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Wer kann dazu schon Nein sagen?

Mit „Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ gelingt Verena Roßbacher der Spagat zwischen lustigem und traurigem Buch, zwischen Leben und Tod und Freundschaft und Familie. Und noch dazu gibt’s viele Werbesprüche.

Von Zita Bereuter

„Handke sagte einmal, über Sexualität gebe es nichts zu schreiben. Er sagte, auch im Kino schaue er immer weg, Sexszenen würden alle erniedrigen, die Zuschauer wie die Darsteller. Handke und ich sind weiß Gott nicht immer einer Meinung, aber in dieser Sache muss ich ihm auf die Schulter klopfen“, erklärt die Erzählerin, Charly Benz, in „Ein paar Worte vorneweg“. Also geht sie im Folgenden nicht lange auf Sexszenen ein. Aber - so viel darf man vorwegnehmen, schließlich steht es auch auf dem Klappentext - schwanger ist sie dann doch, und es gibt drei potenzielle Väter.

Mit Charly Benz hat Verena Rossbacher eine großartige Frau geschaffen, recht eigen mit einem unzerstörbaren Optimismus und doch immer am Rande des Chaos.

„Wenn Karl Lagerfeld behauptete, wer eine Jogginghose trage, habe die Kontrolle über sein Leben verloren, konnte ich nur sagen: Kann schon sein, Karl. Da ich aber nie das Gefühl hatte, die Kontrolle über mein Leben zu haben, gab es da eigentlich nichts zu verlieren.“ Also trägt Charly Benz daheim ihren pinken Jogginganzug und erholt sich rauchend und trinkend von ihrem Job im Marketing für die vegane Food-Company ‚LuckyLili‘. Ihr Leben sieht sie eher nüchtern:

Mein Privatleben: ein Desaster. Mein Job: vollkommen überflüssig. Fachwissen in irgendwas: null. (…) Dazu ein Aussehen wie eine demolierte Giraffe mit schlechter Konstitution.

Cover: Eine Tasse ist umgekippt

Kiepenheuer & Witsch

„Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ von Verena Roßbacher ist bei Kiepenheuer und Witsch erschienen. Der Roman steht auf der Longlist für den österreichischen Buchpreis. Verena Roßbacher liest am 5. Oktober 2022 im Theater am Saumarkt in Feldkirch.

Ihre Komplexe und Ängste trägt die Anfang 40-Jährige auf dem Silbertablett vor sich her. Beispielsweise hat sie Postangst, also Angst, ihre Post zu öffnen. Dafür hat sie den „PostEngel“ - Herrn Schabowski, einen höflichen und klugen Beamten, der gegen gutes Geld ihre Post öffnet und sich dann um die Bearbeitung und Beantwortung kümmert. Letztlich eine Art Gesprächstherapie mit viel Kaffee und Zigaretten.

Herr Schabowski bringt Charly auch dazu, eine Familienaufstellung zu besuchen. Ein Geburtstagsgeschenk von Charlys Schwester Sybille, die in den unendlichen Weiten der Esoterik wirkt. „Sie ist eine Esoterik-Nudel vor dem Herrn und hat es trotzdem zum großen Geld gebracht. Ist doch sehr erstaunlich“, meint Verena Rossbacher über die Figur, die ihr am meisten Freude bereitet.

Bei dieser Familienaufstellung trifft Charly Benz ausgerechnet auf den Dragaschnigg. In den war sie zwischen 12 und 16 total verknallt. Aber nicht nur der Dragaschnigg tritt plötzlich in ihr Leben, es gibt noch zwei weitere Männer (Hans Hänse Quandt und Mo Gabler), und schließlich wird Charlie schwanger, weiß aber nicht, von wem. Ein Hotel in Bad Gastein erbt sie auch noch. All das erfährt man schon im Klappentext. Und all das klingt nach einem seichten Plot.

Tatsächlich aber schafft es Verena Rossbacher, viel Schlaues über das Leben und den Tod, über Freundschaft und Familie zu erzählen – und das extrem humorvoll. Nicht leicht, erklärt Verena Rossbacher im Interview: „Ich wollte ein sehr lustiges Buch schreiben und ich wollte ein sehr trauriges Buch schreiben. Ich hatte im Sinn, diese beiden Pole zu öffnen und damit quasi auch diese Fallhöhe herzustellen.“

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Verena Roßbacher, geboren 1979 in Bludenz, aufgewachsen in Österreich und der Schweiz, studierte einige Semester Philosophie, Germanistik und Theologie in Zürich, dann am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. „Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ ist nach ihrem Debüt „Verlangen nach Drachen“ (2009), „Schwätzen und Schlachten“ (2014) und „Ich war Diener im Hause Hobbs“ (2018) ihr vierter Roman.

Charly Benz scheint irgendwie aus der Zeit gefallen – nicht nur mit ihrer antiquierten Sprache –, auch wenn sie sich bei Tinder versucht, über Duckfaces nur lachen kann und immer wieder Werbung zitiert. Letztlich besticht sie durch ihren Humor, und Humor macht auch für Verena Rossbacher alles besser: „Wenn man mich fragen würde, was bei einem Mann am wichtigsten ist, würde ich immer sagen: Humor. Dann kommt lange nichts. Und das gilt auch bei einer Frau. Humor und dann lange nichts. In jeder Lebenslage.“

Was will man in Zeiten wie diesen mehr als eine Geschichte, die einen immer wieder zum Lachen bringt, in der aber gleichzeitig so viel Weisheit liegt, dass man sich auch die großen Fragen des Lebens stellen kann.

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