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Was macht Social Media so geil?

Like, Share, Subscribe – soziale Netzwerke setzen auf menschliche Bedürfnisse, wirken wie Schokolade und funktionieren wie Glücksspiel. Wieso wir stundenlang auf Instagram, TikTok und Co abhängen.

Von René Froschmayer

Frühmorgens. Der erste Griff, zielsicher auf das Smartphone. Wecker aus, soziale Plattform ein. So gestaltet sich die frühmorgendliche Routine vieler Menschen. Zu groß ist die Angst, während des Schlafs etwas verpasst zu haben. Vielleicht haben die Freund*innen einen C-Promi beim Feiern kennengelernt. Oder neue Chatprotokolle haben die Innenpolitik über Nacht aufgemischt. Schlussendlich haben wir uns dann doch nur ein paar neue Likes auf das fesche Spiegelselfie mit tiefgründigen Motivationsspruch verdient.

Der Grund für unsere ausgeprägte Nutzung der diversen Social Media-Plattformen ist tief in uns verankert. Denn die Netzwerke setzen vor allem auf eines: auf unsere menschlichen Bedürfnisse.

Soziale Netzwerke als digitale Schokolade

„Social Media-Plattformen können das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit befriedigen. Es findet Austausch statt“, erläutert Clemens Hrobsky, Psychotherapeut in Wien.

Zugehörigkeit und Vernetzung, das ursprüngliche Fundament von Facebook. Wir wissen: gerade in Krisenzeiten sind sie nicht wegzudenken und wichtiger denn je. Aber auch der Eskapismus, die Flucht in meine Online-Community, die Vernetzung mit Gleichgesinnten, macht Social Media so attraktiv.

Die Selbstdarstellung ist ein anderes Bedürfnis, das vor allem bei jüngeren Nutzer*innen von Bedeutung ist und in der jugendlichen Identitätsbildung eine Rolle spielt. Jugendliche nutzen die Plattformen, um sich so darzustellen wir sie gerne wären. Wir wollen gleichzeitig cool und individuell sein, aber trotzdem akzeptiert werden. Das eigene Bild kann in sozialen Netzwerken einfacher kontrolliert und aufrechterhalten werden als in der Offline-Realität.

Dadurch vermitteln soziale Netzwerke jedoch ein verzerrtes Bild der Realität – man denke an die unzähligen toxisch-positiven Influencer*innen mit retuschierten Gesichtern und Körpern. Gerade - aber nicht nur - jüngere User*innen vergleichen sich mit ihren digitalen Vorbildern. Dass das für die eigene Wahrnehmung und psychische Gesundheit schädlich ist, war dem Social Media-Konzern Meta von jeher bewusst, wie Whistleblowerin Frances Haugen 2021 leakte.

Das Bedürfnis nach Anerkennung wird durch die Interaktion und Reaktion von anderen befriedigt. Bekommen wir Likes, zustimmende Kommentare oder Shares auf unsere Videos, Stories oder Fotos, dann müssen wir wohl etwas richtig gemacht haben. Cooles Outfit, lässiger Grinser oder ur-lustiges Meme: der Content ist bei der Community (hoffentlich) gut angekommen, wir fühlen uns bestätigt. Nachdem die Anzahl der Zustimmungsaktionen unmittelbar erfasst wird, kann der „Erfolg“ sofort quantifiziert werden. So beginnt für viele User*innen das Streben nach einer immer größeren, digitalen Response. Matthias Jax, Projektleiter der EU-Internetinitiative SaferInternet.at:

„Likes und Zustimmung machen etwas mit uns. Der Körper schüttet Endorphine, Glücksgefühle, aus – so wie beim Schokolade essen.“

Er holt aus: „Deshalb checken wir nach dem Upload eines Bildes oder Story auch andauernd, ob neue Likes oder Kommentare hinzugekommen sind.“.

Social Media wirkt auf den Menschen nicht nur wie Schokolade. Die Plattformen funktionieren auch wie andere Süchtigmacher.

Wenn soziale Medien zum Glücksspiel werden

Was haben Online-Poker und TikTok gemeinsam? Verkalkuliert man sich, ist der Einsatz – das Ersparte oder die karge Freizeit – weg. Grundsätzlich setzen Glücksspiel und soziale Plattformen auf dasselbe Pferd: Sie versuchen User*innen/Spieler*innen möglichst lange an sich zu binden. Beide lösen das Ausschütten von Glückshormonen aus – nämlich sogar dann, wenn „Erfolg“ lediglich erwartet wird.

„Beim Glücksspiel blinken Lichter, werden kleinere Gewinne ausgeschüttet. Genau diese Mechanismen sehen wir bei sozialen Netzwerken. Sie spielen mit der FOMO („fear of missing out“), unzählige Benachrichtigungen poppen auf. Das sind Reize, die soziale Netzwerke ausmachen.“, sagt Matthias Jax. Also kein Wunder, wenn wir wieder einmal eine halbe Stunde auf TikTok picken bleiben. Wenn die Unterhaltung ausufert, kann die Nutzung der diversen Plattformen zur Belastung für unser Verhalten werden.

Heute in FM4 Auf Laut - Online für immer

In den letzten Jahren hat sich unsere Screentime erhöht, unser Leben wurde noch digitaler. Und es geht weiter: Virtual Reality und Augmented Reality bewegen sich langsam in die Mitte der Gesellschaft, um die Ecke lauert schon das Metaverse. Aber taugt uns das? Sind die Algorithmen Fluch oder Segen für unser Leben? Sind wir zu viel online – oder noch nicht genug?

Darüber diskutieren wir am Dienstag, 11. Oktober, ab 21 Uhr in FM4 Auf Laut.

Genug ist genug

„Sucht drückt sich durch einen Kontrollverlust aus. Zum Beispiel wenn User*innen andere Lebensbereiche stark vernachlässigen, wie die Arbeit oder Schule“, erklärt Psychotherapeut Clemens Hrobsky. Tritt ein problematisches Nutzungsverhalten auf, besteht Handlungsbedarf. Erste Schritte, um die Bildschirmzeit zu verringern, können selbst getätigt werden. Apps deinstallieren und die Plattformen nur mehr im Browser aufsuchen, erschwert den Konsum. Nutzungstimer können ebenfalls für eine reflektierte Social Media-Nutzung sorgen.

Alle Konten zu deaktivieren wäre ein drastischerer Schritt. Einen noch einfacheren, dafür umso raffinierteren Trick hat Matthias Jax in petto: „Jedes Smartphone kann den Bildschirm auf schwarz-weiß umschalten. Dann wird man sehr schnell merken, wie langweilig soziale Netzwerke ohne Farben sind.“.

Von nun an nur mehr schwarz-weiß TikTok!

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