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Kristina Holl

Lena Schilling: „Meine Erwartungen für diese COP sind sehr niedrig“

Die große Klimakonferenz COP 27, die gerade in Ägypten stattfindet, wird viel kritisiert. Auch von einer sehr bekannten Klimaaktivistin aus Österreich, von Lena Schilling. Sie ist unter anderem aktiv bei der Lobaubesetzung und bei Fridays for Future. Lena Schilling im Interview über Klimaaktivismus, die COP und ihr neues Buch „Radikale Wende“.

Radio FM4: Viele Aktivist*innen haben die COP kritisiert, Greta Thunberg zum Beispiel. Nach dem letzte COP Gipfel hat sie getwittert: „The COP summit is over. Here is a brief summary: bla bla bla.“ Was hältst du denn vom aktuellen COP Gipfel?

Lena Schilling: Ich glaube, dazu kann man sagen, wir wissen, wo sie stattfindet. Nämlich in Ägypten, in einer Militärdiktatur, wo Klimaaktivisten und -aktivistinnen im Vorfeld von dieser Konferenz schon festgenommen wurden, weil sie Aktionen gemacht haben. Gleichzeitig ist, um überhaupt die COP durchzuführen, weil die ja nicht in Kairo ist, sondern in einem Badeort, in Wahrheit dort ein unfassbares Infrastrukturkonstrukt überhaupt aufgebaut worden. Das heißt, es ist eine achtspurige Straße ins Nichts gebaut worden, nur damit diese Cop stattfinden kann. Und der Hauptsponsor, weil das noch nicht genug ist, ist Coca Cola einer der größten Konzerne, der nicht nur menschenverletzendes Verhalten an den Tag legt, sondern auch umwelt- und klimaschädliches. Und dementsprechend sind die Erwartungen für diese COP sehr niedrig. Zumindest bei mir.

„Meine Erwartungen für diese COP sind sehr niedrig.“

Wäre die COP besser, wenn sie in einem anderen Land stattfinden würde, das nicht Ägypten ist?

Ich glaube, man müsste drüber reden, wie sie dann dort stattfindet. Das dürften, müssten auf jeden Fall Gefangene freigelassen werden und all das, was damit zu tun hat. Aber für mich ist eben auch ein riesiger Punkt, dass gerade eine Konferenz, in der alle Länder gemeinsam entscheiden können, nicht von Konzernen gesponsert werden kann, die davon profitieren, dass sie so produzieren. Und dementsprechend wär für mich das ein Hauptpunkt, dass es natürlich eine unabhängige Konferenz sein müsste.

Jetzt haben wir zum Beispiel in der COP schon gehört, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat dort angekündigt, dass das Klimaschutzministerium bis 2026 zusätzlich 220 Millionen Euro zur Verfügung stellen wird. Was sagst du da dazu? Reicht das oder was muss sonst noch passieren?

Es muss wahnsinnig viel passieren. Wenn wir bei Österreich bleiben, gibt es zwei Hauptthemen, über die wir sprechen müssen. Und das ist einerseits Mobilität, der Verkehrssektor in Österreich, der in den letzten 30 Jahren am meisten angestiegen ist, wenn wir uns die Emissionen anschauen. Und auf der anderen Seite Energie. Das sehen wir gerade in Zeiten des Krieges. Das heißt, wir müssten auf Erneuerbare umsteigen. Das heißt vor allem in Österreich Wind, Solar und Geothermie. Wasserkraft ist recht gut ausgebaut und da muss man sagen, das liegt halt an den Bundesländern. Also wenn eine Mikl-Leitner Windräder nicht zu fesch findet, dann tut mir das leid, aber wir brauchen leider trotzdem Windräder. Also ich glaube, da ist ganz viel Handlungsbedarf.

Wie stehst du dann dazu? Wenn dann Van der Bellen zum Beispiel ankündigt, dass es eben diese 220 Millionen Euro mehr gibt? Ist das dann was, worüber du dich freust oder denkst du dir, das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Tatsächlich ist ein wahnsinniges Budgets für Klimaschutz freigegeben worden unter den Grünen. Das Problem ist tatsächlich die Umsetzung, weil wir eben auf Solarpanele warten, weil die meisten Bundesländer zumindest im Westen Windkraft komplett stoppen wollen bzw. nicht bauen wollen. Und Geothermie ist einfach relativ kompliziert. Das heißt, das Problem ist eben gerade bei Erneuerbaren, dass es viel Geld gibt, aber einfach zu wenig Fläche. Und was Mobilität betrifft - na ja, man müsste den öffentlichen Verkehr ausbauen und billiger machen, statt neue Straßen zu bauen. Das ist auch relativ einfach.

Buchcover "Radikale Wende" von Lena Schilling

Almathea Verlag

Lena Schillings Buch „Radikale Wende“ ist im Almathea Verlag erschienen.

Jetzt hast du schon gesagt, dass viele Sachen notwendig wären und ich würde das gerne als Brücke nehmen, weil du ja auch ein Buch geschrieben hast, das „Radikale Wende“ heißt. Und da schreibst du ganz am Anfang: „Für alle, die nach Hoffnung suchen in einer Welt, in der wir zynisch werden könnten“. Wenn du das jetzt alles hörst, was gemacht werden müsste, also was du selbst erzählst, wie schaffst du es eigentlich, als Aktivistin selbst nicht zynisch zu werden?

Wegen den Menschen, die mit mir gemeinsam kämpfen und vor allem den Menschen, die schon sehr lange kämpfen? Also die Klimakrise und alle möglichen Krisen gibt es einfach schon lange. Wir reden halt erst jetzt über die Klimakrise seit den letzten vier Jahren so richtig. Und was macht mir Mut. Ich glaube zu wissen, dass Menschen Systeme gebaut haben und wir deswegen als Menschen diese Systeme auch wieder verändern können. Auch wenn das vielleicht ganz viel Kraft kostet, wenn wir gegen riesige Lobbys kämpfen und gegen riesige Mühlen. Aber in Wahrheit haben wir, wenn wir viele sind, die Macht Verhältnisse zu verändern. Und daran glaube ich.

„Wir müssen die Probleme, diese Krisen von der Wurzel an lösen.“

Dein Buch heißt „Radikale Wende“. Was bedeutet der Titel genau für dich?

Wenn wir über die großen systemischen Krisen reden und die Klimakrise ist eine solche, die mit ganz vielen Dingen zusammenhängt, dann reden wir eben über eine Systemfrage. Und zu glauben, dass wir innerhalb des Systems einfach ein paar kleine Stellschrauben verändern können und dann weiter tun wie bisher, ist nicht drinnen. Das bedeutet, dass ich radikal im Wortsinn meinen, das heißt von der Wurzel an, und wir müssen die Probleme, diese Krisen von der Wurzel an lösen. Und dafür wird es eine gesellschaftliche Wende brauchen, in ganz viel Bereichen. Und das habe ich versucht mit diesem Titel zu sagen, der natürlich für ein, zwei Aufreger sorgt.

Du schreibst ja in diesem Buch auch viel über aktivistische Arbeit. Was bedeutet in dem Zusammenhang eigentlich Radikalerl Aktivismus für dich? Und findest du dich selbst eigentlich auch radikal in dem, was du tust?

Ich hoffe sehr, dass ich radikal bin und so wahrgenommen werde. Es heißt für mich, die Projekte anzugehen, zum Beispiel fossile Großprojekte an der Wurzel, wo sie entstehen. Es hat geheißen, Baustellen zu besetzen und Grundstücke zu besetzen, wo neue Straße, neue Infrastruktur gebaut werden soll, die klimaschädlich ist. Für mich bedeutet radikaler Aktivismus nicht unbedingt extrem. Es bedeutet nicht unbedingt, dass wir irgendwas in die Luft sprengen müssen, sondern das heißt, dass wir uns überlegen müssen, wo die politischen Hebel sind, um wirklich das System anzugreifen.

Würde für dich in diese Kategorie fallen, Kunstwerke mit Tomatensuppe zu bewerfen oder so?

Ich finde die Proteste vollkommen okay, weil ich weiß, wie frustriert die Menschen sind. Ich meine eben 50 Jahre lang. Wir feiern dieses Jahr 50 Jahre Club of Rome, den Bericht der Lage der Menschheit. Wir wissen genau, worum es geht. Schon so lange. Und trotzdem tun sie nichts. Und es ist klar, warum sie nichts tun. Weil es eben um Interessen geht. Und ich verstehe, dass Klimaaktivist*innen verzweifelt und wütend sind. Ich bezweifel, dass wir damit das verändern, was wir wollen. Also ich finde es ist eine vollkommen legitime Protestart. Ich finde es vielleicht taktisch nicht ganz schlau, weil ich das Gefühl habe, wir müssten eher diejenigen angreifen und uns mit denjenigen auseinandersetzen, die politisch tatsächlich was dafür können. Das wäre die Wirtschaftskammer, das wäre die IV, die Leute, die wirklich Klimaschutz blockieren in Österreich. Und da finde ich solche Aktionen durchaus lustig.

Eine weitere Protestform, die sich da vielleicht gerade auftut, sind Unibesetzungen unter dem Titel „Erde brennt“. Und wer die auf Social Media verfolgt, weiß, dass du da auch irgendwie hin und wieder ein paar Sachen dazu teilst. Wie stehst du da dazu? Engagierst du dich da auch?

Genau. Also ich finde das wahnsinnig großartig. Das ist ja in einem internationalen Rahmen von Skills. Das heißt, es geht um eine internationale Kampagne an Schulen und Unis. Im Moment vor allem in Europa, wo junge Menschen, Schulgebäude und Unigebäude besetzen. Und das finde ich wahnsinnig sinnvoll, weil es eben die Räume sind, in denen sie sich am meisten aufhalten. Und gerade vom Schulstreik: Vier Jahre lang sind Millionen Menschen auf die Straße gegangen. Es ist zu wenig passiert. Jetzt holen sie sich ihre Bildungs räume zurück. Ich selber bin in der Unibewegung so ein bisschen aktiv, aber versuche vor allem die Schülerinnen bei ihren Protesten zu unterstützen. Weil ich das Gefühl habe, dass ich da mein Know How einfach besser einsetzen kann. Und junge Aktivist*innen zu unterstützen ist eine der schönsten Dinge, die man machen kann.

„Wenn Unrecht passiert, dann müssen wir immer aktiv sein und wir dürfen nicht müde werden.“

Was sind deine nächsten Pläne?

Weiter zu versuchen die Verhältnisse zu verändern. Ich hab eine ganz schöne Geschichte: Vor mehr als einem Jahr hat der Protest gegen ein Straßenbauprojekt gestartet, der dann ewig lang in Baustellenbesetzung geendet hat. Und ich bin in Hirschstetten im 22. Bezirk in Wien gesessen und Werner Schandl, ein über 50-jähriger Mann von „Hirschstetten retten“ hat mir die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: „Das wird ein Marathon und kein Sprint. Das weißt du.“ Und ich: „Ja, ja.“ Und mittlerweile verstehe ich ein bisschen mehr, was er meint. Und das trage ich irgendwie mit. Wir sind immer aktiv und wenn Unrecht passiert, dann müssen wir immer aktiv sein und wir dürfen nicht müde werden. Ich glaube, einen nächsten Schritt gibt es immer und nicht dezidiert.

Danke, Lena Schilling, dass heute bei uns im Studio warst.

Vielen Dank für die Einladung.

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