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Sextoys, vibrierende Schuhe & Co: So schummeln Schachprofis

Seit der Niederlage des Schachweltmeisters Magnus Carlsen gegen den Schachjungspund Hans Niemann brodelt es in der Schachcommunity. Niemann wird Betrug vorgeworfen - es gilt die Unschuldsvermutung. Aber wie schummeln Profis in Schachturnieren und wie standhaft sind die Theorien rund um die skandalöse Schachpartie?

Von René Froschmayer

Der Name Hans Niemann lässt derzeit viele Menschen in der Schachcommunity die Stirn runzeln. Nach seinem Sieg gegen den norwegischen Schachweltmeister Magnus Carlsen beim Sinquefield Cup in St. Louis tobt die Schachlandschaft. Nach seiner Niederlage verkündete der amtierende Weltmeister nämlich, aus dem Turnier auszusteigen. Indirekt deutete Carlsen in einem Tweet an, einem Schachbetrüger aufgesessen zu sein.

Seither melden sich unzählige, teils selbsternannte Schachexpert*innen zu dem Fall zu Wort und die Hexenjagd gegen Hans Niemann ist im vollen Gang. Beweise, die gegen Niemann sprechen, gibt es bisher nicht.

In einem Interview gestand der 19-jährige US-Schachgroßmeister jedoch, in der Vergangenheit zwei Mal bei Onlineschachpartien geschummelt zu haben. Als Folge wurde er von der wichtigsten Onlineschachplattform chess.com verbannt. Die Community rätselt, Untersuchungen sind im Gange.

Viele Schachturniere sind mit hohen Preisgeldern dotiert. Ein Gewinn zahlt sich also im wahrsten Sinn des Wortes aus. Warum also nicht mit unlauteren Mitteln etwas nachhelfen und ordentlich absahnen? Da stellt sich doch die Frage:

FM4 Podcast Interview Podcast (Interviewpodcast)

Radio FM4

Das Gespräch mit Valentin Dragnev gibt es auch im FM4 Interview Podcast. Auf ORF Sound und überall wo es Podcasts gibt.

Wie kann man beim Profi-Schach schummeln?

Darüber haben wir mit Valentin Dragnev gesprochen. Der 23-jährige Schachgroßmeister ist Österreichs Nummer 2 im Profischachranking. Neben seinem Studium spielt Dragnev für den SK Ottakring und die tschechische Extraliga. Außerdem ist Valentin Dragnev Mitglied im Schachkader des FC Bayern München - denn Fußball ist dann doch nicht alles.

Radio FM4: Erst kürzlich hat der amtierende Schachweltmeister Magnus Carlsen in einem Turnier eine Partie verloren. Seither brodelt es in der Schachcommunity - es wird vom größten Schachskandal der letzten Jahre gesprochen. In aller Kürze: Worum geht es dabei?

Valentin Dragnev: Bei einem Turnier, bei dem die stärksten Spieler*innen der Welt versammelt waren, hat ein junger Spieler aus den USA den aktuellen Schachweltmeister Magnus Carlsen besiegt. Und das mit einem sehr überzeugenden Stil. Daraufhin hat der Weltmeister dann indirekt die Vermutung ausgesprochen, dass dieser Jugendspieler, Hans Niemann, geschummelt haben könnte. Aktuell ist die Schachwelt gespalten, ob dieser Spieler tatsächlich betrogen hat oder nicht.

Radio FM4: Hans Niemann wird von manchen Seiten als Rising Star in der Szene gefeiert. Der 19-jährige hat aber offenbar mit zwölf Jahren öfter beim Onlineschach auf der wichtigsten Onlineschachplattform chess.com geschummelt. Welche Vorkehrungen werden denn im Onlineschach gegen Schummelversuche getroffen?

Valentin Dragnev: Schummeln im Onlineschach funktioniert im Prinzip so: Man lässt sich von einem Computerprogramm Züge ansagen. Da Computerprogramme stärker sind als alle menschlichen Schachspieler, kann durch den Einsatz dieser Technologien sehr einfach jeder Mensch besiegt werden. Im Onlineschach funktioniert das natürlich besonders einfach, da man einfach parallel eine Software laufen lassen kann, die dann die notwendige Hilfe bereitstellt. Es ist aber so, dass große Websites Anti-Cheating-Programme entwickelt haben, die dafür sorgen, dass sowas entdeckt werden kann. Trotzdem gelingt es leider immer wieder, wie wir gesehen haben.

Im „Offline-Schach“ zu schummeln ist um einiges schwieriger. Da wird schon irgendeine Form von elektronischen Hilfsmitteln benötigt.

Radio FM4: Wie sehen die Anti-Cheating-Vorkehrungen im „Offline-Schach“ aus?

Valentin Dragnev: Bei jedem seriösen Turnier gibt es Electronic Checks. Der ganze Körper, alles, was der Spieler mit sich trägt, wird auf jegliche Form von Elektronik untersucht.

Elektronische Schachhilfsmittel können auch in Schuhen versteckt werden - hier ein anschauliches Beispiel.

Das kann man sich ähnlich vorstellen wie die Checks am Flughafen. Man kann aber vermuten, dass die Elektronik und der technologische Fortschritt schon so weit sind, dass man diese Kontrollen durchaus umgehen kann. Wenn man zum Beispiel sehr, sehr kleine elektronisches Devices mit sich schmuggelt, dann könnten die Kontrollen schon ausgetrickst werden.

Radio FM4: Wie wird im Profischach aktuell geschummelt? Was ist state of the art?

Valentin Dragnev: Das ist schwer zu sagen. Wenn geschummelt wird, werden die Spieler*innen sofort gesperrt. Sehr viel im Schach basiert tatsächlich auf Vertrauen. Man kann jedoch nie wissen, ob ein*e Spieler*in schummelt. Man hofft einfach auf den moralischen Anstand, es nicht zu tun. Und tatsächlich würde es auch einigermaßen auffallen. Nicht unbedingt am Verhalten, sondern an den Spielzügen. Mit viel Erfahrung lässt sich intuitiv sagen, ob ein Zug „menschlich“ oder „unmenschlich“ ist. Es gibt gewisse Konzepte, Ideen, Richtlinien, nach denen normalerweise gespielt wird. Diese Richtlinien werden aber nicht unbedingt von Computern befolgt, weil sie einfach anders programmiert sind. Das heißt, oft kommt es da zu Zügen, auf die ein Mensch niemals kommen würde. Und wenn man sieht, dass ein Mensch vermehrt solche Züge spielt, dann ist das schon ein Indiz dafür, dass etwas nicht stimmen könnte. Eben solche Indizien gibt es jetzt auch in diesem Fall Niemann gegen Carlsen. Aber nicht nur diese Umstände könnten dabei für Schummlerei sprechen.

Radio FM4: Was spricht denn noch dafür?

Valentin Dragnev: Es sind nicht nur unmenschliche Züge, die jetzt in diesem Fall eine Rolle spielen. Es ist auch die Tatsache, dass Niemann eigentlich sehr wenige bis gar keine Fehler gemacht, was schon auch sehr unüblich ist. Noch dazu hat Niemann mit Schwarz gespielt (Anm.: Weiß beginnt im Schach die Partie und hat somit einen Vorteil). Er hat mit so einer Leichtigkeit den Weltmeister besiegt, das es einfach unglaublich ist. Selbst die erfahrensten und stärksten Spieler der Welt können den Weltmeister nicht einfach so mit Schwarz besiegen. Und dazu kommt auch noch, dass dieser junge Spieler bis vor kurzem relativ unbekannt war. Er hat innerhalb des letzten Jahres einen sehr großen Fortschritt in seiner Spielstärke gemacht. Solche bemerkenswerten Partien zu spielen, erregt dann schon ordentlich Aufmerksamkeit.

Valentin Dragnev

Valentin Dragnev

Schachgroßmeister Valentin Dragnev ist unter anderem Mitglied im Schachkader des FC Bayern München.

Radio FM4: Wie einfach oder wie schwer ist es bei Schach Turnieren zu schummeln? Und wie oft kommt das vor?

Valentin Dragnev: Das ist schwer zu beantworten, hier gibt es vermutlich eine hohe Dunkelziffer. Ich habe nie versucht zu schummeln. Ich denke aber, wenn man wirklich mehrere tausend Euro in irgendeine Hightech Ausrüstung investiert, dann könnte ich mir vorstellen, dass das gar nicht so schwer ist. Es gab sehr viele Fälle, in denen geschummelt wurde, indem einfach ganz klassisch ein Smartphone irgendwo im Turniersaal oder auf der Toilette versteckt wurde. Nach jedem Zug sind die Spieler*innen aufgestanden und haben geschaut, was ihnen das Programm vorschlägt. Das fällt aber natürlich auf, es ist keine subtile Methode und es wurden viele Versuche entlarvt. Aber was Schummelmethoden mit sehr kleinen, gut versteckten Hightechgeräten betrifft: Da vermute ich, dass es relativ einfach wäre, wenn man nur das nötige Kleingeld investiert.

Radio FM4: Hattest du in deiner bisherigen Karriere Berührungspunkte mit Schummlern?

Valentin Dragnev: Naja, es kommt immer wieder vor, dass Verdächtigungen gegen andere Spieler*innen bestehen. Bei Turnieren sind meistens sehr viele Spieler*innen anwesend. Oft gibt es Personen, die sich in irgendeiner Form verdächtig verhalten oder eben verdächtige Partien spielen. Aber solange es keine klaren Beweise gibt, gilt die Unschuldsvermutung.

Radio FM4: Der Skandal rund um die Partie von Carlsen und Niemann hat auch das Internet ordentlich angeheizt. Unzählige Theorien, wie Niemann geschummelt haben soll, sind als Folge aufgetaucht. Die mit Sicherheit wildeste Theorie hat mit vibrierenden Analkugeln zu tun. Ist an diesen Spekulationen aus deiner Sicht etwas dran?

Valentin Dragnev: Das ist eine sehr kuriose Theorie, die jetzt aktuell im Internet die Runde macht. Ich habe mir nicht allzu große Gedanken darüber gemacht. Aber im Prinzip: so lächerlich wie sie klingt, könnte diese Theorie trotzdem durchführbar sein. Die Vibrationen könnten Signale, versteckte oder verschlüsselte Botschaft, übermitteln. So kann ein Zug signalisiert werden. Wo genau diese Vibration stattfindet, ist ja letztendlich nicht entscheidend. Je versteckter das ist, umso effizienter. Das heißt, komplett von der Hand zu weisen ist diese Theorie wahrscheinlich nicht. Ob sie in diesem Fall tatsächlich zutrifft, kann ich nicht beurteilen.

Radio FM4: Ganz generell: Wie bewertest du persönlich als Schachgroßmeister den Skandal?

Valentin Dragnev: Also ich denke auf jeden Fall, dass das weiter untersucht werden sollte – das passiert momentan ja auch. Der Weltmeister hat indirekt ein Statement abgegeben. Ich gehe davon aus, dass er sich noch dazu äußern wird. Grundlose Beschuldigungen ist man von einem Schachweltmeister nicht gewohnt. Ansonsten bleibt nur abzuwarten, wie sich der Skandal weiterentwickelt.

Radio FM4: Ist es überhaupt noch möglich im Nachhinein herauszufinden, ob Niemann geschummelt hat?

Valentin Dragnev: Man kann hoffen, dass irgendwo Ungenauigkeiten passiert sind, die man dann im Nachhinein entdecken kann. Wenn es eine perfekte Schummel-Aktion war, dann wird man es wahrscheinlich nicht beweisen können.

Radio FM4: Von außen betrachtet: Handelt es sich überhaupt um einen Skandal, wenn der Schachmeister einmal eine Partie verliert?

Valentin Dragnev: Dass der Weltmeister eine Partie verliert ist im Grunde normal, das kommt immer wieder mal vor. Aber was passiert ist, ist ja, dass der Weltmeister daraufhin vom Turnier zurückgetreten ist. Und das kam noch nie vor. Das war der eigentliche Skandal. Dazu kommen all die Umstände, die in diesem Fall mitschwingen. Danach kam ja eben noch heraus, dass Niemann in der Vergangenheit tatsächlich im Onlineschach geschummelt hat – er hat es selbst zugegeben. Gefühlt kommt jeden Tag etwas Neues zu der Sache dazu. Das macht das Ganze schon zu einem Skandal.

Radio FM4: Ein bisschen wirkt das ganze auch wie ein gekränktes Ego eines Schachweltmeisters.

Valentin Dragnev: Ja, das könnte man vermuten. In der Vergangenheit ist es schon öfter vorgekommen, dass er auch einmal gegen Schwächere oder Jugendspieler verloren hat, so wie in diesem Fall. Aber nie hat man eine ähnliche Reaktion bei ihm beobachten können. Das heißt, es ist ein sehr, sehr ungewohntes Verhalten vom Weltmeister. Und deswegen glauben ich und die meisten Expert*innen, dass er durchaus irgendwelche triftigen Gründe dafür gehabt haben muss.

Radio FM4: Wie denkst du, wie dieser Skandal Profischach und die Schachszene beeinflussen wird?

Valentin Dragnev: Einerseits hoffe ich natürlich, dass es dadurch zu positiven Entwicklungen im Sinne von schärferen Kontrollen kommen wird. Ich hoffe, dass das eine positive Folge sein wird, unabhängig vom Ausgang des Falls – egal ob jetzt Carlsen mit seinen Anschuldigungen recht behält oder nicht.

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