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Ralph Fiennes in "The Menu"

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Ein bisschen blutig und very well done: „The Menu“

Ein exklusives Restaurant auf einer entlegenen Insel, 12 illustre Gäste, ein genialer Koch. „Tonight will be madness“, freut sich einer der Gäste und weiß noch gar nicht, wie recht er hat. „The Menu“ ist ein grandioser und überraschender Film, der satirische Watschen in Richtung Oberschicht und Gourmet-Obsessionen austeilt.

Von Pia Reiser

Dieser Text kommt ohne Spoiler und ohne cheesy (sic!) Essensmetaphern aus! Naja, abgesehen vom Titel.

Bis jetzt war der sarcastic clap meine liebste Verwendung des Klatschens im Film, seit „The Menu“ hat der sarcastic clap aber Konkurrenz und schuld daran ist ein Koch. Chef Slowik (Ralph Fiennes) setzt jedem neuen Gang seines Menüs einen Klatscher voraus, ein Klatscher, der jedes Gespräch in seinem exklusiven Restaurant verstummen lässt, seine Mitarbeiter*innen in der Küche in eine aufrechte Haltung schnalzen lässt, die sich auch in jedem Ballettsaal sehen lassen könnte und je länger der Abend voranschreitet, umso mehr steht dieses einfache Zusammenklatschen der Hände für Bedrohung und Eskalation eines Abends, der ansich nur im Zeichen des Distinktionsgewinns durch Essen gestanden ist.

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153. FM4 Filmpodcast: „The Menu“ & „Pig“ (ab 21. November, 22 Uhr)

Der Film und das Essen, Essen im Film: Darüber könnte man stundenlang reden. Pia Reiser und Christian Fuchs plaudern aber nur anlässlich zweier Werke über Kulinarik im Kino. In „The Menu“ erlebt Anya Taylor-Joy einen Abend in einer wahren Gourmet-Hölle, in „Pig“ begibt sich Nicolas Cage als melancholischer Ex-Koch zurück ins kaputt-dekadente Dinner-Reich.

1.250 Dollar hat jeder der Gäste bezahlt, um in einem Spitzenrestaurant auf einer entlegenen Insel nahe der pazifischen Nordwestküste zu speisen. Nur, nennen sie es bloß nicht banal essen, warnt Slowik. Ein Menü der Extraklasse für die Oberschicht, ausgedacht und perfektioniert von einem Meisterkoch, der als Genie von Gastrokritiker*innen und Foodies angebetet wird. Tonight will be madness, freut sich einer der Gäste und er hat Recht.

SZenenbild "The Menu"

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Die Edelgastrononomie, zugespitzt auf die Kombination aus teuersten Zutaten, winzigsten Portionen und affektiertem Arrangement, war immer schon - vor allem im Hollywoodkino - ein so einfacher wie funktionierender Shortcut, um bei privilegierten Figuren deren Arroganz und Weltfremdheit noch deutlicher herauszustreichen. Essen wird in Hollywood-Filmen - noch effizienter als Kleidung - oft eingesetzt, um Klasse zu thematisieren. Das einfache Essen funktioniert hingegen im Film oft als Erweckungsmoment, Auslöser an Erinnerung an die wirklich wichtigen Dinge des Lebens oder Moment großer Freude, man denke nur an das Ende von „Ratatouille“, an das Spaghetti-Essen von Susi und Strolch oder Julia Roberts Liebeserklärung an Pizza in „Eat Pray Love“. Auch in „The Menu“ hat ein Cheeseburger einen wichtigen Auftritt und eine ähnliche Funktion. Quasi ein protein-, kohlehydrate- und fettreicher Arschtritt gegen einen allzu manierierten Umgang mit Essen.

Wenn schon nicht treten, so zumindest durchbeuteln möchte man von Anfang an Tyler (Nicholas Hoult), Foodie aus Leidenschaft, der Chef Slowik verehrt und der als perfekte Verkörperung von Fantum funktioniert, die alles rund um sich mit einer Mischung aus Klugscheißerei in ihrem erklärten Lieblingsgebiet und Scheuklappentum gegenüber den Rest der Welt vergiftet.

Hoult ist fantastisch als fanatischer Fan, der so gern ein Pünktchen am Radar von Chef Slowik wäre. Sein Detailwissen über Slowik im Speziellen und Essen im Allgemeinen gibt er ungefragt und aufgeregt an seine Begleitung Margot (Anya Taylor Joy) weiter. Sie ist zwischen den Wall Street Bros, den Restaurantkritiker*innen, dem Schauspieler und dem Ehepaar, das ein Dauergast bei Slowik ist, an diesem Abend das schwarze Schaf, was ihren Status und ihre Interessen an dieser Art von Umgang mit Essen angeht. You should not be here, sagt auch Slowik.

Aber weg kann sie jetzt auch nicht mehr, auf der Insel gibt es nur das so schlichte wie schöne Restaurant, ein Wohnhaus für Slowik und eine Unterbringung für das Küchenpersonal. Handy-Empfang ist quasi nicht vorhanden und das Boot, das die Gäste hergebracht hat, ist längst fort. Die Einheit des Ortes, gesteigert durch das Szenario, dass dieser Ort nicht einfach verlassen werden kann, kombiniert mit einer illustren Runde an Figuren, die einander nicht kennen, geht auf Agatha Christies „And then there were none“ zurück und wurde auch gerade in „Bodies Bodies Bodies“ exzellent genutzt.

Szenenbild "The Menu"

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Margot mit der Lederjacke und dem Sicherheitsnadel-Ohrring lässt sich weder von Austern noch von den mit Pinzetten zu Gourmet-Dioramen zurechtgezupften Speisen blenden. Sie findet Slowik unhöflich und seine Brotplatte, die mit einem großen ideologischen Überbau ausgestattet ist, aber ohne Brot auskommt, einfach nur deppert. Und das sagt sie auch. Tyler schwitzt Blut. Aber Slowik lässt sich so schnell nicht aus der Fassung bringen.

„The Menu“ startet am 18. November 2022 in den österreichischen Kinos

Regisseur Mark Mylod hat zuvor Episoden von „Succession“ und „Game of Thrones“ inszeniert und aus der einen die Klientel und aus der anderen die Grausamkeit in „The Menu“ mitgenommen. Wie auch „Triangle of Sadness“ ist auch „The Menu“ eine satirische Moritat auf die Schrecklichkeit mancher allzu reicher Menschen im Allgemeinen und deren überkandideltes Zelebrieren von Feinschmeckerei im Speziellen. Und auch wenn diese Feststellung nicht neu ist und noch weniger irgendwas an der Tatsache ändern kann, so ist das filmisch doch meistens ein erfreuliches Spektakel, bei dem wohl auch Schadenfreude eine kleine Rolle spielt. Während „Triangle of Sadness“ bei seinen Figuren ein bisschen vage ist und nach der Hälfte auch ein wenig herumwabert, so sitzen bei „The Menu“ die Zuschreibungen und auch die Klischees besser. Meine Lieblinge - neben meinem ewigen Liebling Ralph Fiennes in allem, was er tut - sind Janet McTier und Paul Edelstein als Gastrokritikerin und ihr Editor, hoffnungslos verloren in der selbsterschaffenen Wichtigkeit ihres Berufes. Hong Chau als Küchenchefin ist so exzellent wir furchteinflößend, John Leguizamo schüttelt den sleazy Schauspieler (gewandmässig durchaus nahe an Johnny Depp gebaut) aus dem Ärmel, aber wann ist Leguizamo kein Grund zur Freude?

Bei „The Menu“ ist es essentiell, möglichst wenig über den Film zu wissen, bevor man ihn sieht, weil es wenig Schöneres im Kino gibt, als überrascht zu werden. Und wie „The Menu“ die Spannung hält, obwohl es sich bei mehreren Genres bedient und die Eskalation beständig vorantreibt, ist grandios.

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