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20 Jahre Fluc - Peter Nachtnebel im Interview

Das Fluc feiert seinen 20. Clubgeburtstag. Seit 2002 gibt es diesen magischen Ort am Wiener Praterstern, erst als kleinen Klang- und Projektraum, dann immer größer wuchernd als Konzertvenue in einer ehemaligen Mensa, als Kunstcontainer im Exil des Planetariumgartens und schließlich als preisgekrönte architektonische Großtat in einer umgebauten Fußgängerpassage.

Von Katharina Seidler

„Fluctuated Rooms“ - schon der Name war räumliches Programm und bis heute wird der öffentliche Raum vor der Glasfassade des Fluc mitgedacht. Auch inhaltlich spiegelt sich die Offenheit  der Fluc-Betreiber*innen in dem extrem abwechslungsreichen Line-up von Noise-Konzert bis feministischer Magazinpräsentation, von Technoparty bis Indie-Pop-Show, von Bildender Kunstausstellung bis politischer Plakatpräsentation am Vorplatz. Kein Zweifel, das Fluc steht seit 20 Jahren für gelebten Underground – sein inoffizielles Motto „Tanz die Utopie“ trägt es immer nahe beim Herzen. Auf die nächsten 20 Jahre!

Vor kurzem ist nun der langjährige Booker und Programmchef des Fluc, Peter Nachtnebel, aus dem Team ausgestiegen; er bricht auf zu neuen persönlichen Ufern in der Stadt. Eine gute Gelegenheit, ihn im Prater, an der Allee hinter dem Fluc, zu einem Gespräch zu treffen - über 20 Jahre Clubkultur in Wien, über Community Building und mögliche Zukunftsperspektiven. Natürlich durften auch ein paar Highlights und Schnurren aus dem aufregenden Veranstalterleben nicht fehlen.

Peter Nachtnebel

Privat

Peter Nachtnebel

Katharina Seidler: Du hast 2002 im Fluc begonnen, du warst schon bei der Gründungssitzung dabei. Jetzt, nach 20 Jahren als Booker und Programmchef des Fluc, lässt du es sein. Wie ist es dazu gekommen, dass du gespürt hast, es ist Zeit zu gehen?

Peter Nachtnebel: Wie bei vielen von uns war diese Pandemiezeit eine Zeit der inneren Einkehr, des Überlegens. Ich bin jetzt Ende 40, ich habe noch Lust und Energie, etwas Neues zu starten. Und gefühlsmäßig drängt auch die Jugend sehr stark nach. Es hat im Fluc einige Reformen und Reförmchen gegeben, wo ich als lang gedienter Flucianer nicht so ganz zufrieden war, das muss ich ganz offen und ehrlich sagen. Aber okay, so sind die Dinge, sie verändern sich. New life! Schauen wir, was kommt.

Katharina Seidler: Was hat sich aus deiner Sicht in diesen 20 Jahren am Ausgehen der Menschen verändert?

Peter Nachtnebel: Eine wirkliche Zäsur war das Aufkommen von Social Media. Ab 2005 war das MySpace, dann Facebook, Instagram und so weiter. Die Art und Weise, Partys zu veranstalten, das Community Building von Partys hat sich einfach verändert. Wenn wir von Wien reden: Es gibt natürlich eine viel größere Auswahl als in den 1990er Jahren, als ich sehr viel fortgegangen bin, als man eigentlich mehr oder weniger drei, vier verlässliche, stabile Clubs hatte, wo man regelmäßig hingegangen ist, wo sich wirklich auch so eine Generation abgebildet hat. Bekanntestes Beispiel ist das Flex, wo praktisch alle Kreativmenschen zwischen 35 und 50 oder auch teilweise älter mehrere Abende die Woche ihre Zeit verbracht haben. Vergleichbar mit der Blue Box in den 80er Jahren, das war auch eine eigene Szene. Jetzt ist das Fortgehen flexibler geworden. Es gibt sehr viele Mikro-Genres. Es ist - ich spreche jetzt vor allem von Wien - ein einziger großer Schrebergarten, wo viele Gärtchen nebeneinander beackert werden. Das große Ganze, das Genre-Übergreifende, wie das zum Beispiel ein Dub Club war in den 90ern, das fehlt mir ein bisschen. Dub Club, für die Älteren unter uns, die sich erinnern können, das war am Montag, da waren 800 Leute - also das kann man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen. Zumindest wüsste ich nicht, wo ich das in Wien oder sonst in Österreich finde an einem Montagabend.

Katharina Seidler: Man hört ja auch, dass die jüngeren Leute heute einfach weniger trinken, weniger saufen. Spielt dabei auch eine neoliberalere Strömung in der Gesellschaft eine Rolle? (Anm. nach dem Interview: Es wurde der jungen Generation auch die Unbeschwertheit beim Feiern genommen durch die ökologischen und ökonomischen Zustände der Welt.)

Peter Nachtnebel: Diese Theorie des Neoliberalismus in der Clubszene, darüber könnte man sicherlich nachdenken. Der reduzierte Alkoholkonsum, das stimmt, das kann ich bestätigen von meiner Zeit im Fluc, wo man an manchen Abenden sogar 20 Prozent weniger Alkoholkonsum hat. Was stattdessen gekommen ist, sind diese diversesten Trendlimonaden. Und dann muss man natürlich - Klammer auf - auch noch sagen, dass die Leute gewisse berauschende Substanzen ganz gerne selbst mitnehmen heutzutage, was früher nicht so selbstverständlich war - Klammer zu -, also ja, es hat sich auf jeden Fall verändert.

Katharina Seidler: Jetzt gibt es, wie du gesagt hast, Leute mit verschiedensten Mikro-Interessen. Jeden Tag gibt es neue Genres im Internet, die sofort eine kleine Community haben, was ja auch gut ist. Das Fluc ist ein Ort, an dem sehr viele dieser Dinge stattfinden. Da ist von Bildender Kunst bis Hardtekk Party alles möglich...

Peter Nachtnebel: In der Zeit von 2002 bis 2019 war das Fluc sicherlich ein sehr bunter Blumenstrauß. Wir hatten Lesungen, Ausstellungen, Free-Jazz-Konzerte, Noise Rock. Auch haben wir versucht, die ganze Indie- und Wiener Elektronikszene abzubilden. Das Fluc war sicherlich so einer der Frontrunner in Wien, die die Vielfalt dieser Stadt abgebildet haben. Jetzt geht man davon ein bisschen ab. Die neue Programmschiene soll fokussierter sein, weniger auf subkulturelle Undergroundinhalte, doch mehr das, wo das Fluc ursprünglich herkommt. Es geht mehr um die Bildende Kunst und dann natürlich Partys. Da bildet das Fluc nach wie vor das ab, was halt gerade in der Stadt läuft.

Fluc

APA/HERBERT P. OCZERET

Der Neubau des Fluc von dem Architekten Klaus Stattmann war 2007 für den renommierten Mies-van-der-Rohe-Preis nominiert.

Katharina Seidler: Gehen wir kurz zurück zu den Anfängen des Fluc. Was war das für eine Stimmung in der Stadt 2002? Mit welcher Mission seid ihr herangegangen?

Peter Nachtnebel: 2002 fand ich persönlich die Stimmung in der Stadt gar nicht gut, da waren diese für mich ziemlich gloriosen 90er Jahre einfach vorbei, und zwar ziemlich genau mit dem Jahr 2000. Wir mussten warten bis 2004. Da hat diese ganze, bis jetzt auch sehr stark mit FM4 verbundene Szene, diese neue Wiener Indie-Gitarren-, auch ein bisschen Elektronik-Szene begonnen. Siluh Records ist damals gegründet worden, Fettkakao, Seayou und noch zehn andere Labels. Das war 2004/2005, auch mit dem vorhin angesprochenen Beginn von Social Media. Da ist tatsächlich etwas Neues passiert, nicht nur in den Kommunikationsformen international, auch lokal war da eine neue Generation, die den damaligen Underground sehr schön abgebildet hat. Und das Fluc hat diese sehr dünnen Jahre ab der Jahrtausendwende zu einem richtigen Zeitpunkt ganz gut erwischt. Es war auch gut, einen Ort neu zu besetzen und zu definieren, der sich in einer Abbruch- und Umbruchsituation befand, wie es der Bahnhof Praterstern damals war. Man hat nicht geplant, 20 Jahre dort zu sein, sondern es war so dieses typische, man sagt immer Berlinding dazu. Du nimmst dir ein abbruchreifes Haus oder ein leerstehendes Geschäft, machst einen Zwischennutzungsvertrag, wenn überhaupt, und dann bist eine Zeitlang dort.

Katharina Seidler: Die Fluc Mensa gab es auch nicht sehr lange, oder?

Peter Nachtnebel: Die Mensa gab es insgesamt zehn Monate. Das war das ganz große Verdienst vom damaligen Booker Stefan Parnreiter. Der hat in diesen zehn Monaten wirklich ganz tolle Arbeit geleistet. Da ist dieses kleine Undergroundprojekt, die Leute sagen auch immer „das kleine Fluc“, was man als Galerielokal verstehen kann, plötzlich zu einem Club geworden, wo dann coole Sachen waren: Dälek hat dort gespielt, Whitehouse, dieser berühmte Power-Electronics-Industrial-Narr, Clubs wie Icke Micke haben sich dort formiert... Also das war ein relativ wichtiger Ort.

Katharina Seidler: Ich erinnere mich zum Beispiel an das Soundbridges Festival, das war für mich wirklich so ein Schlüsselmoment. Da haben Leute gespielt wie Lene Lovich und Felix Kubin, von ihm hab ich damals meine erste Vinylschallplatte gekauft...

Peter Nachtnebel: Das Soundbridges Festival war, wenn ich mich richtig erinnere, eine Kooperation zwischen dem Skug und dem Fluc. Wir hatten jedenfalls wirklich viele tolle Abende.

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Katharina Seidler: Aus den 20 Jahren einzelne Sachen herauszupicken, ist wahrscheinlich schwierig, aber gibt es ein paar Geschichten oder spezielle Sternstunden, die dir als Highlights einfallen?

Peter Nachtnebel: Es gab unglaublich viele wunderbare Abende. Drei Highlights, die auch mit lustigen Geschichten verbunden sind, waren so um 2010 herum. Da war zum Beispiel das Konzert von Julee Cruise, die wir alle von „Twin Peaks“ kennen - die berühmte Nummer „Falling“, eine absolute Weltnummer. Julee Cruise hat damals mit Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten gespielt und mit Khan und mit noch so ein paar Leuten aus dieser Berliner 80er Szene. Und Julee Cruise war eine richtige Diva, wie man sich das vorstellt, und hat in so einer Subkulturwelt wie dem Fluc relativ wenig verloren. Sie war von diesem etwas punkigen Ort nicht so ganz angetan. Hinzu kam noch, dass es einen Stock höher, im Fluc oben, einen Twin-Peaks-Tribute-Abend gab, wo verschiedene Bands Twin-Peaks-Nummern gecovert haben, das war ein ganz tolles Projekt. Einen Stock tiefer hat sich Julee Cruise aber partout geweigert, dort oben aufzutreten. Nach viel Hin und Her hat sie gesagt, okay, sie geht rauf, aber ich muss ihr einen Security an die Seite stellen. Dann hatte sie dackeltreu den ganzen Abend einen Security hinterherlaufen und ist raufgegangen und hat eine nette, kurze Ansprache gehalten für die Twin-Peaks-Fans. Das war ein glamouröserer Moment im Fluc.

Eine lustige Geschichte war auch - ähnliche Generation - der Auftritt von FM Einheit, den wahrscheinlich viele Sumpf-Hörer kennen, ebenfalls von den Einstürzenden Neubauten. Also ich kann jedem und jeder Konzertveranstalter*in empfehlen, bevor ihr FM Einheit bucht: Leute, überlegt euch das gut. Der Mann hat einen wirklich sehr, sehr anstrengenden Tech Rider...

Katharina Seidler: Metallrohre, Spiralen...

Peter Nachtnebel: Ganz genau. Ich bin Wochen vor diesem Auftritt des Nachts auf Baustellen rumgelaufen mit einer Taschenlampe. Rohre, Spiralen, Ziegel, Kiesel, Metalldinger, alles Mögliche, was der haben wollte, musste ich abfotografieren und ihm schicken, ob es passt. Wir hatten dann auf der Flucbühne unten ein Sammelsurium an Baustellenzeugs. Es gibt ein sehr schönes Video davon, auch auf YouTube, wo er das entsprechend bearbeitet.

Eine dritte Geschichte habe ich auch noch: Marshall Allen, der jetzige Leiter vom legendären Sun Ra Arkestra - das ist den Sumpf-Hörer*innen wahrscheinlich auch bekannt -, hat einmal mit einem Soloprojekt in der Wanne gespielt, das muss 2010 gewesen sein. Der Mann ist jetzt 98, damals war er 87, er steht noch immer auf der Bühne. Unglaublich. Auf jeden Fall war das so ein bisschen ein Sun-Ra-Sidekick-Abend, und der Rotwein vom Fluc hat ihm einfach unheimlich gut geschmeckt. Wir saßen nach dem Soundcheck, um 17 oder 18 Uhr, mit Blick über die Kaiserwiese aufs Riesenrad, auf der Rückseite des Fluc, und er schaut so aufs Riesenrad. Dann schaut er mich an, gießt sich ein bisschen Rotwein ein und sagt: „The first time I was in Vienna, they shot ‚The Third Man‘ over there!“ Und ich so: rechen, rechen, rechen... Das war 1948. Da hat er das erste Mal in Wien gespielt, was mich schon sehr beeindruckt hat. Das war in einer G.I. Band. Er hat in der Nachkriegszeit, als Wien von den Alliierten besetzt war, hier in diversesten Clubs gespielt und kannte Wien eigentlich noch in Ruinen. Und als sie damals „Der Dritte Mann“ gedreht haben, war er dabei.

Katharina Seidler: Was wirst du jetzt weiter machen? Wie geht es dir jetzt, wenn du auf privat auf Partys bist und nicht mehr mitdenken musst?

Peter Nachtnebel: Was ich gerade wirklich sehr genieße, ist das ja doch wieder in Schwung kommende Wiener Kulturleben. Dadurch, dass ich früher drei, vier Abende pro Woche im Fluc war, habe ich urviele Sachen nicht mitgekriegt und ich geb mir das jetzt einfach grad wieder, was sich da so tut. Ich möchte der Wiener Kultur- und Musikszene auf jeden Fall treu bleiben. Es gibt auch ein paar kleinere Pläne, wozu ich jetzt aber noch nichts Genaues sagen kann. Vereinsgründungen, neue Locations auschecken... Also tendenziell möchte ich als freier Musikveranstalter in irgendeiner Weise tätig sein in Zukunft. Und sonst, schauen wir mal, was wird.

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Katharina Seidler: Wen würdest du einladen, wenn Geld keine Rolle spielen würde?

Peter Nachtnebel: Wenn ich schnell 10.000 Euro hätte, würde ich meine All-time-Schatzis Autechre einfliegen lassen. Unpassend oder vielleicht doch passend dazu: Gitarrengewitter von Bob Mould solo (!) im Vorprogramm.

Katharina Seidler: Dass das Wiener Kulturleben langsam wieder in Schwung kommt, stimmt sicher. Man hört aber auch allerorts, dass es recht kracht, dass das Publikum nicht überall zurückkommt und dass, vielleicht aus anderen Gründen, manche Orte die Pandemie nicht überlebt haben. Wie würdest du die aktuelle Livemusiksituation in Wien einschätzen?

Peter Nachtnebel: Ich gehe in Wien seit 1990/91 fort und ich finde die aktuelle Situation etwas besorgniserregend. Wenn ich es grob im Kopf durchrechne, haben seit 2017 an die zehn regelmäßig bespielte Locations zugemacht. Angefangen beim Nachtasyl, das jahrelang die erste Anlaufstelle für osteuropäischen Underground war. Das mo.ë im 17. Bezirk war über viele Jahre ein wunderbarer Ort für die Experimental-Elektronik-Szene. Gleich ums Eck war das Au, das jetzt dankenswerterweise zum RRR geworden ist. Das Au war dem Fluc einer der verwandtesten Orte. Das BACH gibt es seit vier oder fünf Jahren nicht mehr. Das Blue Tomato gibt es nicht mehr - /der/ Ort für die internationale Free Jazz Szene. Das Elektro Gönner - gut, das war nicht unbedingt ein Liveort, aber ein Fixstern in der Stadt, wo es auch ab und zu kleinere Elektronikkonzerte gegeben hat - gibt es nicht mehr. Das Local am Nussdorfer Gürtel war auch ein wichtiger Liveort, wo sich die Austropop-Szene die Klinke bzw. die Gitarre in die Hand gegeben hat. Das sind nur die, die mir schnell einfallen. Es ist schon klar, dass man mit den heutigen technischen Möglichkeiten leichter Konzerte veranstalten kann, aber es geht halt schon auch um einen gewissen Druck und um eine gewisse Lautstärke, um eine richtige Bühnensituation. Ich mache mir gerade etwas Sorgen um die Livebühnensituation in Wien. Das darf nicht so weitergehen.

Katharina Seidler: Was würde helfen, die Situation zu verbessern?

Peter Nachtnebel: Ich fordere schon seit Jahren, wahrscheinlich nicht vehement genug, eine Kleinbühnenförderung, ganz konkret bemessen an der Größe einer Bühne und der Kubikmeteranzahl eines Raums. Das heißt: Orte, wo 60, 100 oder 120 Leute reingehen und nicht viel mehr, bekommen eine Infrastrukturförderung. Es geht auch darum, dass sie eine gute Musikanlage haben, dass ein gewisses Equipment da ist, das einigermaßen gepflegt ist, damit man Leute einladen kann, international, wenn Bands auf Tour gehen. Das kostet für Bands unheimlich viel, diese Dinge selbst mitzunehmen. Wenn du die ganze Backline da hast, kann man schnell aus Berlin, London, Barcelona jemanden einfliegen lassen, da könnte man tolle Sachen machen. Da geht es nicht um viel Geld. Es wäre wirklich gut, und ich rede nicht nur von Wien, sondern auch von Salzburg, Graz, Linz, wenn man in diesen Städten eine Kleinbühnenförderung durchsetzt, um der Liveszene ein Überleben zu ermöglichen.

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