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Schüsseln auf dem Dach

Nomen Nescio / Radio FM4

Erich Moechel

Gedränge auf dem Dach der Sat-Spionagestation in Wien 22

Die Fotoserie zeigt schnell umkonfigurierbare Vier-Meter-Dishes, noch mehr Schüsseln als 2021, russische Kabelführungen mit Quasteln und eine überdimensionierte Kurzwellenanlage.

Von Erich Moechel

Auf dem Dach der russischen Vertretung bei den Vereinten Nationen in Wien befinden sich weit mehr Sat-Antennen, als auf den Luftbildern von 2021 sichtbar sind. Weitere Schüsseln kamen seitdem dazu, zwei sind hinter einem Aufbau versteckt oder seitlich daran angebracht und damit von oben kaum erkennbar.

Insgesamt sollten es also nicht zwölf, sondern an die 20 Antennen sein, das geht aus einer Fotostrecke mit guter Auflösung hervor, die ORF.at zugespielt wurde. Ein Gutteil dieser Schüsseln zielt auf mehrere Sat-Positionen der beiden europäischen Betreiber SES Astra und Eutelsat. Alle großen Spiegel dienen definitiv nicht zur Kommunikation der Botschaft, sondern sind für Spionagezwecke konfiguriert.

Schüssel

Nomen Nescio / Radio FM4

Dieses Foto stammt wie alle anderen von Anfang November 2022. Wie auch der große Spiegel im Titelbild ist es keine Sendeantenne. Diese Spiegel mit etwa vier Metern Durchnmesser werden seit 2014 regelmäßig auf neue Ziele am Satellitenhimmel eingestellt. Einer dieser großen Dishes wurde von etwa 31° Ost im Jahr 2020 auf 33° West (2022) verdreht. Dieser leicht ramponierte Spiegel zeugt von den hohen Windlasten am Donaufeld. Update vom 20.11.2022: Alle Bilder stehen unter der Creative Commons Lizenz CC BY-SA 3.0.

Was ein erster, langer Blick aufs Dach verrät

Den georeferenzierten Bildern von Vienna GIS ist nicht nur die Lage des Botschaftskomplexes gut zu entnehmen, sondern auch die Geschichte des Aufbaus dieser Station seit 2014.

Die Spiegel in der obigen Galerie befinden sich allesamt auf der östlichen Seite der Dachplattform der russischen UN-Botschaft bei den Vereinten Nationen in Wien 22, Erzherzog-Karl-Straße 182. Diese großen Schüsseln, die alle auf Sockeln mit Schienenstücken stehen, wirken zum Teil vom Wetter etwas mitgenommen oder gar ramponiert, was aber ihrer Funktion keinen Abbruch tut, da dies nur die Schutzschicht der Reflektorfläche darunter betrifft. Die Module zur Signalaufbereitung- und verarbeitung samt den „Low Noise Convertern“ (LNC) vor den Spiegeln, die das Signal auf niedrigere Frequenzen heruntertransformieren, machen anders als die Dishes einen absolut frischen Eindruck. Daraus lässt sich schließen, dass sie regelmäßig erneuert werden.

Diese Module sind bei mindestens drei dieser großen Schüsseln steckbar ausgeführt. Die Antenne kann damit durch weitere Steckmodule für zusätzliche Frequenzbänder schnell erweitert bzw. auf anders polarisierte Signale eingestellt werden. Diese großen Antennen haben es also mit wechselnden Satelliten zu tun. Die erste Annahme, die sich anhand der Luftaufnahme von 2021 (siehe Bild unten) aufgedrängt hatte, muss anhand dieser Fotostrecke nun revidiert werden. Diese großen Spiegel haben definitiv keine Relaisfunktion, sie leiten also keine Signale von russischen Kommunikationssatelliten weiter und sie dienen auch nicht zur Kommunikation der Vertretung bei den UN mit dem russischen Außenministerium. Vielmehr werden darüber Datenströme von wechselnden Satelliten des Westens abgezapft.

Die Fotos dieser Slideshow stehen nur aus technischen Gründen unter einem Copyright-Zeichen. Update vom 20.11.2022: Die Fotos dieser Slideshow können unter Hinweis auf die Lizenz CC BY-SA 3.0 allesamt verwendet werden.

Russische Leitungszuführung mit Quasteln

Die Spiegel der NSA-Überwachungsstation Königswarte machen im Vergleich mit diesem russischen Set-Up einen nachgerade futuristischen Eindruck.

Dem Ambiente auf dem Dach sind die häufigen Umbauten deutlich anzusehen, denn neue Modulkombinationen brauchen teils auch andere Zuleitungen. Manche Antennenzuführungen sind daher nachgerade „russisch“ verlegt, wie im Wienerischen Pfuscherei bezeichnet wird. Man sieht da abgeklemmte Leitungen, die an die Trägerkonstruktion der LNC-Module angeknotet sind und Kabelschleifen, die sogar Schatten in die Schüsseln werfen (siehe oberstes Bild). Ein weiteres Antennenpaar aus der Slide-Show - einer der Dishes ist äuffällig ockerfarben - hat jeweils Durchmesser von etwa +/- zwei Metern. Sie stehen im nordwestlichen Teil der Anlage verdeckt durch einen Aufbau mit Flachdach, der durch eine Stahltür gesichert ist.

Ob diese beiden Antennen ebenfalls über eine automatische Nachführungvorrichtung verfügen, ist von den Fotos her nicht zu sagen. Geostationäre Satelliten fliegen ja in 35.000km Höhe kleine Achterschleifen, wodurch bei stationären Dishes ab einer gewissen Größe der Empfang zeitweise unterbrochen wird. Auf dem 2021er Luftbild von Vienna GIS sind diese beiden Antennen an dieser Stelle noch nicht zu sehen. Die in den Slides sichtbaren kleinen Dishes seitlich am Gebäude unterhalb der Plattformkante sollten eher TV-Antennen sein, eine davon schielt immerhin auf zwei verschiedene Satelliten.

Luftbild 2021/1

ViennaGIS/FM4

Dieser Screenshot aus dem Geodaten-Viewer der Stadt Wien alias Vienna GIS zeigt die Station im März 2021, das ist das neueste dort aktuell verfügbare georeferenzierte Luftbild. Die Ausrichtung dieses Komplexes ist etwa Nordost - Südwest, die Dishes zielen alle in verschiedenen Winkeln Richtung Äquator, wo sämtliche geostationären Satelliten nebeneinander aufgefädelt stehen.

Kurzwelle zur Botschaftskommunikation

Im ORF-Antennenpark Moosbrunn wird eine Quadrantenantenne, bestehend aus vier solchen Reusendipolen, mit 100 KW betrieben.

Die Steuerung der Antennen spielt sich an der Südseite des Gebäudes in einem weiteren Aufbau ab, in dem die Kommunikationsempfänger stehen. Auch der Botschaftsfunk wird über diesen Funkkontrollraum am Südrand des Runds abgewickelt. Dorthin führt nämlich auch die Speiseleitung der Reusenantenne. Die ist von einem Mast über dem Funkkontrollraum hinter der Schüsselreihe aufgespannt und kann mit vergleichsweise hoher Sendeleistung betrieben werden.

Dieser Antennentyp wird mittig mit einer Zweidrahtleitung angespeist, ist sehr breitbandig und kann hier im konkreten Fall mit Leistungen der Kilowattklasse im Bereich von etwa 5 bis 8 MHZ und mehr betrieben werden. Diese Anlage hat offensichtlich nur eine Fallback-Funktion im Falle eines Ausfalls. Eine nicht-abgeschirmte Speiseleitung in der Nähe der empfindlichen Module der Dishes mit hoher Leistung anzufahren, empfiehlt sich nämlich nicht.

Wie es weitergeht, samt großem Dank

Die Messungen wurden vorderhand verschoben, weil neue Antennen dazugekommen sind und andere umgestellt wurden. Die georeferenzierten Luftaufnahmen im Vienna GIS sind mit den Bildern dieser Fotostrecke nur noch sehr bedingt vergleichbar. Messungen sind aber nur von georeferenzierten Fotos möglich. Daher wurde die Analyse der Antennen-Feeds vorgezogen, Funktionen und Equipment sind mittlerweile bekannt. Großer Dank geht an die Experten, die sich ad-hoc im „Nomina Nescio Club“ eingefunden haben und deren geballte Expertise diese Serie erst ermöglicht haben. Der Folgeartikel erscheint hier, sobald er fertig geschrieben ist.

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