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Wer hat die Wahl? Staatsbürgerschaft und Wahlrecht

In Österreich leben knapp 1,4 Millionen Menschen ohne Wahlrecht. Ihre Zahl steigt, doch eine Änderung ist nicht in Sicht. Das ist nicht nur für die Betroffenen ein Problem, sondern für die gesamte österreichische Demokratie.

Von Ali Cem Deniz

An Wahlabenden geht es, direkt nach der Frage, wer wen gewählt hat, darum, wie viele überhaupt wählen waren. Die Höhe der Wahlbeteiligung gilt als wichtiges Indiz für eine lebendige und funktionierende Demokratie. Von der ÖH-Wahl bis zur US-Präsidentenwahl bereitet das abnehmende Interesse der Wahlberechtigten vor allem westlichen Demokratien Kopfzerbrechen. Verglichen damit spielt die Tatsache, dass der Anteil derer, die überhaupt wählen gehen dürfen, auch immer geringer wird, weiterhin eine untergeordnete Rolle. Dabei ist gerade hierzulande das Problem massiv, wie die kommende Bundespräsidentenwahl zeigt. Da dürfen bereits 1,4 Millionen über 16-Jährige nicht wählen. Sie haben keine österreichische Staatsbürgerschaft.

Wahlbevölkerung schrumpft

Vor 20 Jahren waren es 580.000 Menschen, die nicht wählen durften. In der Zwischenzeit ist die Bevölkerung gewachsen, aber die Menge der Wahlberechtigten stagniert. Das hat einerseits mit den großen Migrationswellen von 2015 zu tun, andererseits mit dem restriktiven Staatsbürgerschaftsrecht in Österreich. Insbesondere in den städtischen Gebieten, wo viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, steigt die Zahl der Nicht-Wahlberechtigten. In Innsbruck und Salzburg sind einer APA-Recherche zufolge 30 Prozent von der Wahl ausgeschlossen. In Wien ist insgesamt ein Drittel nicht wahlberechtigt; in einzelnen Bezirken ist die Quote deutlich höher. In Favoriten sind es mehr als 40 Prozent, in Hietzing sind 21 Prozent nicht wahlberechtigt. In manchen Gegenden hängen die Wahlplakate fast umsonst. Die meisten, die an ihnen vorbeigehen, dürfen gar nicht wählen.

Das Problem wächst

Bei den kommenden Wahlen dürfte die Zahl der Nicht-Wahlberechtigten weiter ansteigen. Die Zahl der Einbürgerungen ist zwar im ersten Halbjahr 2022 stark gestiegen, aber das liegt zum einen daran, dass durch eine Gesetzesänderung Nachfahren von NS-Opfern die Staatsbürgerschaft erhalten haben, und zum anderen daran, dass in den Corona-Jahren 2020 und 2021 die Einbürgerungen auf ein historisches Tief gefallen sind. Der temporäre Anstieg muss also nicht unbedingt nachhaltig sein, denn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Staatsbürgerschaft sind trotz intensiver Debatten unverändert geblieben.

Für die Betroffenen heißt das, dass sie kein Mitspracherecht über politische Entscheidungen haben, die ihr Leben direkt beeinflussen. Parteien können im Grunde über ihre Köpfe hinweg Politik machen, ohne auf sie Rücksicht zu nehmen. Aber auch für die privilegierten Wahlberechtigen könnte das zunehmend zum Problem werden, meint etwa der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. Langfristig bedeutet die schrumpfende Wahlbevölkerung, dass bestimmte Gruppen, wie etwa die ältere Bevölkerung, überrepräsentiert sind.

Diskussion unerwünscht

In den vergangenen Jahren haben zwar SPÖ, Grüne und NEOS immer wieder vorsichtig Debatten über die Staatsbürgerschaft angestoßen, aber konkrete Änderungen sind ausgeblieben. Insbesondere ÖVP und FPÖ wehren sich gegen Lockerungen. Die Staatsbürgerschaft und damit auch das Wahlrecht soll erst am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses erworben werden. Für die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger hingegen würde eine Lockerung der Staatsbürgerschaft und die Erweiterung des Wahlrechts die Integration erleichtern.

Eine andere Möglichkeit wäre es, nur das Wahlrecht auszuweiten. In New York etwa möchte man ab 2023 das Wahlrecht für Nicht-Staatsbürger, die eine permanente Aufenthaltserlaubnis haben, einführen. In Dänemark können bei Lokalwahlen auch Nicht-EU-Staatsbürger, die mindestens seit vier Jahren im Land leben, eine Stimme abgeben.

Für Filzmaier wäre ein Wahlrecht, das nicht an die Staatsbürgerschaft, sondern an die Aufenthaltsdauer geknöpft ist, auch für Österreich eine Option. Allerdings solle die Diskussion darüber nicht in Wahlkampfzeiten stattfinden. Die letzte große Änderungen im österreichischen Wahlrecht gab es 2007, als das Wahlalter von 18 auf 16 Jahren gesenkt wurde.

Gerd Valchars, der bereits 2006, als das Problem noch wesentlich kleiner war, über die „defizitäre Demokratie“ geschrieben hat, zweifelt auch daran, dass es bald zu einer Änderung kommen könnte. Dafür braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Die wiederum wird es auch nicht so schnell geben, schließlich sind die, die das ändern würden, von der Wahl ausgeschlossen.

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Der Wahlkampf ist voll im Gange. Bundespräsident Alexander Van der Bellen und seine Herausforderer kämpfen um jede Stimme. Doch knapp 1,4 Millionen Menschen, die in Österreich leben, dürfen gar nicht wählen, obwohl sie im wahlfähigen Alter sind. Sie haben keine österreichische Staatsbürgerschaft. Gerade der Anteil der jungen Menschen, die nicht wählen dürfen, steigt stark. Was bedeutet dieser Ausschluss für die Betroffenen? Was wird aus der österreichischen Demokratie, wenn die Wahlbevölkerung weiter schrumpft? Ali Cem Deniz diskutiert mit euch und Expert*innen.

Dienstag, 20. September 2022, von 21 bis 22 Uhr, auf Radio FM4

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