„Das Lehrer*innen-Bashing muss aufhören“
Stell dir vor, das Schuljahr beginnt, aber es fehlen die Lehrer*innen. Vor dem ersten Schultag in Ostösterreich häuften sich alarmierende Schlagzeilen in den Medien. Der Personalmangel an heimischen Schulen sei dramatisch, hieß es. Insgesamt wurden heuer schon 8.600 Stellen für Pädagog*innen ausgeschrieben.
Aktuell bleibt für manche Schulen (in ländlichen Regionen) da nur die Schließung. An anderen Schulen (etwa in Wien) werden die freien Lehrposten buchstäblich erst in letzter Minute besetzt. Bildungsminister und Bildungsdirektionen versuchen, zu beschwichtigen. Betroffene Schüler*innen, Eltern und Schuldirektor*innen schäumen.
Woran es liegt, dass derzeit so viele Pädagog*innen gesucht werden und wie sich seiner Ansicht nach dieses Problem beheben ließe, dazu äußert sich Maximilian Schulyok, Geschäftsführer des Österreichischen Bundesverlags Schulbuch im FM4-Interview:
Claudia Unterweger: Warum bricht der Mangel an Lehrkräften scheinbar so plötzlich zu Semesterbeginn aus?
Maximilian Schulyok: Das ist kein kurzfristiger Engpass. Der Lehrer*innenmangel ist schon lange bekannt, und er wird in den nächsten Jahren noch wachsen. Da tut sich ein Riesenloch auf, wenn man nicht gegensteuert. Viele Unterrichtende sind über 50, eine Pensionswelle steht an. Im Vergleich dazu gibt es zu wenige Studierende, die tatsächlich auch den Lehrer*innenjob antreten werden.
Zur Person:
Maximilian Schulyok ist Geschäftsführer des öbv – Österreichischer Bundesverlag Schulbuch. Im öbv-Podcast #klassezwanzigzukunft spricht er regelmäßig mit Bildungs-Expert*innen, Lehrkräften, Schülervertreter*innen und Gründer*innen aus der EdTech-Szene über Herausforderungen und Chancen im Bildungssystem.
Warum kommen so wenige junge Leute nach?
Wir müssen uns überlegen, wie wir mit Menschen umgehen, die diesen verantwortungsvollen Job wählen. Das Lehrer*innen-Bashing muss aufhören. Wenig hilfreich sind da Aussagen wie die eines Wiener Bürgermeisters vor einigen Jahren: Wenn er wie ein Lehrer arbeite, dann wäre er schon Dienstag zu Mittag fertig und könne heimgehen, meinte er. Der Job als Pädagog*in ist herausfordernd und enorm anstrengend. Dieser Aufgabe zollen wir als Gesellschaft viel zu wenig Wertschätzung. Das motiviert kaum dazu, diesen Beruf zu ergreifen.
Zum Vergleich: In Finnland bekommen nicht einmal 20% der Bewerber*innen einen Job als Lehrkraft. Dort gibt es ein strenges Auswahlverfahren und viel mehr Anwärter*innen auf den Beruf als bei uns. Dort bekommt man als Lehrkraft das Gefühl vermittelt, man arbeite im besten Bildungssystem der Welt.
Aber das finnische Bildungssystem scheint ja tatsächlich effektiver zu sein als das österreichische. Dafür sprächen zumindest die Ergebnisse der PISA-Studien der vergangenen Jahre. Wie sollte denn die Bildungsdebatte bei uns in der Öffentlichkeit geführt werden?
Der betriebswirtschaftliche Begriff „Employer Branding“: bezieht sich auf eine Marketing-Strategie, mithilfe derer ein Unternehmen als attraktiver Arbeitgeber dargestellt wird. Das Ziel dabei ist, mehr Mitarbeiter*innen zu gewinnen.
Die Bildungsdiskussion hierzulande dreht sich immer nur darum, wie unzulänglich das österreichische System ist. Das hat Folgen. Das wäre so, wie wenn ich als Unternehmer jeden Tag in der Früh meinen Mitarbeiter*innen sage, wie schrecklich das Unternehmen ist. Dann darf ich mich nicht wundern, dass ich mir schwertun werde, neue Leute zu finden und motivierte Mitarbeiter*innen zu halten. Es braucht eine „Employer Branding“-Kampagne für den Lehrer*innenberuf.
Es liegt also Ihrer Ansicht nach hauptsächlich an einem Imageproblem des Lehrberufs, dass sich viel zu wenige junge Leute für diesen Job ernsthaft interessieren. Was ist mit der Bezahlung?
In Finnland ist der Lehrer*innenjob einer der angesehensten Berufe. Der ist dort nicht besser bezahlt als in Österreich.
Außerdem geht es bei uns nicht nur um zu wenig Junglehrer*innen. Auch viele erfahrene Lehrkräfte geben auf und suchen sich einen anderen Job. Gerade angesichts der Herausforderungen, die sie als Unterrichtende in den letzten zweieinhalb Jahren während der Pandemie zu meistern hatten - und die fehlende Wertschätzung dafür. Sie mussten zusätzlich die Rolle als Gesundheitspersonal übernehmen und Corona-Tests mit der ganzen Klasse durchführen, mit Schulschließungen umgehen, die eine Hälfte der Klasse Remote und die andere Hälfte in Präsenz unterrichten. Dafür braucht es Anerkennung.
Was braucht es also konkret, damit sich mehr Leute für den Job interessieren?
Es braucht Perspektiven im Lehrer*innenberuf und mehr Karrieremöglichkeiten im Schulumfeld. Das sind Dinge, die in anderen Branchen selbstverständlich sind.
Und man muss Grundvoraussetzungen und gute Rahmenbedingungen schaffen, um diesen Beruf ergreifen zu wollen. Oft heißt es: ‚Lehrer sind nur 21 Stunden pro Woche in der Schule‘. Sie können aber außerhalb ihrer Unterrichtszeit gar nicht länger in der Schule bleiben. Wenn man sich einen winzigen Tisch mit 3 anderen Kolleg*innen im Konferenzzimmer teilen muss, hat man nicht das, was man heutzutage unter einem anständigen Arbeitsplatz versteht.
Wie weit ist denn die Lehrer*innen-Ausbildung verantwortlich für den Mangel an fähigem Lehrpersonal? Kritisiert wird die lange Dauer und zu wenig Praxis. Absolvent*innen stünden erst nach Studienabschluss so richtig in der Klasse und seien überfordert mit der Realität.
Ja, es gibt Schwachstellen in der Ausbildung, das stimmt ein Stück weit. Du beginnst diesen Beruf nicht dann zu lernen, wenn du mit dem Studium anfängst, sondern wenn du das erste Mal in der Klasse stehst. Unsere Lehrenden sind fachlich gut ausgebildet. Aber es reicht nicht, viel Wissen zu haben und zu vermitteln. In der Aus- und vor allem in der Lehrer*innen-Weiterbildung fehlt so einiges.
Zurück zur aktuellen Lage an den Schulen: Überstunden, niedrigsemestrige Studierende und Pensionist*innen, die einspringen. ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek versichert, jede Unterrichtsstunde könne gehalten werden. Die Gewerkschaft kritisiert „das Löcherstopfen“.
Das sehe ich auch so. Wir schaffen es nur, das System aufrechtzuerhalten - vom Ideal sind wir weit entfernt. Es ist gut, wenn Lehramtsstudierende an die Schulen kommen. Aber an Mittelschulen gibt es das Problem, dass viele Lehrkräfte fachfremd unterrichten müssen. Gegenstände, für die sie fachlich nicht ausgebildet sind. Das sind zusätzliche Herausforderungen, die ernst zu nehmen sind.
Sehen Sie irgendwo auch positive Signale, die den Lehrer*innenberuf wieder aufwerten könnten?
Ich habe das Gefühl, dass es durch die Corona-Pandemie langsam mehr Anerkennung für Lehrende gibt. Eltern hatten plötzlich viel mehr mit Schule zu tun, sind im Homeschooling neben den Kindern daheim gesessen und haben erkannt, dass es nicht einfach ist, junge Menschen zum Lernen zu motivieren. Diese Wertschätzung ist essenziell. Aber da gibt es noch viel Luft nach oben.
FM4 Auf Laut zum Lehrer*innenmangel
Über 8600 neue Lehrkräfte wurden heuer in Österreich für den Schulstart gesucht. Die meisten Stellen sind besetzt, viele noch immer nicht. Woran hakt es? Wie macht sich der Lehrer*innenmangel im Unterricht bemerkbar? Claus Pirschner diskutiert darüber mit Schüler*innen, Eltern, Lehrkräften und Anrufer*innen, am Dienstag, 13.9. 2022, ab 21:00. Die Nummer ins Studio: 0800 226996
Publiziert am 13.09.2022