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Auf Laut

Online für immer!

Unsere Screentime steigt. Wir sind immer länger online, egal ob in der Arbeit, in der Schule, in der Freizeit. Gleichzeitig werden Bücher über „Digital Detox“ zu Bestsellern, und Influencer schwärmen auf Social Media vom digitalen Minimalismus.

Von Ali Cem Deniz

Als „Matrix“ Ende der 1990er-Jahre ins Kino kam, begeisterte und verstörte der Film mit seiner Vision einer Zukunft, in der simulierte und virtuelle Welten kaum vom „realen“ Leben unterscheidbar sind. In einer Zeit, in der Computer langsam von den Büros in die Wohnzimmer vordrangen, schien der Film dem Unbehagen zwischen Menschen, Maschinen und Computern Ausdruck zu verleihen.

Im Film sieht man eine Ausgabe von Jean Baudrillards Buch „Simulakra und Simulation“ in Neos Wohnung stehen. Darin hatte der französische Philosoph Jean Baudrillard schon Jahrzehnte vor „Matrix“ über Simulationen geschrieben.

Ausgerechnet Baudrillard, der die Wachowskis-Schwestern, die das Drehbuch geschrieben und Regie geführt hatten, maßgeblich beeinflusst hatte, war jedoch völlig unbeeindruckt von dem Film. Für ihn war der Film nicht gelungen, denn es gäbe schon lange keinen Unterschied mehr zwischen Simulation und Realität. „Matrix“ sei der Film, den die Matrix über sich selbst machen würde, so Baudrillard.

Matrix

Warner Bros

Die Kritik verärgerte damals nicht nur die Wachowskis-Schwestern, sondern auch die vielen Matrix-Fans. Baudrillard, der in den 90ern mit seinem Essay „Der Golfkrieg hat nicht stattgefunden“ irritiert hatte, galt als modischer, aber kryptischer Philosoph, den man - wie eben Neo - im Bücherregal haben kann, aber nicht unbedingt verstehen muss.

Mehr als zwanzig Jahre später klingt Baudrillards Kritik nicht kryptisch, sondern geradezu banal. Spätestens mit den Corona-Lockdowns ist eine Welt ohne Computer, Internet und Social Media unvorstellbar geworden. Home Office und distance learning haben der Digitalisierung nicht nur einen Schub gegeben, sondern waren überhaupt erst möglich, weil es die technischen Mitteln bereits gab. Wie lange hätte ein Lockdown ohne Netflix gehalten? Es ist wohl auch kein Zufall, dass China, das auf vollständige und rasante Digitalisierung setzt, als einziges Land, weiterhin auf Lockdowns setzt.

Selbst die „Boomer“, die ihren Kindern die Gameboys verboten haben, posten heute Memes auf Whatsapp und Facebook Gruppen. Ein Offline-Leben scheint heute so schwer vorstellbar, wie der Ausstieg aus der Matrix.

Die richtige Dosis

In den letzten Jahren sind Bücher wie „Digitaler Minimalismus“ des Informatikers Cal Newport zu Bestsellern geworden. Auf Barack Obamas Liste der Lieblingsbücher findet sich „How To Do Nothing“ von Jenny Odell, eine Anleitung zum Widerstand gegen die Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Medien. Egal ob es Selbsthilfeliteratur oder technik-philosophische Auseinandersetzungen sind, haben diese Bücher oft eines gemeinsam: Sie propagieren niemals eine vollkommene Online-Abstinenz. Selbst Bücher über „Digital Detox“, die implizieren, dass das digitale Leben etwas Toxisches hat, sprechen sich für einen „achtsamen“ Umgang mit Smartphones und Internet aus. Nach dem Motto: die Dosis macht das Gift.

Unheilbar Online

In den dunkeln Ecken von Twitter, Tumblr und 4chan hingegen weiß man bereits, dass sich das „Gift“ nicht dosieren lässt. Wir sind online und wir werden es für immer bleiben. So hat sich in den letzten Jahren in bestimmten Online-Communities der Begriff „terminally online“ etabliert. Er wird einerseits als Beleidigung für Twitter-User*innen verwendet, denen man vorwirft, zu viel online zu sein und keinen Bezug mehr zur „realen“ Welt zu haben. Andererseits aber auch als eine emanzipatorische, subkulturelle Identität, in einer Zeit, in der im Grunde jeder rund um die Uhr online ist.

Terminally Online Meme

Public Domain

Die Bloggerin Katherine Dee, die unter dem Namen „Default Friend“ über Online-Communities und Fankulturen schreibt, beschreibt sich selbst etwa so: „There are many imitators but few are as terminally online as I.“ Alle sind online, aber manche sind onliner.

Die Grenzen verlaufen schon lange nicht mehr zwischen „online“ und „offline“, sondern in den unterschiedlichen Arten wie man online Zeit verbringt. Den Ausstieg aus der „Matrix“ gibt es nicht, so wie es Baudrillard einst formulierte. Der Flop vom vierten Teil der Matrix-Reihe, der am Höhepunkt von Corona in die Kinos kam, ist wohl die Bestätigung dafür.

Heute in FM4 Auf Laut - Online für immer

In den letzten Jahren hat sich unsere Screentime erhöht, unser Leben wurde noch digitaler. Und es geht weiter: Virtual Reality und Augmented Reality bewegen sich langsam in die Mitte der Gesellschaft, um die Ecke lauert schon das Metaverse. Aber taugt uns das? Sind die Algorithmen Fluch oder Segen für unser Leben? Sind wir zu viel online – oder noch nicht genug?

Darüber diskutieren wir am Dienstag, 11. Oktober, ab 21 Uhr in FM4 Auf Laut. Die Nummer ins Studio: 0800 226 996

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