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Zwei Frauen sitzen, ein Mann auf einer Liege

Nikos Nikolopoulos

„Crimes of the Future“: Kühler Körperhorror

Regiemeister David Cronenberg kehrt zu seinen Wurzeln zurück. Mit Léa Seydoux, Viggo Mortensen und Kristen Stewart zelebriert er Mutationen und Sex auf dem Operationstisch. Der Schockfaktor seiner frühen Filme bleibt aber aus.

David Cronenberg ist beinharter Atheist, wie er in Interviews betont. Der kanadische Regisseur hält nichts von der Trennung zwischen Geist und Körper, an eine Seele glaubt er nicht. Deswegen lehnte der Horrorspezialist Cronenberg auch Zeit seines Lebens einschlägige Hollywood-Angebote ab. Keine Filme mit Geistern, Dämonen oder übernatürlichen Erscheinungen bitteschön. Der Body Horror des David Cronenberg setzt auf physischen Schrecken. Der Körper wird zum Ort des Grauens.

Das im wahrsten Sinn körperlichste aller Horrorgenres dreht sich im Grunde um Krankheiten, Deformationen, um Menschen, die von Parasiten und Viren befallen sind. Body Horror geht ganz ans Eingemachte, spielt mit der Angst, dass man im Badezimmerspiegel so furchtbare Entdeckungen macht wie der Wissenschafter in Cronenbergs Sci-Fi-Thriller „The Fly“.

Das klingt grauslig und ist es natürlich oft auch. Die Destruktion und Transformation des Körpers ist aber auch Ausgangspunkt für superkluge Filme von Ausnahmeregisseuren. David Cronenberg steht als Innovator des Genres für Body Horror mit klinischer Präzision und existentieller Dimension. Von seinem Debüt „Shivers“ bis zu „Videodrom“, „Dead Ringers“ oder „Crash“: Bei Cronenberg kollidiert das blutige Splatterkino mit den fordernden und abgründigen Seiten der Philosophie.

Ein Mann mit einem schwarzen Umhang mit Kapuze

Nikos Nikolopoulos

Die Evolution spielt verrückt

Es gab Zeiten, da wurde der Kanadier als Grenzgänger zwischen schleimigen Spektakeln und klinischen Arthouse-Ansätzen von der Mainstream-Kritik unterschätzt. Heute gehört der mittlerweile 79-jährige David Cronenberg längst zu den Darlings der Filmfestivals. Mit seinem neuen Werk „Crimes of the Future“, hierzulande auf der Viennale uraufgeführt, kehrt er nun aus einer langen Versenkung in die Kinos zurück. Und back to body horror.

Wir befinden uns in einer unbestimmten, architektonisch trostlosen und deutlich dystopischen Zukunft. Die Evolution spielt verrückt, das Schmerzempfinden ist zur Rarität geworden. Menschen mutieren auf seltsamste Weisen.

Wie weit diese physischen Anpassungen gehen können, zeigt die Anfangssequenz. Ein kleines Kind kaut genüsslich an einem Plastikkübel, der Körper verdaut anscheinend problemlos den Kunststoff. Die Mutter erträgt diesen Anblick allerdings nicht - und erstickt ihren Sohn mit einem Polster.

Nach diesem verstörenden Beginn lernen wir ein seltsames Künstlerpärchen kennen. Saul (Viggo Mortensen) und Caprice (Léa Seydoux) haben sich auf operationelle Performances spezialisiert. Soll heißen: Dem älteren Mann wachsen ständig neue, unbekannte Organe und Tumore, die er sich von seiner jungen Partnerin entfernen (oder tätowieren) lässt. Auf einer Bühne, vor Publikum, als Kunstevent. „Surgery is the new sex“, lautet einer der Schlüsselslogans von „Crimes of the Future.“

Ein Mann auf einer Liege, eine Frau sieht ihn an

Nikos Nikolopoulos

Seltsam lebloses Szenario

Das klingt alles sehr bizarr, zugegeben, aber eben auch nach einem Film von David Cronenberg. In den letzten beiden Dekaden hat sich der Regisseur mit Filmen wie „The History of Violence“ oder „Maps To The Stars“ weg vom Horror hin zu sarkastischen, ambivalenten und stockdunklen Dramen bewegt. Dass er sich jetzt wieder zu seinen Wurzeln begibt, leuchtet ein: Oft arbeiten Künstler*innen im höheren Alter ihre Anfänge noch einmal auf, Martin Scorsese oder auch David Bowie fallen einem sofort ein.

Die enorme Fan-Vorfreude, die der zugleich laszive wie verstörende Trailer schürte, kann „Crimes of the Future“ aber leider nicht einlösen. Mr. Cronenbergs neuer Film ist etwas zu gescheit und beinahe akademisch geworden. Alle Elemente seiner Body-Horror-Meisterwerke blitzen auf, es hagelt Selbstzitate, aber das Szenario wirkt seltsam leblos. Kühle Unnahbarkeit hat man schon Kunstschockern wie „Crash“ vorgeworfen, aber die verursachten noch konstantes Herzklopfen.

Ein Mann und eine Frau liegen in einem Bett und umarmen sich

Nikos Nikolopoulos

Das grandiose Trio Infernal Léa Seydoux, Viggo Mortensen und Kristen Stewart plagt sich mit endlosen surrealen Monologen herum. Wobei Erstere mit ihrer hypnotischen Darstellung den Film öfter an sich reißt, und Letztere eine irritiert kindische Performance abliefert. Eine eindringliche, beklemmende Stimmung kommt trotz omnipräsenten Skalpellen selten auf.

Die findet man dieser Tage eher bei stilistischen Nachfolgerinnen wie Julia Ducournau mit „Titane“. Oder noch mehr im bedrückenden und aufwühlenden Thriller „Possessor“ von David Cronenbergs Sohn Brandon. Immerhin bleibt der Body Horror in der Familie.

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