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Mann mit Vollbart, Pfeife, im Gegenlicht - ein "Hipster"

Pixabay / CC0

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Der Hipster und die Schwarze Tradition

Es war das vielleicht erfolgreichste urbane Subkultur-Phänomen des Jahrtausends: der Hipster. Undercuts und gewachste Bärte, enge Anzüge und Männerstrumpfhalter, Fahrräder ohne Gangschaltung, Kräuterdachgärten in Williamsburg oder Berlin-Mitte - der Hipster überschneidet sich in vielen Dingen mit dem nicht weniger geschmähten BoBo. Ein neues Buch erforscht die Hintergründe des Phänomens.

Von Boris Jordan

Anfang der Nullerjahre hat man diesen Typus überall gesehen, jetzt ist das Hipster-Phänomen schon ein wenig unter die Räder gekommen, man sieht nicht mehr ganz so viele Hipster auf den Straßen - trotzdem erscheint gerade jetzt ein Buch darüber.

Es heißt „Dekolonisiert den Hipster“, stammt von dem französischen Kulturwissenschaftler Grégory Pierrot und ist im Verlag „Edition Nautilus“ in dessen Reihe „Nautilus Flugschrift“ erschienen.

Einerseits verhandeln die Nautilus Bücher auf zugängliche wie streitbare Art ziemlich alle aktuellen Themen links der Mitte: Feminismus, Klimawandel, Identitätspolitik, Sexualität, Drogen, Subkultur, häufig in meist unterhaltsamer, oft polemischer Tonalität. Andererseits scheinen so alle Bücher in dieser Reihe dem Zwang zu unterliegen, ihre Inhalte in einem unterschwelligen Kampfton präsentieren zu müssen, der mindestens einen Umsturz hervorrufen soll. Das kann mithin auf die Nerven gehen. So ist der erste Teil von „Dekolonisiert den Hipster“ ebenfalls recht pamphletisch gehalten.

Der Autor Grégory Pierrot, ein in den USA lehrender Literatur- und Kulturwissenschaftler aus Frankreich, echauffiert sich darüber, was wir teilweise schon wussten: Die „Hipster“ sind in kulturellen wie gesellschaftlichen Dingen eine konsequent rückwärtsgewandte Kultur, festhaltend an vermeintlich stabilen bis ewigen „alten Werten“ und möglichst einfachen, traditionellen Rollenbildern, an Handarbeit, Landleben und einer bis ins Luddistische ragenden Skepsis von Teufelswerk wie Arbeitsteilung, Technologie oder Urbanität. Berühmt ist etwa das kolportierte Hipster-Bonmot, dass kein einziges gutes Buch je auf einem Computer geschrieben worden sei - weshalb die sogenannten Hipster einander gerne gebrauchte Reiseschreibmaschinen unter den Weihnachtsbaum legten.

Gregory Pierrot, Autor von dekolonisiert den hipster

Gregory Pierrot

Autor Grégory Pierrot

Die gesellschaftliche Analyse über die Hipster verdankt das Buch zu großen Teilen dem 2012 erschienenen, sehr empfehlenswerten Essay „Hipster - eine transatlantische Diskussion“ von Mark Greif, dem Herausgeber des n+1 Magazins. In dem steht aber dies alles schon drin - warum sollte man eine Schimpftiraden-Version dieses Buchs herbeisehnen? Dann aber, in Teil 2 und 3, wird es richtig interessant.

Jeunesse Dorée, karibische Erotik, Französischer Jazz

Der Autor, ein schwarzer, in Portland lebender Intellektueller, schleicht sich sich bei den Hipstern ein. Was er herausfinden muss: Eines der herausragendsten Merkmale der Hipster ist ihre „Whiteness“ - fast so, als würden sie darauf Wert legen, dass keine People of Colour sich in Williamsburg oder Portland einnisten. (Wobei ich dem lange in Brooklyn gelebt habenden Kollegen Christian Lehner den Hinweis verdanke, dass die Brooklyn Szene zu ihrer Hoch-Zeit diverser war, als es jetzt rückblickend den Eindruck erweckt - schließlich waren TV on the Radio, denen man einen maßgeblichen Anteil an der Erneuerung des „Black Rock“ zuschreiben darf, ebenfalls dort ansässig, und es soll einen Kreis um Beyoncé-Schwester Solange Knowles gegeben haben, die sich „Blipster“, also Black Hipster nannten.)

Jedenfalls verdanken die Hipster einen großen Teil ihres coolen Selbstwerts Schwarzen kulturellen Codes aus der Vergangenheit, angefangen beim Namen, der ursprünglich für die Schwarze, intellektuelle Jazz-Szene der Vierziger und Fünfziger Jahre geprägt wurde. So waren Dizzy Gillespie, Miles Davis oder John Coltrane typische Hipster der BeBop Zeit, mit denen diese „unsere“ Hipster außer des Namens nicht viel gemeinsam haben.

dekolonisiert den hipster buch cover / pinke große schrift

Maja Bechert / Nautilus

„Dekolonisiert den Hipster“ von Grégory Pierrot, übersetzt von Jan-Frederik Bandel, ist soeben im Nautilus Verlag erschienen.

Doch damit nicht genug: Weil der Autor Franzose ist, gibt es hier keine „Cultural Appropriation“ Lektion der Musikgeschichte der USA (die in dem - dem Vernehmen nach - empfehlenswerten Buch von Jens Balzer ausreichend verhandelt wird), sondern eine Geschichtsstunde in französischer Sub- und Gegenkultur, aus dem Land, das das Wort „Bohème“ erfunden hat.

Pierrot erinnert daran, wie sich weiße, bürgerliche Bohèmes im Frankreich nach der Revolution stark an kreolischen und Karibischen Schwarzen Codes orientiert hatten. So waren zwei Frauen in der Mitte der Napoleonischen Gesellschaft, Joséphine de Beauharnais und Fortunée Hamelin, Erbinnen aus reichen Familien der französischen Karibik; sie prägten in der Imitation von Schwarzen Kleidungs- und Kopfbedeckungsstilen aus ihrer Heimat maßgeblich das Bild der stark erotisierten, mondänen Pariserin mit, das bis heute nachwirkt.

Pierrot erinnert an den Schwarzen Dandy, Schriftsteller, Lügenbold und Lebemann Alexandre Privat D’Anglemont, dessen Stil ganz Paris erfolglos nachgeahmt haben soll. Er berichtet etwa von der „Jeunesse Dorée“, reichen, gelangweilten Pariser Bürgerkindern direkt nach der Revolution, die sich ihre Exaltiertheit und ihre Coolness von kreolischen Vorbildern abgeschaut hatten, eigentlich aber damit beschäftigt waren, Revolutionäre zu verprügeln und zu versuchen, den Adel wieder zu installieren – und beides als künstlerischen Akt zu verbrämen. Schon damals: hedonistisch und politisch rückwärtsgewandt, parallel im Paarlauf, in unheiliger Umarmung.

Oder vom Aufstieg des Jazz in Frankreich, der seiner Ansicht nach daraus bestanden hat, dass sich Schwarze Jazz Artists, die vor der Rassentrennung (und auch der Prohibition) nach Frankreich geflohen waren, mit europäischer Avantgarde vermischt und so Frankreich zur „zweiten Heimat“ des Jazz gemacht haben. Und so weiter.

All das ist sehr lehrreich und überraschend, es kommen Künstler*innen und Namen vor, die auch im englischen oder deutschen Wikipedia nicht ohne Weiteres zu finden sind. Hier gelingt Grégory Pierrot eindeutig eine Erweiterung des üblichen Wissenshorizonts der an Gegenkulturen interessierten deutschsprachigen Leserschaft.

Gentrifizierung und Vice Magazine

Der Autor widmet sich noch einigen Phänomene, die man mit den Hipstern in Verbindung bringen kann, etwa die Gentrifizierung von ehemals Schwarzen und jüdischen Stadtteilen in New York und Portland, dem Aufgreifen der Skinhead Mode bis hin zum eigentlich von Naziskins und Soldaten favorisierten Undercut-Haarschnitt, oder der reaktionären Subkulturen des Post-Punk wie EBM oder Pagan Folk.

Schließlich widmet sich das Buch dem Aufstieg des berühmtesten Organs der Hipster Kultur, des kanadischen Vice Magazines, das eine Zeit lang unter der Rückbesinnung auf die Ironie des Post-Punk hauptsächlich sexistische Witzchen und voyeuristischen Selbstversuchs-Jackass-Journalismus propagiert hat. (Wobei ich vor allem in der Redaktion des österreichischen Vice sehr gute, integre Journalist*innen und Schreiber*innen kennen gelernt habe.)

Hier wird die Gründergeneration des Vice beschrieben, eines Boys Clubs um den Ober-Hipster und Vice-Herausgeber Gavin McInnes, eines bekennenden Antisemiten, Rassisten und Patriarchen, der seine kruden Solidaritäten und Meinungen meist unter dem Mäntelchen der Ironie eines im Punk verwurzelten Anti-Establishment-Reflexes verortet haben will – was ihn nicht hinderte, das New Yorker Alt-Right-Establishment um Steve Bannon und Donald Trump zu hofieren und nebenbei die antifeministische Schlägertruppe Proud Boys zu gründen. In seiner Begegnung mit diesem wohl schmierigsten Macho unter allen Hipstern findet Grégory Pierrot – diesmal zurecht – zu seiner polemischen und sich teilweise vor Abscheu schüttelnden Kampfprosa zurück.

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