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Bilder von der Pasterze im Jahr 2022

Simon Welebil

Österreichs Gletscher werden bald Geschichte sein

Der Hitzesommer 2022 hat den Gletschern besonders stark zugesetzt. An Österreichs größtem Gletscher, der Pasterze, kann man die Klimakrise fast in Echtzeit mitverfolgen.

Von Simon Welebil

So augenscheinlich wie auf der Franz Josefs Höhe im Nationalpark Hohe Tauern bekommt man den Klimawandel wohl selten irgendwo zu sehen: Der Aussichtspunkt wurde in den 1930er Jahren im Zuge des Baus der Großglockner Hochalpenstraße errichtet, um Touristenmassen einen direkten Blick auf Österreichs längsten Gletscher zu ermöglichen. Heute zeigen Schautafeln historische Fotografien aus jener Zeit, in der die Gletscherzunge der Pasterze eine gigantische, hunderte Meter hohe und viele Kilometer lange, weiße Eisfläche war. Richtet man seinen Blick über die Schautafel in die Ferne nach unten auf den Pasterzenboden, ist dort nicht mehr viel vom Gletscher zu erkennen. Die Gletscherzunge ist zusammengebrochen und hat vor 15 Jahren einem großen Schmelzwassersee Platz gemacht. Auf großen Teilen der restlichen Gletscherfläche liegt dunkler Schutt.

Bilder von der Pasterze im Jahr 2022

Simon Welebil

Professor Gerhard Karl Lieb von der Uni Graz ist einer der beiden Leiter des Gletschermessdienstes des österreichischen Alpenvereins. Er führt seit 1988 Messungen hier auf der Pasterze durch. Damals hätte die noch dem Idealbild eines alpinen Talgletschers entsprochen, mit langer Gletscherzunge und großem Nährgebiet, aus dem reichlich Eis nachgeströmt ist. „Dieser Eindruck ist im Lauf der Zeit sukzessive verloren gegangen, zu einem Gletschersystem, in dem eine Gletscherzunge tief im Tal kaum mehr mit den großen Firnfeldern in den höheren Lagen zusammenhängt“, so Gerhard Karl Lieb.

Alleine in seiner Zeit als Gletschermesser auf der Pasterze hat sich der Gletscher über einen Kilometer weit zurückgezogen und mehr als 100 Meter an Mächtigkeit verloren. Die Station der Gletscherbahn, die 1963 errichtet worden ist, um die Besucher*innen vom Parkplatz zum Gletschereis zu bringen, ist mittlerweile eine anständige Wanderung von der Gletscherzunge entfernt.

Bilder von der Pasterze im Jahr 2022

Simon Welebil

2022 als besonders ungünstiges Jahr für die Gletscher

Der Hitzesommer 2022 war für die österreichischen Gletscher besonders ungünstig, erklärt Andreas Kellerer-Pirklbauer, der zweite Leiter des Gletschermessdienstes. Kaltlufteinbrüche, die sonst auch im Sommer Neuschnee ins Hochgebirge bringen, der wiederum viel Sonnenstrahlung reflektiert, sind heuer nahezu ausgeblieben. Solche Gunstphasen für den Gletscher im Sommer würden mit dem Klimawandel allerdings immer seltener.

2022 waren die Gletscher schon im Frühsommer schneefrei und damit ohne Schutz der Sonnenstrahlung ausgeliefert. Sand aus der Sahara, den der Wind bis in die Alpen verfrachtet hat, hat die Abschmelzung noch weiter beschleunigt.

Lieb und Kellerer-Pirklbauer haben gemeinsam mit anderen in den letzten Tagen, am Ende der sogenannten „Zehrperiode“, also bevor die Gletscher wieder zugeschneit werden, die Pasterze vermessen. Diese Vermessungen werden von Jahr zu Jahr schwieriger, einerseits durch den See, der traditionelle Messmethoden mit Maßband verhindert, andererseits weil man durch die vielen Ablagerungen nicht immer gleich erkennen kann, wo denn der Gletscher beginnt.

Gletschervermessung auf der Pasterze

Österreichischer Alpenverein / Alexander Doric

Gletschermesser bei der Arbeit auf der Pasterze.

Im Vorjahr hat die Pasterze - unter für die Gletscher weniger schlechten Bedingungen - 42,7m an Länge verloren. Die exakten Daten für heuer liegen noch nicht vor, aber der Verlust sei auf jeden Fall größer, möglicherweise 50, 60 oder gar 70 Meter, meint Kellerer-Pirklbauer. Und was das Eisvolumen angeht, vermutet Kellerer-Pirklbauer einen Verlust von 15 Millionen Kubikmeter, ungefähr das Volumen des Lunzer Sees in Niederösterreich.

„Gletscher wechseln von der Geographie zur Geschichte“

Gerhard Karl Lieb hat sich mit dem Verlust der Gletscher mittlerweile abgefunden. „Wenn man über Jahrzehnte regelmäßig auf Gletscher geht und immer nur dasselbe beobachtet, nämlich einen massiven Gletscherrückgang, dann wird man mit der Zeit abgebrüht und dieser Gletscherrückgang wird zu etwas ganz Normalem, das einen emotional nicht mehr berührt.“ Es klingt bei ihm nicht einmal besonders zynisch, wenn er sagt, dass die Gletscher in Österreich das wissenschaftliche Fach wechseln, von der Geographie zur Geschichte.

Bilder von der Pasterze im Jahr 2022

Simon Welebil

Gerhard Karl Lieb (links) und Andreas Kellerer-Pirklbauer (Mitte).

Nur ein bisschen Wehmut klingt mit, wenn er feststellt, dass die Gletscher in Österreich nicht mehr landschaftsprägend sein werden und es sie nur mehr in den allerhöchsten Gebirgsgruppen geben wird. Mit den Gletschern gehe außerdem ein Nationalsymbol verloren, ähnlich wie das Great Barrier Reef in Australien. „Diesbezüglich wird sich das Nationalsymbol massiv ändern und in Zukunft vielleicht eher die Hochgebirgslandschaft per se sein.“

Symbol für verfehlte Klimapolitik

Neben dem Nationalsymbol sind die Gletscher in Österreich aber auch ein Symbol für verfehlte Klimapolitik, sagt Lieb, „denn dieser sehr massive Gletscherrückgang ist eine Folge dieser jüngsten Klimaentwicklung, die durch zu hohe Emissionen und den Treibhauseffekt letztlich überwiegend vom Menschen selbst gemacht ist.“

Doch auch wenn Österreichs Gletscher verloren sind, müsse der Kampf gegen die Klimakrise intensiv geführt werden, denn auf globaler Ebene steht noch zu viel auf dem Spiel. Aufhalten könne man die Erderhitzung wohl nicht mehr, höchstens abmildern, „aber alleine dieses Abmildern wäre alle Versuche wert.“

Bilder von der Pasterze im Jahr 2022

Simon Welebil

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