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Rishi Sunak

APA/AFP/Daniel LEAL

ROBERT ROTIFER

Rishi Sunak - Sohn des britischen Empire

Wir haben also schon wieder einen neuen Premierminister hier. Und ich hab eine Vorstellung davon, was vermutlich das Erste war, das ihr über ihn gehört oder an ihm gesehen habt. Sein „historisches“ Alleinstellungsmerkmal. Aber bevor wir es benennen, zahlt es sich vielleicht aus, genauer drüber nachzudenken.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Gestern Nacht, nach ein paar Tagen Quasi-Normalität in Wien, war ich also wieder in London angekommen. Auf dem Weg zurück aus Heathrow durchquerte mein Zug jenen Teil von West-London, in dem besonders viele Menschen direkter oder indirekter südasiatischer, großteils indischer Herkunft wohnen, insbesondere im Einzuggebiet der Vorortebahnstation Southall.

Das merkte man unter anderem daran, dass dort der Himmel immer wieder von Feuerwerken erleuchtet wurde, es war nämlich der vierte Tag des hinduistischen Diwali-Fests, an dem der Sieg des Guten über das Böse, des Lichts über das Dunkel gefeiert wird. Und als ich schließlich zu Hause ankam, spielten sie in den Rolling-News-Kanälen schon die unvermeidlichen Umfragen mit Stimmen aus der Community, die man während der Festivitäten auf der Straße interviewt hatte, die nicht der Einladung widerstehen wollten, der Kamera zu sagen, was die Kamera hören wollte:

Dass dies ein ganz spezieller Tag für ihre Community sei, der Tag, an dem der erste Hindu bzw. der erste praktizierende Nicht-Christ zum Premierminister des Vereinigten Königreichs bestimmt wurde (Leute, die entgegnen, es habe mit Benjamin Disraeli schon im 19. Jahrhundert einen Juden als Premier gegeben, vergessen, dass dessen Vater ihn als Kind anglikanisch taufen ließ).

Bis dahin hatte ich in der Parallelwelt der Meinungshaberei schon meinen Tweet vom Nachmittag gelöscht, in dem ich beobachtet hatte, dass es auf meiner Timeline ausnahmslos Weiße gewesen waren, die Sunak – meist unter Betonung ihrer politischen Wertfreiheit – zum historischen Zusammenfall seiner Herkunft/Hautfarbe und seines politischen Amtes gratulierten.

Während andere, besonders eben „Nicht-Weiße“, genau jenen „politics aside“-Standpunkt auf die Schaufel nahmen, der so tut, als könne es einen „objektiven“ Blick auf Herkunft/Hautfarbe geben, zumal wenn man auf Basis dieser Unterscheidung – wie auch ich gerade oben – von einer „Community“ spricht.

Wie all diese Tweets hier auf mehr oder weniger subtile Weise ausdrücken, machen weder seine Herkunft noch seine Hautfarbe Rishi Sunak zum Teil einer imaginierten britisch-asiatischen Community, im Gegenteil: Die Abgehobenheit seines Lebensstils als eines der reichsten Männer des Landes, verheiratet mit einer noch um einiges reicheren Frau (unter anderem als Anteilhaberin des Infosys-Imperiums ihres indischen Vaters), ist geradezu ein Vorzeigebeispiel dafür, warum Repräsentation Kriterien hat, die – Verzeihung für das Klischee – tiefer gehen als das Pigment.

Und das trifft auch auf so Wörter wie „Einwandererfamilie“ zu. Gerade im post-imperialen Großbritannien gibt es sehr unterschiedliche Einwanderungsgeschichten. Sunaks Eltern etwa wurden beide nicht in Indien, sondern in Afrika geboren. Sein Vater in Kenya, seine Mutter im heutigen Tansania, beide Länder zu jenem Zeitpunkt Teil des britischen Empire, in dessen afrikanischen Gebieten neben den weißen Kolonialist*innen auch Menschen aus dem südasiatischen Teil lebten und arbeiteten, oft in – im Vergleich zum Status der indigenen Schwarzen Bevölkerung – gehobenen Positionen im Verwaltungsapparat. So wie übrigens auch Rishi Sunaks Großvater mütterlicherseits, der als leitender Steuerbeamter für die britische Kolonialmacht arbeitete.

Darin liegt auch indirekt der Grund, warum die Familie in den Sechzigerjahren, nachdem Kenya seine Unabhängigkeit errungen hatte, nach Hampshire in England auswanderte. Rishi Sunak, 1980 mitten in den aufstrebenden Selbstverbesserungs-Boom von Thatchers Großbritannien hineingeboren, wuchs in Southampton als Kind eines Arztes und einer Apothekerin auf, die es sich leisten konnten, ihn erst in eine private Prep School und von dort ins Winchester College, eine der ältesten, prestigereichsten und teuersten Schulen Englands, zu schicken (die derzeitige Jahresgebühr liegt bei umgerechnet rund 52.000 Euro).

Sein von ehrgeizigen Eltern finanzierter Aufstieg – von Winchester ging’s zur Uni nach Oxford, wo Rishi das klassische Netzwerker-Fach PPE (Philosophy, Politics & Economics) studierte – war in der Tat so typisch für eine ganz bestimmte, sehr elitäre, aber für Großbritannien schmeichelhafte Erzählung, dass Sunak 2001 als Student sogar für eine BBC-Doku „The Middle Classes – Their Rise and Sprawl“ gefilmt wurde.

Dabei sollte man kurz erklären, was „Middle Class“ in Großbritannien bedeutet. Es umfasst einerseits alles von der Lehrer*in bis zur Investmentbanker*in, denn Upper Class kann nur sein, wer von „altem Geld“ herkommt (selbst wenn die Menge dieses Gelds derzeit kleiner, ja sogar viel kleiner sein mag als die von Mitgliedern der oberen Middle Class). Aus diesem schlauen Ausweiten des Mittelklassebegriffs ergibt sich ein täuschend egalitäres Bild der britischen Bevölkerung.

Welchem Ende der Middle Class man angehört, hört man nicht zuletzt an der Aussprache, wie zum Beispiel an jener in einem – als Beleg für Sunaks snobistisches Klassenprivileg – oft wiederholten Ausschnitt aus erwähnter BBC-Doku, in dem der junge Student erklärt, dass er Kontakt zu allen möglichen Menschen pflege, ob aus der „Aristokratie, der Upper Class oder der Working Class, nun ja, vielleicht nicht der Working Class...“

Übrigens kamen auch die Familien der beiden als Hardlinerinnen in Sachen Migration auftretenden, aufeinander folgenden Innenministerinnen Priti Patel und Suella Braverman aus den afrikanischen Kolonien nach Britannien (Uganda bzw. Kenya), aus denen sie nach Erlangung derer Unabhängigkeit vertrieben wurden. Ihre bestehende Verbundenheit zum britischen Empire und ihre Feindseligkeit gegenüber Schwarzen Einwander*innen aus Afrika ist also weder untypisch noch eine Form von Überkompensation, sondern eigentlich nur eine logische Konsequenz der sehr komplexen britischen Kolonialgeschichte.

Ja, es war auch nicht zufällig Suella Braverman, die neulich für katastrophale Verstimmung in den Verhandlungen des UK mit Indien über ein Handelsabkommen sorgte, als sie behauptete, Einwander*innen aus Indien seien besonders geneigt dazu, ihre Visa-Fristen zu brechen. Umgekehrt wird wiederum auch nicht zufällig von Sunak erwartet, dass er als Hindu diese Verhandlungen mit der hindu-nationalistischen indischen Regierung wieder auf einen positiven Pfad bringt.

Insofern ist es also dann doch auch verständlich, wenn ein Autor, wie der in Großbritannien als Sohn aus Indien eingewanderter Sikhs aufgewachsene Sathnam Sanghera (u.a. „Empireland“ und „The Boy With The Topknot“), trotz seiner Klassen- und Herkunftsunterschiede gestern per Twitter feststellte, dass Sunaks Position als erster British-Asian-Premierminister sehr wohl eine Rolle für die „Asians“ im Land spiele (einer der Gründe, warum ich meinen eigenen, voreiligen Tweet, eines Besseren belehrt, wieder löschen musste).

Allerdings eine differenzierte Rolle, wie Sanghera in einem Nachfolge-Tweet erklärte, der Sunaks ständig betonte Dankbarkeit gegenüber dem Empire-Mutterland als klassisch serviles Verhaltensmuster gegenüber dem weißen Establishment dekodierte.

Denn es ist eben auch nicht so, dass selbst ein mit viel Klassenprivileg aufgewachsener Mensch wie Sunak nicht auch Zeit seines Lebens mit Rassismus konfrontiert gewesen wäre.

Die Sache mit der Diversität, also, ist nicht so einfach, wie einen das bunte Casting der zeitgeistsensiblen Werbewirtschaft oft glauben machen will.

Und ganz absichtlich habe ich nun überhaupt noch nicht besprochen, was der überzeugte Brexiteer und Ex-Mitarbeiter von Goldman Sachs (sein unmittelbarer Chef dort war der heutige Chairman der BBC), der Menschen, die „Britannien verunglimpfen“, als Extremist*innen punzieren und nötigenfalls umerziehen will, politisch repräsentiert.

Hier sollte es eben erst einmal um jenes Erste gehen, das wir alle von ihm gehört und an ihm gesehen haben. Mit seiner Politik wird er uns noch reichlich beschäftigen.

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