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Zwei Aktivistinnen haben Suppe auf ein Gemälde geschüttet und sich an der Wand festgeklebt

APA/AFP/Just Stop Oil

auf laut

Klimaproteste am Kipppunkt

In den letzten Monaten sind Aktionen von Klima-Aktivist*innen kreativer, aber auch kontroverser geworden. Während die einen die Proteste feiern, sehen andere eine Radikalisierung.

Von Ali Cem Deniz

Im vergangenen Sommer litt Frankreich an teils extremer Wasserknappheit, in hunderten Dörfern im Süden des Landes wurde das Trinkwasser knapp. Als Gegenmaßnahme begannen Gemeinden mit Wasserrationierungen, doch für manche Bereiche gab es Ausnahmen. Etwa für einen Golfplatz in Toulouse. Um auf die Absurdität aufmerksam zu machen, gossen Aktivist*innen von Extinction Rebellion Golflöcher mit Zement zu. Die Aktion sorgte weltweit für Schlagzeigen und auch Begeisterung. Die Meldung auf der FM4 Twitterseite bekam über 10.000 Likes. „Endlich mal eine sinnvolle Aktion“, war in vielen Kommentaren zu lesen. Nach dem Motto „Wir gegen die dekadenten Reichen, die die Umwelt zerstören“, sorgte die Aktion kaum für Gegenstimmen.

Spektakulär und verwirrend

Anders sah es im Oktober aus, als Aktivist*innen der Gruppe Just Stop Oil in London Tomatensuppe auf ein Van-Gogh- Gemälde schütteten. Diese Aktion bekam noch mehr Aufmerksamkeit, viel Jubel, aber auch Kritik, die nicht abklang, als sich herausstellte, dass das Gemälde nicht beschädigt worden war. Dass es um Aufmerksamkeit ging, dürfte bei den meisten angekommen sein, aber wogegen sich der Protest eigentlich richtet, war schon weniger klar. Gegen das Museum? Gegen Van Gogh? Gegen Ölfarben?

Im Gegensatz zu einer Runde Golf ist ein Museumsbesuch nicht unbedingt ein Distinktionsmerkmal von „denen da oben“, und ein Meisterwerk ist wichtiger als ein Golfplatz. Die Aktion sorgte für so viel Verwirrung, dass sogar Verschwörungstheorien kursierten, dass es sich um eine „false flag“-Aktion handeln könnte, um dem Image von Klimaaktivist*innen zu schaden. Dass Just Stop Oil über Umwege auch Geld von Erben der Ölindustrie wie Aileen Getty erhielt, schien für manche die Bestätigung dafür zu sein.

Kritik von allen Seiten

Auffällig war, dass die Kritik nicht nur von den Feuilletons bürgerlicher Zeitungen ausging, sondern auch von Gruppen, die mit den Aktivist*innen im Grunde sympathisieren. Ines Schwerdtner vom linken Online-Magazin „Jacobin“ kommentierte die Aktion als „narzisstische Weltrettung“. Die aufsehenerregenden Proteste würden zunehmend vom Inhalt ablenken, und am Ende würde es bloß um die Form des Protests gehen. Auch die Straßenblockaden, die mittlerweile zum Markenzeichen von Klimaaktivist*innen geworden sind, findet Schwerdtner nicht konstruktiv. „Sie sind eine strategische Sackgasse, weil genau die breite Masse eher genervt auf die Aktionen reagiert, selbst wenn sie grundsätzlich nicht einmal etwas gegen Klimaaktivismus haben.“

Demgegenüber argumentieren Aktivist*innen, dass es ja gerade darum geht, den Leuten auf die Nerven zu gehen und so Druck auf die Politik zu erzeugen. Die Frage ist, ob diese Taktik längerfristig aufgeht oder ob sich der Ärger zunehmend gegen die Aktivst*innen richtet.

Protest am Wiener Praterstern für Tempo 100 auf der Autobahn

APA/LETZTE GENERATION ÖSTERREICH

Wien, 24. Oktober

Umstrittene Blockaden

Gerade die Straßenblockaden sorgen derzeit in Deutschland für heftige Debatten. Nach dem Tod einer Radfahrerin, die von einem Betonmischer überrollt wurde und nicht rechtzeitig geborgen werden konnte, wurden Aktivist*innen, die zuvor den Verkehr blockiert hatten, für den gescheiterten Einsatz verantwortlich gemacht. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung soll die Blockade zwar keinen Einfluss gehabt haben, aber trotzdem sehen sich erneut viele Kritiker*innen bestätigt: Die Blockaden sind nicht nur lästig, sondern können auch gefährlich sein. Die deutsche Bundesregierung mahnte an, dass Protestierende nicht Gefahren für andere in Kauf nehmen dürfen. Dass der prominente Klimaaktivist Tadzio Müller den Fall auf Twitter mit „shit happens“ kommentierte, führte zusätzlich zu einem Imageschaden für die Klimabewegung.

Diskussion über „Radikalisierung“

Die Debatte um den Tweet offenbart eine Schwäche der Klimabewegung, die weitgehend ohne zentrale Führungspersonen auskommt. Wenn in London ein Gemälde mit Tomatensuppe überschüttet wird, wird dem weltweiten Klimaaktivismus eine Radikalisierung vorgeworfen. Ein Tweet verselbstständigt sich und schon trenden auf Twitter Hashtags wie „Klima-Terror“ oder „Öko-Faschismus“.

Am Ende stellt sich die Frage, ob der „Erfolg“ von Aktionen allein an der Aufmerksamkeit, die sie generieren, gemessen werden kann und das wirklich zu einem Umdenken in der Klimapolitik führt. Aktuell sieht es nicht so aus: Während auf der COP27 mühsam verhandelt wird, überlegen Museen ihre Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen. Der neue Klimaprotest hat auch neue Konsequenzen.

FM4 Auf Laut: Klimaproteste am Kipppunkt

Angeschüttete Gemälde, festgeklebte Hände auf Dinoskeletten und Straßenblockaden zu Stoßzeiten: Protestbewegungen wie Just Stop Oil in Großbritannien oder die Letzte Generation im deutschsprachigen Raum fallen durch immer häufigere und verzweifeltere Aktionen zivilen Ungehorsams auf. Das schafft zwar Aufmerksamkeit für ihre Anliegen, sorgt aber zunehmend auch für Unverständnis und Kontroversen. Tut sich die Klimabewegung mit dieser neuen Dimension des Protests einen Gefallen? Wen und was können solche Aktionen erreichen? Und wie sind sie vor dem Hintergrund der Klimakonferenz in Ägypten zu bewerten? Das bespricht Ali Cem Deniz mit Klimaaktivist*innen und mit euch. Am Dienstag, den 8. November, ab 21 Uhr. Ruft an und diskutiert mit! Die Nummer ins Studio ist 0800 226 996.

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