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Annika Pinskes Regiedebüt „Alle reden übers Wetter“

Annika Pinske hat für und mit Maren Ade an „Toni Erdmann“ gearbeitet. Ihr erster eigener Kinofilm „Alle reden übers Wetter“ erzählt von Selbstbestimmung und ist ganz im Realismus zuhause.

Rage Against The Machines „Killing in the name of“ in der Version eines Jugendorchesters wird am Ende alle Gefühle so schön rauslassen: Die Deutsche Annika Pinske erzählt in ihrem Regiedebüt „Alle reden übers Wetter“ aufrichtig von Selbstbestimmung. Die Handlung spielt an wenigen Tagen im Leben der Hauptfigur Clara, die eine Uni-Karriere anstrebt und über 30 ist. Und Clara muss sich behaupten. Sie hat eine heimliche Affäre mit einem Studenten, eine Tochter und eine Mutter, die ihr Geburtstagsfest vorbereitet. Verständnis- und Verständigungsschwierigkeiten tun sich da wie dort auf. Clara will nicht mehr nur über das Wetter reden.

Anne Schäfer spielt diese Clara mit großer Glaubhaftigkeit, Regisseurin Annika Pinske macht bei „Tage wie diese“ von Die Toten Hosen einen scharfen Cut in einer Dorffestszene und sie lässt Ironie außen vor. „Alle reden übers Wetter“ wirft die Frage nach den Verhältnissen auf, im Privaten wie in der Gesellschaft.

Der Film bleibt im Realismus verankert, ist aber stets liebevoll zu seinen Figuren. Die sozioökonomischen Verhältnisse erzählen sich nebenbei über die Wohnorte. Claras Mutter lebt ihr Leben lang in der ehemaligen ostdeutschen Provinz in einer kleinen Wohnung. Clara lebt in einer WG, der Ex-Mann in einem Haus am See mit neuer, heiterer Familie und der Teenager-Tochter. Dass dessen neue Partnerin wieder Teilzeit arbeitet, eröffnet für einen Moment eine Perspektive, die Clara für sich wohl nie sehen konnte.

Szene aus dem Spielfilm "Alle reden übers Wetter": Drei Menschen sitzen auf einer Bank an einem Tisch im Freien.

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„Alle reden übers Wetter“ ist ein sehr schöner Film über Bildungsaufstieg und Zugehörigkeit, Mutterschaft und Emanzipation, auch über Einsamkeit. „Das musst du dir schon selbst verzeihen, dass du mehr vom Leben willst“, sagt eine Uni-Professorin und Doktormutter zu Clara.

Regisseurin und Drehbuchautorin Annika Pinske erzählt im FM4 Interview, dass sie sich intensiv mit Frauenthemen und mit der Darstellung von Frauen in Filmen beschäftigt hat. „Ich habe mit dieser Clara versucht, bestimmte Konventionen zu umschiffen. Einmal – das wird auch immer wieder angemerkt – ist sie jemand, der nicht die ganze Zeit lächelnd durch diesen Film marschiert. James Bond muss das auch nicht machen“, sagt Pinske, die unter anderem ein Jahr lang an der Volksbühne Berlin bei René Pollesch hospitiert und für und mit Maren Ade an „Toni Erdmann“ gearbeitet hat.

Bei all den Themen, die ihr Film anspricht, war Annika Pinske Authentizität das Wichtigste. „Also eine Art von Ehrlichkeit.“ Das hat auch damit zu tun, dass sie Filmen über den Osten, diesen Stasi-Komödien irgendwann so überdrüssig wurde. „Und ich hatte das Gefühl, mich auch anders rechtfertigen zu müssen als Frau, die im Osten geboren ist, zumindest in der Nachwendezeit groß geworden ist und viel im Kontakt mit Leuten – ich sag’s jetzt einfach so, auch wenn es Ost- und Westdeutschland nicht mehr gibt – ‚aus dem Westen‘. Ich habe andere Fragen gestellt bekommen oder auch Sätze wie ‚Du siehst gar nicht so ostdeutsch aus‘. Wo ich mich frage, was das für ein Bild ist. Wie sieht jemand denn aus, der aus Ostdeutschland kommt? Ich war mit solchen Klischees konfrontiert“, sagt Pinske.

Anne Schäfer als Clara in einer Kneipenszene im Spielfilm "Alle reden übers Wetter" von Annika Pinske.

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Da hatte sie einfach Lust, gegenzusteuern und zu zeigen, wie alltäglich und banal vieles sei. „Dass nicht nur die Stasi und diese große Geschichte der DDR diese Leute geprägt hat. Immer dieser Fokus auf die schlimme DDR wird den Leuten auch nicht gerecht, die einfach einen ganz banalen Alltag zu bewältigen haben.“

Als Pegida in Deutschland aufkam, war Pinske von TV-Interviews richtig erschüttert. Sie hatte den Eindruck, dass Journalist*innen und Interviewte nicht mehr dieselbe Sprache sprachen. „Ich fand das gefährlich, weil jeder in seinem Kosmos argumentiert. Da guckt man sich das an, politisch ist das immer ganz katastrophal, aber wie schwer ist das schon in der eigenen Familie, sich so aufzustellen.“

Für das, wovon Annika Pinske in „Alle reden übers Wetter“ auch erzählt, gibt es einen eigenen Begriff: Klassismus steht für die Diskriminierung oder auch Vorurteile gegenüber einer Person oder Personen aufgrund einer (vermuteten) Zugehörigkeit oder Herkunft aus einer bestimmten (niedrigeren) sozialen Klasse.

„Es tut immer gut zu wissen, dass man nicht alleine ist“, sagt Annika Pinske. Sie ist selbst Tochter einer Arbeiterin. „Als ich angefangen habe zu studieren, habe ich in den ersten vier Semestern ausschließlich Fremdwörter mitgeschrieben und zuhause nachgeschlagen. Ich hab also wirklich nichts verstanden und hatte natürlich immer das Gefühl, ich bin zu dumm zum Studieren. Weil mir zu der Zeit noch nicht klar war, dass ich, aus dem Arbeitermilieu kommend, eben andere Voraussetzungen habe und nicht mit 14, 15 Nietzsche gelesen habe – so. Und als wir auf Locationtour waren an den Unis für ‚Alle reden übers Wetter“, hing da ein Plakat „Studierende von Arbeiterkindern". Das hat mich so angerührt. Ich glaube, hätte ich das Plakat in meiner Unizeit gesehen, hätte ich das ganz anders framen können.“

Über Erfahrungen zu sprechen, sei wichtig: „Aufzuzeigen, was das für ein Weg war und wie schwer der war und dass man den gehen kann. Diese Scham vor dem Herkunftsmilieu abzulegen und das einfach zu sagen. So: Da komm ich her, da bin ich sozialisiert worden und da bin ich jetzt.“

Sandra Hüller, Anne Schäfer und Judith Hofmann im Film "Alle reden übers Wetter" von Annika Pinske in einer Szene, die an einer Uni spielt.

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Annika Pinske hat einige Semester Philosophie studiert. „Alle reden übers Wetter“ ist der Abschlussfilm ihres Regiestudiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Diese Woche kommt der Film in die Kinos in Österreich und in Deutschland. Und Annika Pinske führt aktuell Regie bei einer Staffel der ZDF-Serie „Deadline“. Ihr nächster Kinofilm soll dann an die Donau führen und auf einem Schiff spielen.

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