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Scorn

Ebb Software

Düsteres Horrorkunstwerk

Nach neun Jahren Entwicklungszeit ist das First-Person-Spiel „Scorn“ endlich erschienen; ein beeindruckender Spaziergang durch ikonische Horrorfantasien in der Tradition von H.R. Giger und Zdzislaw Beksinski.

Von Rainer Sigl

Ein kränkelnd violetter Himmel, Stahlgerippe bizarrer Maschinen und sich endlos windende Gänge in Ruinen, die sichtlich nicht von Menschen errichtet wurden. Von organischen Wucherungen überwachsene Metallkonstruktionen, feucht tropfende Landschaften aus Knorpeln, Haut und Fleisch. Fremdartige Organe, die sich wie Werkzeuge verwenden lassen; bizarre Parasiten, die meinem Körper mit symbiotischen Metastasen überziehen. Alles im First-Person-Spiel „Scorn“ ist albtraumhaft, grotesk und fremd, abstoßend und faszinierend.

Mittendrin bin ich, ein Mensch, nackt, wehrlos und bald schon Opfer einer grausamen Transformation zwischen biomechanischem Organismus und metallisch wuchernden Alien-Tumoren. Als offensichtliche Inspiration von „Scorn“ erkennt man schnell die surrealistischen Maler HR Giger und Zdzisław Beksiński, doch der Body Horror eines John Carpenter oder David Cronenberg kommt prominent hinzu.

Körper sind auch nur Maschinen

„Scorn“ ist in seiner Horrorästhetik faszinierend und einzigartig, immer wieder hat man das Gefühl, direkt durch die Bildwelten der großen Surrealisten zu wandern - die Hommage an deren biomechanische Fantasien balanciert gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Zitat und Horrorkitsch. Nur manchmal kippt das Spiel in Richtung pubertäre Plakativität, wenn es die demonstrative Ekligkeit bis hin zum fragwürdigen Sadismus übertreibt.

Die längste Zeit bleibt „Scorn“ aber ästhetisch absolut gelungen. Ich suche wortlos den Weg durch diese Welt, aktiviere gewaltige Maschinen, löse Puzzles und bekämpfe die monströsen Figuren, die hier ebenso lauern. „Scorn“ ist kein Shooter, sondern vielmehr ein lineares First-Person-Abenteuer, in dem sich Erkunden, Rätsel und Survival-Horror-Elemente die Waage halten. Die Hauptrolle spielt hier aber die dichte Atmosphäre. „Scorn“ zu spielen ist wie durch ein Best-of der finstersten Death-Metal-Plattencover zu wandern.

Scorn

Ebb Software

Meisterwerk mit kleinen Fehlern

Neun Jahre haben die serbischen Entwickler von „Scorn“ für ihr Spiel gebraucht, und das Warten hat sich nicht nur für die Kickstarter-Backer gelohnt. Eine so ästhetisch stimmige, surreale Horrorwelt wie diese hat es bisher noch nie gegeben.

„Scorn“, entwickelt von Ebb Software und vertrieben von Kepler, ist für Windows und Xbox Series S/X erschienen.

Dazu kommt ein großartiger, unaufdringlich bedrohlicher Dark-Ambient-Soundtrack von Industrial-Innovator Lustmord; gemeinsam mit dem stimmungsvollen Sounddesign sucht die Atmosphäre in „Scorn“ ihresgleichen. Schade ist nur, dass einzelne frustrierend schwere Puzzles oder Monster sowie gelegentliche Orientierungsprobleme aus der hypnotischen Stimmung reißen und manchmal für Verdruss sorgen.

Nach sechs Stunden ist die für Interpretationen offene Geschichte an ihrem Ende angelangt, der Eindruck, den „Scorn“ hinterlässt, ist aber von Dauer. „Scorn“ ist ein kleines, düsteres Kunstwerk; vorausgesetzt, man hat den Magen dafür.

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