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Hatay Engin als junger Mann mit Lippenstift bei Auftritt.

filmfaust, Film Five

Cem Kayas Kino-Doku „Liebe, D-Mark und Tod“

Sie haben Millionen Alben verkauft, aber außerhalb türkischer und kurdischer Familien sind ihre Namen viel zu unbekannt: „Liebe, D-Mark und Tod“ bringt die Stars von Gastarbeiter*innen ins Kino. Die Doku erzählt türkisch-deutsche Musik- und Sozialgeschichte.

Von Maria Motter

Wenn der Regisseur Cem Kaya HipHopper aus türkisch-deutschen Familien fragt, ob sie in der Tradition von Islamic Force stehen, schauen sie ihn nur groß an und verneinen. Sie hören französischen HipHop und sind mit Tupac aufgewachsen. Doch Cem Kaya ist als kleines Kind im Gazino auf zwei zusammengerückten Stühlen eingeschlafen, wenn seine Eltern für Live-Musik ausgingen. 1976 ist der Filmemacher in Schweinfurt auf die Welt gekommen und seine neue Kino-Doku „Liebe, D-Mark und Tod“ bringt die Musik der Einwanderer*innen aus Anatolien auf die Leinwand.

Und das Phänomen der Gazinos, dieser Musikrestaurants für die ganze Familie, wird darin ebenso beleuchtet wie die Lebensgeschichten von Stars, deren Namen viele Menschen nun zum ersten Mal hören werden. In kurzen Portraits taucht man ein in diese Biografien. Der Rockmusiker Cem Karaca hat auch auf Deutsch gesungen und seine Band hieß „Kanaken“. Deutschland war ihm ein Exil, weil seine Auftritte in der Türkei nicht gern gesehen waren. Im Film sieht man ihn ins Flugzeug steigen, dann wieder durch eine türkische Stadt schlendern.

Der türkische Sänger Hatay Engin in der Doku "Liebe, D-Mark und Tod".

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Der queere Sänger Hatay Engin war einer der Stars des großen „Türkischen Basars“ in Berlin: 20 Jahre lang muss das ein magischer Ort in der U-Bahnstation Bülowstraße gewesen sein. Noch das Schwarzweiß-Foto im Film glänzt (siehe auch Titel dieser Geschichte).

Yüksel Özkasap wird heute noch die „Nachtigall von Köln“ genannt. Sie wurde als junge Frau in edlen Kleidern in ihren Musikvideos gleich von mehreren Bağlama-Spielern begleitet, hat Millionen eigener Platten verkauft und ein Label mitbegründet.

Yüksel Özkasap ist eine der bekanntesten türkischen Sängerinnen in Deutschland. Sie zeigt eine ihrer goldenen Platten in der Kino-Doku "Liebe, D-Mark und Tod".

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Yüksel Özkasap

Das Bild des „singenden Südländers“

Ob er auch für ein Konzert von Udo Jürgens zahlen würde, fragt ein Reporter in einer der historischen Aufnahmen im Film „Liebe, D-Mark und Tod“ einen migrantischen Fabriksarbeiter. Für Musik, die Trost, Widerstand und Sehnsucht zum Ausdruck brachte, gaben die Menschen ihr schwer verdientes Geld aus.

„Liebe, D-Mark und Tod“ dokumentiert auch den Umgang Deutschlands mit den Menschen, die als Arbeitskräfte ins Land gerufen wurden, um den eigenen Wohlstand weiter auf- und auszubauen. Das Bild des „singenden Südländers“ galt in den 1960er Jahren als Ausdruck des Wirtschaftswunders, informiert das Deutsche Historische Museum und hält fest, dass erst Mitte der 1960er Jahre von „Gastarbeitern“ gesprochen wurde. Die Onkel von Cem Kayas Mutter sind nach Deutschland gekommen, um in den Ford-Werken zu arbeiten.

Im Kinofilm wird deutlich, dass von Anfang an auch viele Frauen aus Anatolien nach Deutschland zogen, um dort zu arbeiten. Regisseur Cem Kaya erzählt Musik- und Sozialgeschichte in „Liebe, D-Mark und Tod“ parallel. Großartige Fotos, Archivaufnahmen und Interviews sind schnell geschnitten zu einem Essay-Film über das Leben von Einwanderer*innen aus Anatolien in Deutschland. Ein Hochzeitssänger erklärt, er müsse türkische wie kurdische Lieder können, ja sogar Lieder aus 81 Provinzen kennen, sonst wäre der Gast nicht glücklich und gäbe kein Trinkgeld.

Ein Mann zeigt seine riesige Sammlung von Kassetten türkischer und kurdischer Sänger*innen.

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Bei Releases standen Menschen vor Läden an: Millionen Kassetten wurden verkauft.

Mit dem Wirtschaftsaufschwung in den 1950er Jahren war der Bedarf an Industriearbeitern gewachsen. Die Bundesrepublik Deutschland schloss - wie auch Österreich – Mitte der 1960er Jahre Anwerbeabkommen u.a. mit der Türkei, um Arbeitskräfte zu bekommen. Der Schriftsteller Max Frisch hielt 1965 fest: „Ein kleines Herrenvolk sieht sich in Gefahr: Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen. Sie fressen den Wohlstand nicht auf, im Gegenteil, sie sind für den Wohlstand unerlässlich. Aber sie sind da.“

Bis heute steht das Zitat für den Umgang mit den Einwanderer*innen, denn obwohl bis 1973 14 Millionen Arbeiter*innen vor allem aus der Türkei, Italien, Spanien, Griechenland und dem damaligen Jugoslawien nach Deutschland kamen, gab es seitens der Regierung keine integrativen Angebote. 1973 in der Energiekrise wurde ein Aufnahmestopp ausgerufen. "So lange es viel Arbeit gab, gab man die Drecksarbeit uns ab, doch dann als die große Krise kam, sagte man, wir sind schuld daran“, sang Cem Karaca. “Deutschland wird aus Versehen ein Einwanderungsland“, ist in einem farbenfrohen Insert zu lesen.

Aschug, das ist wie HipHop

„Liebe, D-Mark und Tod“ erzählt auch kurz und bündig von Arbeitskämpfen, Protestsongs und Fremdenhass. Die Passagen zu dem Mordanschlag in Mölln 1993, bei dem Rechtsextreme die Wohnhäuser türkischer Familien in Brand setzten und drei Türkinnen ums Leben kamen, und zu Solingen 1993, wo fünf türkischstämmige Frauen und Mädchen bei einem Brandanschlag ermordet wurden, fallen im Film knapp aus.

„Liebe, D-Mark und Tod“ startet am 7.10.2022 in den Kinos.

Auffallend sind im Film die Protestlieder, die von Gastarbeiter*innen gehört wurden. Sie stehen in der Tradition der Aschugs, sagte Regisseur Cem Kaya anlässlich der Premiere auf der Berlinale. Unter Aschug verstand man einen Musiker, der das soziale Leben in Anatolien kommentierte und Neuigkeiten in Liedform brachte. Jeder könne ein Aschug sein, sagte Cem Kaya: Man müsse improvisieren und drüber singen, das sei sehr ähnlich wie HipHop. Diese Aschugs brachten zur Sprache, was andere vielleicht nicht formulieren konnten, und sie waren Sänger und Sängerinnen. Es gab auch warnende Songs: Kommt nicht nach Deutschland, es ist sehr sündig hier!

Schade ist nur, dass die Doku „Liebe, D-Mark und Tod“ nicht in der Gegenwart heutiger Musiker*innen mit türkischen oder kurdischen Wurzeln ankommt. Das ist einen eigenen Film wert; und diese Aufgabe übernimmt derzeit die klassisch angelegte Doku „Apache bleibt gleich“ über Volkan Yaman, besser bekannt als Apache 207.

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