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Mit „Notizen“ gewinnt Elisa Past den 3. Platz bei Wortlaut

Vielleicht ist jemand in jemanden verliebt, ganz sicher aber gibt’s genug Ausreden, das nicht zuzugeben: Mit ihrem Text „Notizen“ gewinnt Elisa Past den dritten Platz bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

Von Lisa Schneider

„Ausreden“ war 2022 das Thema von Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb. Rund 500 Kurzgeschichten wurden eingereicht.

Im April wollten wir eure „Ausreden“. Zumindest eine Autorin hat diesen Auftrag sehr - und auf hervorragende Weise dann doch wieder nicht zu - ernst genommen. Sie hat uns, in einen Text verpackt, sehr viele, sehr gute Ausreden geschickt. Sie heißt Elisa Past und ihre Geschichte, mit der sie den dritten Platz bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb gewonnen hat, heißt „Notizen“. Und die beginnt so:

30. Mai 2022 um 02:56

Ich bin nicht in N verliebt, weil

[_] ich keine Anziehung zu ihm verspüre
[_] er gähnt ohne sich die Hand vorzuhalten
[_] er immer den selben Pullover trägt
[_] er mal nen Labello benutzen könnte ( [_] und Handcreme auch )
[_] er nicht wie der Mitbewohner meiner Schwester riecht
[_] seine Pupillen immer so winzig klein sind
[_] K mir erzählt hat, dass sie gesehen hat, dass er sich nach dem Pissen die Hände nicht gewaschen hat
[_] ich Brusthaare einfach wirklich eklig finde
[_] ich die gesellschaftlichen Schönheitsideale unterbewusst genug verinnerlicht habe, um seine Brusthaare eklig zu finden
[_] ich mich vor meinen eigenen Brusthaaren ekle
[_] mich seine Brusthaare an meinen ekligen Vater erinnern
[_] ich Männer insgesamt eklig finde
[_] irgendwas mir sagt, dass er nur so feministisch spielen kann, weil er eigentlich auf reddit manchmal Bilder von toten Frauen liked
[_] ich wieder mal zu verknallt ins verknallt sein bin

Da steht also eine junge Frau mitten in der Nacht, bzw. eigentlich schon frühmorgens an einer Bushaltestelle und tippt Notizen in ihr Handy. Dieser N hat es ihr angetan, und dann doch wieder nicht, er ist offenbar ein Idiot, aber ein schon auch liebenswürdiger Idiot. In diesen Zeilen, die so leicht und lieb und lustig daherkommen, stecken so viele Wahrheiten einer verunsicherten, oft aber auch schlicht unsicheren Gen-Z, dass es eine subtile Freude ist. Vielleicht ist das die beste zeitgenössische Version eines Gänseblümchenabzählreims.

Elisa Past

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Elisa Past, mit ihrer Geschichte „Notizen“ drittplatziert beim heurigen Wortlaut, zu Gast im FM4-Studio

Elisa Past, sie gehört da irgendwie hinein, in die Gen-Z (*1997). Sie kann gar nicht glauben, hier zu sein, im FM4-Studio, weil „das ist was, was ich mir immer gewünscht hab’“. Weniger das Studio, das sei hier anzumerken, vielmehr die Veröffentlichung im Wortlaut-Buch. Den Wettbewerb verfolgt Elisa schon seit Jahren, hat selbst jetzt auch schon das dritte Mal eine Geschichte eingereicht. Diese jetzt also, die heuer den dritten Platz 2022 gewinnt, ist zwischen Schlafen und Wachen und während eines Schweden-Urlaubs bei einer Freundin entstanden. Abgeschickt, einmal mehr: Unsicher, ganz kurz vor der Deadline.

Aufgewachsen in Freising, in der Nähe von München, hat Elisa Past mehrere Semester Gebärdendolmetschen in Landshut studiert, bevor klar wurde, dass das zwar interessant, aber nicht so ganz ihre Sache ist. Einer spontanen Eingebung folgend hat es sie dann für mehrere Monate nach Wien verschlagen, aktuell lebt sie aber wieder in Deutschland und hat da aktuell sehr viel mit Papierbergen und langen Telefonate zu tun - sprich mit all dem Rundherum, das anfällt, wenn man sich um einen demenzkranken Menschen (ihre Großmutter) kümmert.

Wenn Elisa Past im Interview davon spricht, aktuell zu suchen, zu leben und zu schreiben, macht sie das einerseits mit einer Überzeugung, wie sie nur in so ganz jungen (Lebens-)Jahren vorhanden ist. Rechtfertigung muss trotzdem immer wieder sein, ständig wird gefragt, was man denn anfangen will mit Zeit und Leben. Erste Erfolge oder Bestätigungen für das, was man tut und gut kann, helfen da ja nicht selten weiter. Elisa erlebt mit dem Druck ihrer Geschichte „Notizen“ ihre erste Buchveröffentlichung, „Ein Träumchen“ wäre das, das mit der literarischen Karriere, sie nickt begeistert. „Und wenn das jetzt vielleicht den Stein ins Rollen“, vor allem aber auch mehr Selbstvertrauen bringt.

Der Soundtrack zum Text:

  • „Time Will Tell“ von Blood Orange
  • „Match“ von Blond
  • „Take Me Where Your Heart Is“ von Q
  • „Männer“ von Children

Ich bin nicht in N verliebt, weil

[_] ich genug Folgen Gilmore Girls gesehen habe, um mir doch zu wünschen, dass sich jemand für mich schlägt
[_] Florian David Fitz nur 23 Jahre älter ist als ich und gar nicht so weit weg wohnt
[_] Verdrängung
[_] nur gut ist was weh tut
[_] ich offensichtlich vom Medienkonsum geschädigt bin
[_] er nicht in der Sonne glitzert
[_] ich ein totes Stück Hack von Aldi aus der Tiefkühltruhe bin
[_] mir alles egal ist
[_] und jeder
[_] ich eigentlich alles an ihm hasse
[_] ich nur will, dass er in mich verliebt ist
[_] ich nur will, dass er in mich verliebt ist, um mich mächtig zu fühlen
[_] ich ihn am liebsten hab, wenn er nicht da ist
[_] mir vor meinen Gefühle graust
[_] mir vor seinen Gefühlen graust
[_] Gefühle einfach widerlich sind

Wann das mit dem Schreiben begonnen hat, kann Elisa Past gar nicht so genau festhalten. Es ist für sie eine natürliche Tätigkeit, ein Ventil: „Ich schreibe immer dann, wenn mich etwas aufregt.“ Was soll eine*n mehr aufregen als die Liebe und das unverständige Gegenüber.

Wortlaut 2022

Das ist die heurige Longlist, und das die Shortlist.

Und das sind die besten drei:
Platz 1 - Eva Scheidweiler
Platz 2 – Valeria Anna Lampert
Platz 3 - Elisa Past

Und was soll eine*n an zweiter Stelle mehr aufregen als durchwachte Nächte. Elisa Past hat genau dafür immer Zettel und Stift griffbereit, da kritzelt sie, im Halbschlaf, nicht selten drauflos, und kann am nächsten Tag die groß gedachten, aber eher vermurkst verewigten Zeilen nicht mehr lesen. „Ich glaube, dass ich so schon viele meiner besten Ideen verloren habe“, lacht sie im FM4-Interview. Ein paar sehr gute waren aber offenbar noch zu entziffern und haben sich in ihre Wortlaut-Geschichte geschlichen:

Ich bin nicht in N verliebt, weil

[_] er mir sicher nie ein Liebeslied schreiben wird
[_] wir uns zu ähnlich sind [_] wir uns nicht ähnlich genug sind [_] wir zu unterschiedlich sind
[_] ich keinem Mann je getraut hab [_] ich keinem Mann je trauen werde
[_] Mama findet, nur Männer mit langen Haaren sind schön
[_] Intimität [_] Kitsch [_] Gefühlsduselei mich ankotzt
[_] ich keine Leidensbereitschaft mehr für sowas habe
[_] ich mich bedroht fühle
[_] ich sterben werde [_] wenn er nicht in mich verliebt ist [_] wenn er nicht mit mir schlafen will [_] generell
[_] er sterben wird
[_] das alles eh nur ne Simulation ist
[_] er nicht zugeben will, dass er meine Schwester viel lieber mag als mich
[_] es unmöglich ist jemanden zu finden, der liebenswürdig und attraktiv ist
[_] meine Tante sagt, Männer sollen keinen Nagellack tragen
[_] mich der Desillusionsschmerz, dass das Leben kein Film ist, umbringen wird
[_] mir das alles zu heikel ist

Mit popkulturellen und generationsbezogenen Verweisen hält Elisa Past ihre Geschichte im Hier und Jetzt fest, im Zeitalter des beziehungstechnisch despektierlichen „Ich kann grade nix Fixes anfangen“. Weltschmerz ist toll, Zugeständnisse sind es nicht. Oder wars andersherum?

In „Notizen“ schreibt Elisa Past all diese großen Gedanken zu Liebe, zu auf Sprache beruhenden Missverständnissen, zu fehlender menschlicher Nähe und zu nicht zu vereinbarenden gesellschaftlichen Vorstellungen zwischen die Zeilen hinein - und bleibt dabei im Stil angenehm lakonisch. Was begabten Menschen nämlich meist gemein ist (unabhängig davon, ob sie akut wissen, wie ihr nächstes Lebenskapitel aussehen wird), ist die Gabe, sich selbst und ihre Meinung nicht allzu ernst zu nehmen. „Schmäh“ könnte man das nennen, „Go to Coping-Mechanismus“ sagt Elisa Past dazu. „Solange ich mich noch über mich selbst und meine struggles lustig machen kann, weiß ich, dass es noch läuft.“

Wortlautjury 2022

Die Jury ...

... über „Notizen“: „ein spannender Text, der Fragen aufwirft, die man vielleicht selbst beantworten will“, „formal innovativ, was in Form dieser Liste für ein Raum aufgemacht wird an Ängsten und Hoffnungen ist grandios gelungen“, „ein sehr charmanter Text, spannend und schön, er beschreibt vor allem ein bestimmtes Lebensgefühl sehr gut“, „bei diesem Text kann ich mir sehr gut vorstellen, wie er entstanden ist, er entfaltet eine unglaubliche Kraft“, „witzig und böse darüber, dass es immer viele Gründe gegen etwas gibt - ein Nein ist immer leichter zu argumentieren als ein Ja. Dieser Text: Ja!“

Ja!

Elisa Past gewinnt

Der Standard

WERBUNG

Ein Auszug aus dem Gewinnertext wird im STANDARD veröffentlicht.

Elisa Past liest ihren Text bei der Buchpräsentation im Literaturhaus in Wien, am Freitag, den 18. November, ab 19 Uhr (Zieglergasse 26a, 1070 Wien). Der Eintritt ist frei, aber Zuschauen von daheim aus ist - via Livestream auf der Literaturhaus-Website - ebenfalls möglich.

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