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The Psychotic Monks @Waves Vienna Festival 2022

Klaus Zwinger

fm4 festivalradio

Die gute Festivalplaylist

Wie entdeckst du neue Musik? Ein Feldversuch am zweiten Abend des immer gut ausgesuchten Waves Vienna Festival. Mit Auftritten von Oskar Haag, Batbait, The Psychotic Monks, Florence Besch und anderen.

Von Lisa Schneider

Also: Wie entdeckst du neue Musik? „Ich bin zu faul, ich brauche Festivals wie das Waves dafür“, sagt ein Besucher. „Über Freund*innen, oft auch welche, die selbst Musik machen“, sagt eine andere. Dann fallen naturgemäß die Namen der Streaming-Giganten, deren Abo wir alle brav monatlich zahlen. Sie erstellen halt auch gute Playlists, wer freut sich nicht über die wöchentliche, teils schon besorgniserregend perfekt auf die eigene, aktuelle Gefühlslage zusammengezimmerte Hitliste?

Das Waves Vienna Festival operiert – so wie etwa das Reeperbahn Festival in Hamburg oder das Great Escape Festival in Brighton, die großen Geschwister im Geiste – auf einer persönlicheren Ebene. Man darf blind darauf vertrauen, dass man, besucht man das Waves, mit zumindest drei neuen Lieblingsbands oder Acts am Notizzettel nachhause spaziert. Das klingt schön und ist es auch, es ist aber vor allem der unermüdliche Einsatz dieses sehr guten Festivalteams und der exzellenten Spürnasen, die Teil davon sind.

WUK Innenhof @Waves Vienna Festival 2022

Alexander Galler

„Nach 30 Sekunden“ sagt oben erwähnter, sympathisch fauler Festivalbesucher dann auf die Frage, wie lang er denn eine neue Band hören muss, bis er weiß, dass er sie gut findet. Das Gefühl muss stimmen. Und wie soll das besser vermittelt werden als live, nirgends wird mehr Überzeugungsarbeit geleistet als auf einer Bühne. Der gestrige, zweite Abend im Wiener WUK und den umliegenden Locations, die heuer auch diverse Gürtellokale in Wien mit einschließen, war eine für alle Besucher*innen übervolle, diverse, liebevoll kuratierte Liveplaylist. Es folgt ein lückenhafter und euphorischer Streifzug.

Oskar Haag @Waves Vienna Festival 2022

Alexander Galler

Ein Eröffnungssong am Freitagabend kommt von Oskar Haag und heißt „Stargazing“, keine Spätsommerwehmusikliste ohne ihn. Oskar Haag, der Popstar von heute und übermorgen, der gerade alles richtig macht. Der Lieder schreibt, als wäre er tatsächlich schon seit den 60ern hier und der dann aber aufs FM4 Frequency Festival fährt und sich wie alle anderen jungen Besucher*innen (die das Ding heuer einmal mehr ausverkauft haben) nicht übers Line-up beschwert.

Er weiß es vielleicht noch gar nicht, es sei ihm unterstellt, wie kostbar so ein Gespür fürs Gestern und fürs Jetzt ist, und auch das hört man in seinen Liedern. Irgendwann drehen wir uns um uns selbst herum und müssen nicht mehr verwässerten Cloudrap als Headliner aller möglichen Festivals ertragen, irgendwann kommt der kleine große Popsong zurück. Hier schreibt jemand, der schon gemeckert hat, Meinungen dürfen sich ändern.

doppelfinger @Waves Vienna Festival 2022

Klaus Zwinger

Die Ohrstöpsel müssen dann kurz das Livegefühl ersetzen, das man sich beim ebenfalls minimalistischen Gitarrenliebhaber doppelfinger hätte holen können. Der Weg vom WUK zu den heuer erstmals am Waves bespielten Gürtellokalen dauert schon gute 20, später eher müde 25 Minuten. Als man gerade noch so vor die Fania-Livebühne zu doppelfingers letzten Tönen stolpert - es war sicher sehr schön - kommen erste Zweifel auf am Vergleich von Showcasefestival und kuratierter Playlist. Schließlich läuft einem auf Spotify, Apple Music und wie sie alle heißen niemand davon. Aber bear with me.

Welcher große Streaming-Anbieter hat euch zuletzt eine sehr gute - oder überhaupt irgendeine - französische Postpunk/New Wave/Postrock-Band vorgeschlagen? Der Auftritt von The Psychotic Monks ist ein Highlight des Abends. Traut man sich mittlerweile schon bei fast keiner Band mehr nachzufragen, ob auf der Bühne noch so etwas wie, ähäm, Freiheit und Platz für Improvisation herrschen, bei Psychotic Monks würde man sogar eine gute Antwort erhalten („for sure“, oder schöner: „absolument!“).

The Psychotic Monks tauschen nicht nur Instrumente und Leadsänger frei nach dem Motto Anarchie, sie zerdeppern auch liebe- und lustvoll vor unser aller Augen und Ohren ihre eigenen Lieder, um sie versatzweise und zu gut ausgewogenen Teilen sakral und industrial-angehaucht wieder zusammenzubauen. Näher an irgendeine Art von Ekstase werden wir an diesem Musikabend nicht mehr kommen, und vielleicht ist das alles eh nur Show. Die Grimassen, die nach hinten überstreckten Rücken, die Gitarren, mal an der Hüfte, dann auf der Schulter, alles blitzschnell und dann wieder so langsam wie Ketchup. Wen soll’s stören, da lebt, da passiert was.

The Psychotic Monks @Waves Vienna Festival 2022

Klaus Zwinger

Wer jedenfalls sehr gute Albumtitel wie den des Debüts „Silence Slowly And Madly Shines“ aussucht, wer am Label FatCat Records (u.a. Animal Collective, Sigur Ros) veröffentlicht und als Eigenbeschreibung die treffsicheren Worte „Post George Orwell“ findet, hat sich gute Gedanken um die künftigen Möglichkeiten und die Relevanz von Rockmusik gemacht. Das ist Musik für Menschen, die sonst gern Preoccupations oder Ty Segall oder Fontaines, DC auf ihrer Playlist (da sind wir also wieder!) abspeichern. Und weil in einer guten Playlist wie in einem guten DJ-, wie in einem guten Liveset eins ins andere fließt, geht es im Wiener Chelsea direkt im Anschluss mit der ebenfalls französischen Gruppe Bryan’s Magic Tears weiter. Selten besser in Gedanken an stimmungsartig verwandte Starbands wie My Bloody Valentine oder Dinosaur Jr. ins leicht angewärmte Kaltgetränk geweint.

Bryan's Magic Tears @Waves Vienna Festival 2022

Klaus Zwinger

Wer hat euch zuletzt eine neue, gute Garagerockband aus der Schweiz gezeigt? Wahrscheinlich nicht mal die allerbeste Musikauskennerfreundin, aber jetzt könnt ihr es weitersagen, die Gruppe heißt Batbait. Nach klassischer Musikerziehung hat Sängerin, Texterin und Gitarristin Gianna Brühwiler ganz im Sinne einer guten, späten Teenie-Rebellion ihre Band gegründet, die letztes Jahr als bester Schweizer Newcomer-Act ausgezeichnet worden ist und kommenden Freitag ihr erstes Album veröffentlicht.

Die Lieder von Batbait tragen Titel wie Kaugummi-Papier-Aufschriften: „Shitlife“, „Quiet Smile“ oder „Telly“, dabei geht es hier aber natürlich nur oberflächlich um nichts. „I hate my life and that’s okay“, singen sie, oder: „You gotta do it / everyone’s a fool“. Das sind Lieder über Einsamkeit, Selbstzweifel und all die anderen Nachtgefühle, Lieder, in denen die Fotos von früher mehr wissen über die eigene, blöde Kindheit als man selbst. Die schönste aller Coming-of-Age-Thematiken ist natürlich auch dabei: Was wir wirklich sind, ist, vielleicht, verliebt.

Batbait @Waves Vienna Festival 2022

Patrick Münnich

Vom halsbrecherisch eingesetzten Pop, der ja auch ein bisschen in jedem Punkrocksong steckt, ist es dann auch nur ein paar geistige Schritte weiter zum Auftritt der deutschen Musikerin Florence Besch. Zur Vorstellung ihrer im Februar veröffentlichten EP „Bye Bye Blinders“ sagt sie: „Hi, ich bin Florence und mag Ehrlichkeit, Nachdenken und Musik“, und viel mehr muss man eigentlich auch gar nicht wissen. Außer vielleicht diese jeder guten Playlist hinzugefügten hard facts: Florence lebt in Düsseldorf und hat dementsprechend die beste zwar nicht von dort kommende, aber so benannte Band - The Düsseldorf Düsterboys - als Support Act unterstützt. Sie schreibt gute Zeilen wie „Fuck you and your sins“. Und sie schreibt Dreampopsongs für Menschen, die sonst gern bei Alice Phoebe Lou oder Soko zuhören.

Florence Besch @Waves Vienna Festival 2022

Nico Hafner

Das waren ein paar der Momente und Lieder des zweiten Waves-Abends 2022, die man der persönlichen, musikalischen Lieblingsliste hinzufügen könnte, es war natürlich noch viel mehr dabei, etwa japanische, hibbelige Tanzaufforderungen aus Belgien (Aili), sanfte, softe Liebeslieder mit zumindest versuchtem The XX-Appeal (Disappeared Completely) oder die wahrscheinlich erfolgreichste Annenmaykantereit-Annäherung seit Fil Bo Riva (Ennio), aber Aufzählungen sind langweilig und man darf auch einmal noch faul sein.

Auf der teilweise nicht so einfach handzuhabenden Website des Festivals – dem wohl einzigen Wermutstropfen dieser Veranstaltung - findet man nämlich eh auch eine Playlist. Darauf zu hören sind Songs aller auftretenden Acts, von Donnerstag, Freitag und von heute, Samstag, dem letzten Festivalabend. Auch diese Liste kann via einem der oben genannten, großen Anbieter gestreamt werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

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