Mischung aus Ari Oehls persönlichen Referenzen von Bon Iver und Tame Impala mit poetischen Texten und dem zerbrechlich und gleichzeitig exakten Gesang hat eine ganz eigene, gegenwärtige Pop-Ästhetik geschaffen, die im deutschsprachigen Raum einzigartig ist.

Das anfängliche „Es tut mir leid“ ist übrigens nicht nur ein Türöffner für unterdrückte Gefühle der Männer, sondern auch eine Entschuldigung, die für alle Themen und die Welt schlechthin gehört werden kann. Ari Oehl entschuldigt sich mit diesem Album nämlich bei seinem fünfjährigen Sohn für den Umstand, dass er ihm nicht eine durchwegs sichere, geborgene und schöne Welt bieten kann. Und durch dieses schöne, stimmige Werk zeigt Ari Oehl seinem Sohn und auch uns, dass wir lernen können, diese verletzte Welt mit all ihren Schattenseiten trotzdem zu lieben.

mehr Musik:

Aktuell: