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CC0 via Pixabay

Erich Moechel

EU-Einreisesystem ETIAS eine Kopie des US-Heimatschutzsystems

Nach 18 Jahren Entwicklung funktioniert das monströse US-VISIT erst zur Hälfte. Im europäischen ETIAS wird nicht nur der einigermaßen funktionierende Teil kopiert.

Von Erich Moechel

Im Schlagschatten des Kriegs in der Ukraine wird die Vernetzung der Biometrie-Datenbanken in der EU vorangetrieben. Allein im Juni gab es dazu zwei transatlantische Konferenzen auf hoher Beamtenebene. Das geht aus der Videoaufzeichnung eines solchen Meetings vom 16. Juni hervor, die ORF.at vorliegt.

Schon die beiden Eröffnungsreferate zeigten, nach welchem Vorbild dieser EU-Datenbankverbund für Grenzkontrollen, Visa etc. errichtet wird. Beide Vorträge wurden von hochrangigen Beamten aus dem US-Ministerium für Heimatschutz gehalten. Die USA hatten im Februar für künftige visumfreie Einreisen aus der EU direkten Zugriff auf europäische Biometrie-Datenbanken verlangt.

Obim

DHS

Diese Folie zeigt den riesigen Datenverbund IDENT, an den mehrere US-Ministerien angeschlossen sind, unter anderen das Verteidigungsministerium. Passend dazu finden sich in der „International Community“ alle anderen Staaten der „Five-Eyes“-Spionageallianz. Aus Europa sind bereits Bulgarien, Griechenland und Kroatien angeschlossen, die USA hatten es für diese Staaten als Bedingung für visafreie Einreise vorgelegt. Das Referat am 16.Juni hielt Lisa McDonald, eine Direktorin im Office of Biometric Identity Management, das zum Ministerium für Heimatschutz gehört. Zehn Tage davor, am 6. Juni, hatte bereits eine erstes Treffen in den USA stattgefunden. Dazu gibt es nur einen einzigen Bericht, der Ende August publiziert wurde. (Näheres siehe unten.)

Eine Milliarde Gesichter für die „Five Eyes“

Das Gesetz, auf dessen Basis die USA nun direkten Zugriff auf EU-Biometriedatenbanken verlangen, ging bereits im Juni 2018 durch den US-Kongress.

Der IDENT-Datenbankverbund enthält laut Vortragsfolien eine Milliarde biometrisch aufbereiteter Scans von Gesichtern. Dazu kommen die Fingerprints von 275 Millionen Menschen in zehnfacher Ausführung, sieben Millionen Paare Iris-Scans, von Ausländern, aber auch von US-Staatsbürgern, von Unbescholtenen wie auch von Kriminellen. Auf diese Datenbanken haben insgesamt 45 Organisationen (Teil-) Zugriff, zumeist aus den USA, aber auch nicht näher bezeichnete „internationale Organisationen“.

Es braucht nur einen Blick auf das obige Diagramm, um zu sehen, dass damit die „Five Eyes“-Staaten gemeint sind. Welche Dienste und Behörden da tatsächlich welche Zugriffsrechte haben, ist natürlich großes Staatsgeheimnis dieser „Fünf Freunde“. Ebensowenig ist bis jetzt bekannt, ob die USA auch den Europäern Zugriff einräumen werden, und wenn, dann auf welche Datenbanken? Die USA haben sich bis auf die Bekanntmachung im Februar noch nicht dazu geäußert. Bereits im November 2023 soll das dem Vorbild US-VISIT nachgebaute EU-Einreisesystem ETIAS (European Travel Information and Authorisation System) in Betrieb gehen. Wie US-VISIT ist es ein Anmeldesystem für Einreisende aus visabefreien Drittstaaten, das an einen riesigen Datenbankverbund mit biometrischen Daten angeschlossen ist.

Ident

DHS

Hinter dem IDENT-System, das im Wesentlichen für die Abwicklung von Anfragen und die Verbindung zu den „Kunden“ verantwortlich ist, werkt das „Biometric Support Center“, für das McDonald zuständig ist. Ihr Vortrag vom 6. Juni wurde erst vor wenigen Tagen ins Netz gestellt, er ist identisch mit dem Referat am „Industrial Day“ der „eu-LISA“, einer EU-Behörde, die für das operative Management großer IT-Systeme zuständig ist, wie etwa der Schengen-Datenbanken SIS2, des Visa-Systems, oder der Fingerprint-Datenbank EURODAC, die alle in das Einreisesystem ETIAS integriert werden.

Wozu Ausreisekontrollen dienen sollen

Die strukturelle Ähnlichkeit von EU-ETIAS mit dem US-VISIT-System war bereits während der Gesetzeswerdung aufgefallen. Von Listen für Flugverbote und Sonderüberprüfungen ist alles drin.

Den zweiten Hauptvortrag hielt Nael Samha, Exekutivdirektor des „Targeting and Analysis Systems Directorate“ der Zollbehörde CBP. Der hatte zwar einige Beispiele parat, in denen das US-VISIT-System operativ von Nutzen war, was freilich 18 Jahre nach dem Gesetzesbeschluss im US-Kongress nicht wirklich überraschend ist. Allerdings ist dieses US-Gesetz aus dem Jahr 2004 bis heute nicht fertig umgesetzt, genauer gesagt, es fehlt die Hälfte.

Konzipiert ist es nämlich als biometriebasiertes Einreise/Ausreisesystem, also mit Kontrollen und Abgleich von Fingerprint- und Gesichtsdaten mit dem „Biometric Support Center“, das zum IDENT-System gehört, sowohl bei der Ein- wie auch der Ausreise. Hintergrund dafür ist, dass viele der Attentäter von 9/11 ihre US-Visa überzogen hatten. Um Ausländer, die nach Ablaufen der Visa in den USA blieben, zu entdecken, hätte es vor allem ein Ausreisekontrollsystem gebraucht.

CBP-Timeline

DHS

Technische Desaster mit Ansage

Das Heimatschutz-Desaster mit biometriegestützten RFID-Funkchips 2007 in Reisedokumenten hatte zur Folge, dass diese „Lösung“ für Ausreisekontrollen in Folge gestrichen wurde.

Die „erfolglos verlaufenen Pilotprogramme“ von 2004 bis 2010 waren tatsächlich technische Desaster mit Ansage. Am Grenzübergang San Ysidro von Mexiko nach Kalifornien wurden RFID Funkchips in die Grenzübertrittspapiere für die täglich zigtausenden Pendler aus Mexiko integriert. Das Fazit des US-Rechnungshof GAO zu den Tests war, dass der technische Ansatz nur funktionieren könnte, wenn dieser Grenzkontrollpunkt mit 24 Einreise- und sechs Ausreisespuren abgerissen und anderswo 48-spurig neu errichtet werde. (siehe Link oben).

2013 wurde das Einreise/Ausreisesystem ausgegliedert und landete im Fachbereich des Vortragenden Samha, nämlich bei der Grenzschutzbehörde CBP. Danach kamen „gezielte biometrische Experimente“ und im Jahr 2022 liegen für den Ausreiseteil nicht mehr als „technische Demonstrationen“ vor. Das heißt, nach 18 Jahren existiert noch nicht einmal ein Prototyp für ein Projekt, das Unsummen verschlungen hat.

Organigramm

EU Kommission

Auf Teile dieses Datenbankverbunds, vor allem aber auf den gemeinsamen Speicherort für Biometriedaten (dunkelblau, ganz unten) verlangen die USA nun direkten Zugriff. Die meisten dieser Datenbanken stehen unter der Ägide der eu-LISA, links neben dem ETIAS ist bereits das kommende Ein- und Ausreisesystem EES zu sehen.

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