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Wenn Geduld Leid bedeutet

In ihrem dritten Roman erzählt die nordkamerunische Schriftstellerin Djaïli Amadou Amal von dem Leben dreier Frauen, die eines gemeinsam haben: ihre Unterwerfung in einem patriarchalen System, in dem sie die Schuldtragenden sind.

Von Melissa Erhardt

Geduld gilt oft als Tugend, als etwas Erstrebenswertes, als die Fähigkeit, etwas Unangenehmes ruhig und beherrscht ertragen zu können. Geduld führt laut Ratgebern wie Karrierebibel und Co nicht nur zu Erfolg im Beruf, sondern auch zu mehr Zufriedenheit im Leben allgemein. Das mag für viele gelten, für die Frauen in Djaïli Amadou Amals Roman allerdings nicht. Sie können das Wort Geduld, munyal in ihrer Sprache Fulfulde, nicht mehr ertragen. Bei ihnen bedeutet es nämlich: Akzeptiere alles und unterwerfe dich, ohne dich zu beschweren. Auch, wenn du daran kaputt gehst.

Djaïli Amadou Amal

Bruno Fert

Djaïli Amadou Amal ist eine kamerunische Schriftstellerin und Menschenrechtsaktivistin. 2012 hat sie die Vereinigung Femmes du Sahel gegründet, mit der sie sich für die Bildung von Frauen und gegen geschlechtsspezifische Gewalt einsetzt.

„Die ungeduldigen Frauen“, Amals dritter Roman, nimmt seinen Ausgang in einem fulbischen Haushalt in Maroua im Norden Kameruns. Dort lebt ein Geschäftsmann mit seinen vier Frauen und insgesamt 30 Kindern in einem typisch polygamen Haushalt: Der Vater als Familienoberhaupt in der Villa, die Frauen in den abgetrennten Wohnungen nebenan. Will eine Frau mit ihrem Mann sprechen, muss sie das über diejenige Mitfrau machen, die gerade an der Reihe ist.

Auf dem Hof wachsen die beiden Halbschwestern Ramla und Hindou auf. Ramla ist 17, liest gerne und will später einmal studieren und Apothekerin werden. Hindou ist ruhig und in sich gekehrt. Für beide rückt der Tag näher, den sie am meisten fürchten: ihr Hochzeitstag. Ramla soll einen 50-jährigen Geschäftsmann heiraten, der als einer der reichsten Männer der Stadt gilt und bereits mit Safira verheiratet ist, Hindou ihren alkoholsüchtigen, gewalttätigen Cousin.

Obwohl laut Koran die Frauen einer Ehe zustimmen müssen, wird ihr Widerstand ignoriert: „Liebe vor der Heirat gibt es nicht, Ramla. Es wird Zeit, dass du zur Vernunft kommst. Wir sind hier nicht bei den Weißen. Und auch nicht bei den Hindus. (…) Du wirst tun, was dein Vater und deine Onkel dir sagen. Dir bleibt sowieso nichts anderes übrig.“

Für die jungen Schwestern beginnt mit der Heirat ein streng organisiertes Leben, in dem die Männer die Hauptrollen übernehmen. Für die Frauen heißt das Zähne zusammenbeißen, sich fügen und dabei versuchen, den eigenen Stolz und die Würde zu bewahren, egal, ob ihnen Gewalt und Unrecht angetan wird, sie leiden oder unglücklich sind. „Munyal, nur Geduld“ ist das Einzige, was von Generation zu Generation an junge Frauen weitergegeben wird:

Du bist ein Mädchen. Das bedeutet munyal, dein Leben lang. Fang schon jetzt damit an! Für eine Frau ist die Zeit der Unbeschwertheit kurz.

Was dabei besonders erschüttert: Die fehlende Solidarität zwischen den Frauen, die Amal im Laufe des Romans aufzeigt. Zwar fühlen sie den gleichen Schmerz und wissen, dass sie dasselbe durchmachen, trotzdem richten sie die Wut, den Schmerz, den Neid und die Eifersucht viel zu oft aufeinander - die Mütter auf die Töchter, die älteren auf ihre jüngeren Mitfrauen - und nicht auf die tatsächlichen Unterdrücker. Anstatt die Gewalt zu stoppen, geben sie sie von Generation zu Generation weiter. „Das ist eine der Botschaften des Buches“, erzählt Djaïli Amadou Amal bei einer Lesung in Paris: „Wenn Frauen nicht zusammenhalten, wenn sie sich nicht zusammenschließen, um Lösungen zu finden, und aufhören, gegeneinander Krieg zu führen, dann wird nichts funktionieren und nichts vorankommen.“

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Orlanda Verlag

Mit ihrem 2017 erschienenen Buch „Munyal, les armes de la patience“ hat Djaïli Amadou Amal zahlreiche Preise gewonnen, darunter den Prix de la Presse Panafricaine (2019) und den Prix Goncourt des lycéens (2020).

Ela zum Winkel hat das Buch aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt, „Die ungeduldigen Frauen“ ist im Orlanda Verlag erschienen.

Dass das Buch keine leichte Lektüre ist, wird einem schon beim Durchlesen des Klappentextes bewusst: Amal verschont ihre Leser*innen nicht, es gibt kein Aufatmen, nichts, das der Geschichte zumindest ein bisschen der Schwere nehmen könnte. Wir müssen uns als Leser*innen durchkämpfen, werden vom Schmerz, den die Frauen ertragen müssen, nicht verschont. Vielleicht, weil das Amals Schreibstil ist: straight forward, ohne Schnickschnack und ablenkende Zeilen. Klare und starke Worte zu Themen, die diese benötigen. Vielleicht aber auch, weil Djaïli Amadou Amal Zwangsheirat und Polygamie selbst erfahren hat.

Amal wurde im Alter von 17 Jahren mit einem älteren Politiker zwangsverheiratet, die Ehe dauerte fünf Jahre. Ihr Coping-Mechanismus war es damals, Tagebuch zu schreiben, etwas, das ihr wohl später beim Verfassen ihrer Romane zugutekam. Zwar ist „Die ungeduldigen Frauen“ keine Autobiografie, die Figur der Ramla orientiert sich aber stark an Amals eigener Geschichte, während die anderen Figuren auf Erfahrungen anderer Frauen in Amals Umfeld beruhen.

„Es ist der Alltag der Frau in der Sahelzone", sagt sie in einem Fernsehinterview mit FRANCE 24: "Die Stellung der Frau im Nordkamerun ist dieselbe wie in anderen Ländern in Subsahara-Afrika, egal, ob bei Muslim*innen, Christ*innen oder anderen Religionen, egal, ob in Mali, Senegal oder Burkina Faso. Es ist eine patriarchale Gesellschaft, eine Gesellschaft, die von Traditionen und soziokulturellen Denkweisen geprägt ist. Das führt dazu, dass die Lage der Frau immer noch so prekär und schwierig ist.“

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