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„Rheingold“ und der Bruch mit der Idee von Deutschrap

Der kurdische Rapper Xatar erzählt in „Rheingold“ seine Autobiographie, von der Flucht aus dem Iran bis zur Veröffentlichung seines Albums „415“ aus der Justizanstalt. Womit er aber vor allem bricht, ist mit einer Vorstellung von Deutschrap, die leider viel über “deutsche Leitkultur” sagt.

Von Mahdi Rahimi

Xatar, bürgerlich Giwar Hajabi, wurde in Sanandaj (auf kurdisch Sine), einer kurdischen Stadt im Iran geboren. Zu dieser Stadt kommen wir später zurück. Der Film „Rheingold“, mit offensichtlicher Anspielung auf Wagners Oper, erzählt die Lebensgeschichte von Xatar, von seiner Geburt in Sanandaj, über die Flucht aus dem Iran, bis zum Raub eines Goldtransporters und der Veröffentlichung seines ersten Albums „415“, das er im Gefängnis in Deutschland aufgenommen hat.

Am Anfang des Films heißt es, dass die Story auf dem Leben von Xatar basiert. Wieviel tatsächlich auch genau so passiert ist, ist irrelevant. Im Rap muss man nur eine gute Geschichte erzählen, die die Leute einem abkaufen. Und die erzählen Xatar und Fatih Akin im Film ziemlich gut. Diese Geschichte ist jedoch auch bezeichnend für ein Problem im deutschsprachigem Raum, betreffend der Rezeption von Deutschrap und dessen ProtagonistInnen.

Wie bereits erwähnt wurde Xatar in Sanandaj geboren. Man könnte darüber diskutieren, ob er der wichtigste deutschsprachige Rapper aus Sanandaj ist, weil Azad wurde in derselben Stadt geboren. Und genau wir Xatars Eltern mussten auch die von Azad nach Deutschland fliehen. Xatars Vater war und ist ein bedeutender Komponist, der nach der Revolution im Iran arbeitslos war. Seine Mutter war kurdische Widerstandskämpferin und kommt aus einer angesehenen kurdischen Familie. Über Azads Eltern weiß man nichts. Weil Azad eine Generation vor Xatar relevant war, Rapper wie Azad den deutschsprachigen Feuilleton damals nicht interessiert haben und weil Azad niemals einen Goldtransporter ausgeraubt hat. Auch die Story zu Xatars Eltern kennt man nur, weil Xatar sie selber erzählt hat.

Der Vater von Kool Savas war Kommunist und sechs Jahre lang in der Türkei im Gefängnis, weil er kritisches Schriftwerk publiziert hat. Das weiß man auch nur, weil Savas es selber erzählt hat.

Haftbefehls Vater hat Selbstmord begangen, als Haftbefehl 14 war. Das ist auch erst bekannt geworden, als er es auf seinen Alben publiziert hat.

Savas galt immer als homophober Rapper, Haftbefehl war alles mögliche von Antisemit bis “der kann kein Deutsch”. Azad gilt wahrscheinlich noch immer als grimmiger Typ, der wahrscheinlich auch alles mögliche von homophob bis Antisemit bis “was auch immer die da unten da sind” ist.

Auch wenn gewisse Inhalte im Deutschrap, auch bei Xatar, eher schwierig waren und an sich nicht so publiziert werden sollten, sind sie alle nicht in einem Vakuum fernab in einem anderen Deutschland passiert, sondern in Deutschland selbst. Es war aber keine Wohlfühlmusik wie bei Beginner oder Müll wie bei Die Fantastischen Vier, sondern “Straßenmusik”. Es war aber auch Reflexion einer Realität Deutschlands, die Deutschland und der deutschsprachige Raum nicht wahrhaben wollten bzw. für den sich Deutschland nicht interessiert hat. Keinen hat wirklich interessiert, warum diese Leute, die in Deutschland aufwachsen, über sowas rappen und nicht über belangloses Zeug, wie zum Beispiel die Ex-Beziehung oder Tage am Meer, so wie das die ganzen anderen Rapper Ende der 90er gemacht haben.

Keiner interessierte sich für mögliche traumatische Erlebnisse, wie Kinder aufwachsen, deren Eltern in Gefängnissen gefoltert wurden und diese Traumata an die Kinder weiter geben. Der Glaube an die “deutsche Leitkultur” als heilendes Mittel schien und scheint größer zu sein, als der Glaube an Dialog.

Giwar Hajabi

Giwar Hajabi

Xatar / CC BY-SA 2.0 by Giwar Hajabi

Um bei Xatar zu bleiben: Xatars Familie ist eine überdurchschnittlich “kultivierte” und gebildete Familie, die aus politischen Gründen fliehen musste. Falls sich jemand für die politischen Gründe interessiert, hier zum Nachlesen. Xatar wuchs aber in Deutschland nicht als Sohn eines Komponisten und einer Soziologin und Widerstandskämpferin/politischen Aktivistin auf, sondern als “drogentickender Straßenjunge”, dessen Vater abgehauen ist und dessen Mutter Wohnungen sauber gemacht hat.

Jemand wie Xatar sollte eigentlich nicht wissen, wer Wagner oder gar Schostakowitsch ist, wie man Klavier spielt, irgendeine Meinung zu Politik haben (außer “die alle scheiße”) und an sich sollte es auch egal sein, was er sagt. Deswegen ist es noch immer weniger wichtig, was jemand wie Xatar der deutschen Öffentlichkeit mitzuteilen hat, als z.B. Danger Dan und Koljah von der Antilopen Gang, die weder von der Biographie noch von der Musik annähernd so interessant sind wie Xatar, Savas, Haftbefehl oder sonst wer. Xatar hat aber zum Glück genug Geld und Möglichkeiten, um selber seine eigene Story zu erzählen. Und somit bleibt Xatar nicht als unfähiger Kleinkrimineller, der einen Goldtransporter geraubt hat in Erinnerung, sondern als Giwar Hajabi, Sohn von Rasal und Eghbal, Kurde, Stimme der deutschen Gegenöffentlichkeit.

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