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Diese Popstars leiden unter Social Media

Im Pop von heute ist die Präsenz in den Sozialen Medien Voraussetzung für eine Karriere. Doch immer mehr Stars leiden unter Performance-Druck, Online-Burnout und dem Einfluss der Plattformen auf die Entstehung der Musik.

Von Christian Lehner

Billie Eilish hat es getan, Mitski hat es getan und Charli XCX hat es auch getan. All diese Popstars haben sich schon einmal vorübergehend aus den Sozialen Medien zurückgezogen oder ihre Accounts gelöscht und dass in einer Zeit, in der Plattformen wie Instagram, Twitter oder TikTok immer wichtiger werden für den Erfolg.

Aber genau das ist das Problem. Die Fans wollen ständig bei Laune gehalten werden und Plattenfirmen machen Stress wegen der Präsenz auf Social Media. Die Folgen: immer mehr Popmusiker*innen leiden an einem Online-Burnout.

TikTok als Maßstab für neue Songs

Im vergangenen Mai wandte sich US-Popstar Halsey mit einer Beschwerde an die Öffentlichkeit. Ihre Plattenfirma habe den Release eines Songs zurückgehalten, bis sie einen viralen Moment auf TikTok kreire, um das Stück zu promoten. Das ging dem Star dann doch zu weit. Mit dem ebenfalls auf TikTok formulierten Protest hat Halsey einen Nerv getroffen.

Der Song, um den es ging: „So Good“ von Halsey, wurde schließlich doch veröffentlicht

Der mediale Aufschrei war jedenfalls groß, viele Musiker*innen solidarisierten sich mit Halsey. Die Plattenfirma ruderte zurück. Halsey konnte wenig später den Release des Songs verkünden. Kolleg*innen wie FKA-Twigs oder Florence Welch von Florence And The Machine berichteten von ähnlichen Erfahrungen mit ihren Labels.

Die Wirkungsmacht von TikTok reicht mittlerweile bis ins Songwriting. Es ist kein Geheimnis, dass Songschreiber*innen und Produzent*innen zunehmend versuchen, in Songs TikTok affine Sequenzen einzuarbeiten, die sich problemlos in die Kurzvideos der User*innen implementieren lassen.

Obwohl die Anpassung an neue Formate und Technologien im Pop gut dokumentiert ist, verwundert es kaum, dass viele Musiker*innen in der TikTokiesierung von Songs eine Verletzung der künstlerische Integrität sehen. Dabei sind die Grenzen zwischen Freiwilligkeit und Anforderung fließend. Musiker*innen der Zoomer Generation wie Gayle, die spielerisch mit TikTok aufwachsen, muss man wohl nicht lange bitten, ältere Semester wohl eher schon.

Das Klagelied vom Status-Update

Songs schreiben, Videos drehen und auf Tour gehen, das ist längst nicht mehr genug. Der Star von heute muss sich via Social Media selbst vermarkten und auch dann performen, wenn das Mikrofon ausgeschalten ist und das Licht im Konzertsaal angeht. Man steht unter Dauerbeobachtung.

Früher erledigten Promo-Abteilungen, Street Teams und Fanclubs große Teile der Kommunikation mit den Fans, heute müssen die Künstler*innen selbst liefern. Introvertierte Seelen mit Anspruch auf Privatsphäre bleiben außen vor. Meist hilft bei der Selbstdarstellung zwar ein Social Media Team, doch der Druck durch die hohe Frequenz der von sich selbst, oder von der Industrie geforderten Status-Updates, scheint übergroß. Dazu kommt Unbill von Hasspostings und die Angst vor einem Shitstorm, wenn man sich in Ton und Wort vergreift. So gab etwa der britische Star Charli XCX negative Postings und die angegriffene psychische Gesundheit als Gründe für ihren Online-Detox an.

Social Media als neue Leitwährung

Doch Social Media-müde sind Popmusiker*innen nicht nur, weil sie ständig „on“ sein müssen. Klicks und Streams sind schon längst die neue Währung im Popbuiz, wenn es Verträge und Support geht. Plattenlabels und Management-Firmen orientieren sich laut einem Report des Berklee College of Music in Boston bei der Talentsuche zunehmend an Follower-Zahlen und Interaktions-Statistiken. Allein im Jahr 2020 haben 70 TikTok-Stars Plattenverträge bei Major Labels bekommen, so der Report. Newcomer wie Lil Nas X (Twitter) oder Chloe Moriondo (YouTube) haben bereits ein großes Following im Gepäck, bevor sie ihren ersten Song für ein Label produzieren, der dann im Radio läuft.

So graswurzelig nützlich Social Media-Tools für die barrierefreie Selbstvermarktung und Kontrolle des Contents als Kick-Off einer Laufbahn sein können, so problematisch kann sich die neue Welt der digitalen Skalierung für den weiteren Verlauf erweisen.

In einer viel beachteten Geschichte zum Thema, die im britischen The Guardian erschienen ist, beschwerte sich etwa das etablierte Indie-Duo Tegan & Sara über die zunehmende Abwertung der Musik im Verhältnis von Produktion und Vermarktung.

Noch vor wenigen Jahren dienten Plattformen wie MySpace oder Facebook als nützliche Add-Ons, um die Fanbasis zu erweitern, so das Duo. Heute hätten die beiden jedoch das Gefühl, dass es in der Herstellung von Musik nur noch darum ginge, Assets für Social Media zu produzieren. Nicht nur bei Plattenverträgen sei die Online-Performance mittlerweile wichtiger als die Musik, die Anzahl der Follower entscheide auch immer häufiger über Bookings und Gagen bei Live-Veranstaltungen wie etwa dem Coachella Festival in Kalifornien.

Gefragt sind behutsame Social Media-Strategien

Was aber tun gegen den digitalen Hangover? Expert*innen empfehlen, keinen Content zu posten, der den eigenen Werten oder der künstlerischen Integrität widerspricht, bloß weil das Thema gerade trendet, oder weil es Management und Plattenfirmen von einem verlangen. Das reduziere Stress und schaffe Raum für Wesentliches.

Man solle sich auch gut überlegen, welchen Content man auf welchen Plattformen ausspielt und an wen man sich wenden möchte. Eine schlanke Release-Strategie ist von Vorteil. Das Gießkannenprinzip nutzt niemanden. Mühsam produzierter Inhalt verschwindet ungeschaut, ungelesen und ungehört in den Weiten des Internets, wenn man z.B. einen Kanal mit Paid Content-Priorisierung verwendet, ohne dafür ein Budget zur Verfügung zu haben.

Grundsätzlich gilt auch in der Popwelt der allgemein gültige Ratschlag zum Thema Social Media-Burnout. Ein Ratschlag, den die Band Superorganism zum Songtitel gemacht hat: „Put Down Your Phone“ – zumindest zeitweise. Social Media aber gänzlich entfreunden, scheint gerade für Newcomer keine Option mehr.

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