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Buchcover "Fretten"

Jung und Jung Verlang

österreichischer Buchpreis

Sich durchs idyllische Landleben plagen mit Helena Adler

Eine Stimme der modernen Anti-Heimatliteratur erzählt vom Aufwachsen im Salzburger Umland und dem Fluchtversuch aus der Provinz, aus der es scheinbar kein Entkommen gibt.

Von Alica Ouschan

Sich mühevoll abplagen, sich am Leben wund reiben, kaum über die Runden kommen – so ungefähr lässt sich das Dialektwort „fretten“ übersetzen. Und so ergeht es auch der Protagonistin des Romans „Fretten“ und den Figuren, die sie umgeben: Sie plagen sich durchs Leben.

2020 hat Helena Adler, Autorin und Künstlerin aus Salzburg mit „Die Infantin trägt den Scheitel links“ ihren ersten Anti-Heimatroman veröffentlicht. Jetzt gibt es eine Fortsetzung, die mindestens ebenso viel Eindruck hinterlässt wie ihr Vorgänger.

Von der Infantin zum Muttertier

Mit scharfkantiger Zunge erzählt Helena Adler von Illusion und Idylle des Landlebens. Ihr Sprachbild zeichnet sich dabei durch eine weise und analytische Schärfe aus, die sich bei einer Figur mit einer bildungsfernen und sozial schwachen Lebensrealität ungewohnt anfühlt. Bereits in ihrem ersten Buch klangen die Erzählungen wie Beobachtungen durch Kinderaugen in den Worten einer erwachsenen Sprachkünstlerin.

Das frische Blut in meinen Adern sei der rote Faden in meinen Geschichten und die Röte in eurem Gesicht.

Helena Adler

Eva trifft Fotografie

Helena Adler steht mit „Fretten“ auf der Shortlist zum Österreichischen Buchpreis 2022.

Im Unterschied zu Teil eins der Erzählungen aus dem Leben der jüngsten Tochter eines Pleitebauern ist die Protagonistin in „Fretten“ kein Kind mehr, sondern eine junge Frau, die sich kriminellen Banden anschließt, die Dörfer plündern und Drogen schmuggeln. Das Bild der Realität einer jungen Frau am Land ohne Ziel oder Perspektive, in all seiner Grauslichkeit, bekommt einen neuen Farbton im Moment, in dem die einstige Infantin Mutter wird.

Die Heimat schwebt wie ein Schatten bedrohlich über allem. Den Schrecken der Vergangenheit im Nacken versucht die Protagonistin ihre neue Rolle zu bewältigen, während sich zwischen der akrobatischen Aneinanderreihung von bildgewaltigen Sätzen die familiären Traumata einschleichen.

Buchcover "Fretten"

Jung und Jung Verlang

„Fretten“ von Helena Adler ist bei Jung und Jung Salzburg erschienen.

„Ich habe mir ein Mutterkostüm gebaut, genäht und gezimmert, das schläft nie. Es ist ein Kostüm für Übermütter, ein universelles Umstandskleid mit unzähligen Weltraumtaschen darunter, das Platz für Planeten und Plätzchen bietet.“

Verdrängte Kriegserinnerungen der gepeinigten Groß- und Urgroßväter, die ein verzerrtes Bild von Männlichkeit vermitteln, projiziert die Neomutter auf ihren Sohn. Sie erkennt, dass sie ihre Wurzeln noch so oft abschneiden, herausreißen und neu verpflanzen kann, dass Unkraut eben doch nicht vergeht.

Daran arbeitet sich Helena Adler nicht zwischen den Zeilen, sondern mit hässlichster Deutlichkeit ab. Für ihre Romane wird Helena Adler gefeiert, mit Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek verglichen. Helena Adler schreibt im Unterschied zu diesen beiden österreichischen Literaturgrößen aber weniger grantig oder kryptisch, dafür mit einer klaren, zielgerichteten Wut und einem Galgenhumor, der auf einem Bein an der Schmerzgrenze entlanghüpft.

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