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Christine And The Queens

Chris von Christine And The Queens ist jetzt Redcar

Der französische Musiker Christine And The Queens veröffentlicht mit „Redcar les adorables étoiles“ das dritte Album. Der ganz besondere moderne Art-Pop dieses die Regeln brechenden Ausnahmetalents ist eine Art Avantgarde-Pop-Oper geworden.

Von Eva Umbauer

Das ist es nun also, das dritte Album von Christine And The Queens, jenem Musiker, der als Héloise Letissier im westfranzösischen Nantes geboren wurde, in London sich mit Drag Queens angefreundet - im legendären, inzwischen geschlossenen Musikclub Madama Jo Jo’s -, ein wunderschönes Mini-Album veröffentlicht und dann mit dem ersten Album zum Star geworden ist. Auf „Chaleur humaine“, jenem 2014 erschienenen, zweisprachigen modernen Kammerpopalbum, folgte vier Jahre später das funkigere „Chris“, und nun „Redcar les adorables étoiles“.

Letzten März sagte Chris in einem Interview mit der New York Times über seine Gender Identity: „It could be switching between they and she. I kind of want to tear down that system that made us label genders in such a strict way.“ Seit August verwendet Chris aber nun die Pronomen he/him: „I’ve been a man for a year now – a little more officially in my family and in my relationship. It is a long process“, sagte Chris dann letzten August via TikTok.

Eigentlich ist der komplette Titel der neuen Platte von Christine And The Queens „Christine And The Queens present Redcar les adorables étoiles“. Die „adorables étoiles“ sind „anbetungswürdige“ oder auch „reizende“ Sterne, und Redcar, ja, wer oder was ist Redcar? Chris ist Redcar.

Ein Redcar ist ein Noteinsatzfahrzeug im Feuerwehr- und Rettungsdienstwesen. Seit dem plötzlichen Tod seiner Mutter, 2019, gewann dieses Wort an Bedeutung für Chris. „Redcar, like all my poetry and philosophy, is poetry and philosophy that helps me be successful“, so Chris über seine neue abstrakte Rolle namens Redcar - eine Figur mit rotem Handschuh, auch ein wenig wie die fiktive Figur Patrick Bateman aus dem später verfilmten Roman „American Psycho“ von Bret Easton Ellis. Redcar ist eine Art Vehikel zum Transport der Poetry von Christine And The Queens, und Redcars, so andere Quellen, waren einfach rote Autos, die Chris während der Lockdowns vor seinen Fenstern sah, ihm besonders auffielen und ihn irgendwie fröhlich machten.

Chris ist also nun Redcar, und da sind wir auch schon bei einem der schönsten Tracks vom neuen Album von Christine And The Queens, nämlich „Rien dire“, wo Chris aka Redcar singt „je pense tous les jours a toi, sans rien dire“. Ich denke jeden Tag an dich, ohne etwas zu sagen - also wortlos. „On s’aime et sans jamais rien dire.“ We love each other without ever speaking. Redcar singt auf Französisch und auf Englisch, oft beides in einem Song.

Die ersten beiden Alben von Christine And The Queens waren nicht nur in Frankreich sehr erfolgreich, sondern auch Nummer Eins in den britischen Albumcharts. Der Auftritt beim englischen Glastonbury Festival im Sommer 2016 machte Christine And The Queens auch im UK zum Star.

Mit dem neuen Album ist die Sache nicht so ganz klar. Angebliche Probleme mit der Plattenfirma sickerten durch. Der Großteil der neuen Tracks sind in fast rasender Geschwindigket entstanden - manche hören sich dann auch fast ein wenig so an wie noch unvollendete Skizzen. Andere wiederum gehören zum Berührendsten, was Christine And The Queens bisher gemacht hat.

Das ist etwa der Song „Ma bien aimée byebye“, wo Redcar singt: „my wife till I die, my baby long gone, immortelle, inchangé, ton visage, en été“. Unsterblich, unverändert, dein Gesicht, im Sommer. Wieder, wie „Rien dire“, eine Hommage an die geliebte, zu früh gegangene Mutter? Oder an einen Geliebten? Oder, und das ist am wahrscheinlichsten, es geht hier um die Transformation von Chris zum Mann. Der Song „Les étoiles“ - die Sterne - handelt definitiv von seiner Mutter, zu der im Himmel er betet. Eines ist insgesamt aber klar, Chris ist auf der Suche nach Liebe und nach Akzeptanz.

Da gibt es noch das Dunkle, das Unruhige, ja, das Mulmige an den neuen Tracks. So düster war der Künstler bisher noch nicht unterwegs. Da ist Blut im Auto - Tierblut, das aus dem Auspuff von diesem Redcar kommt? Eine dystopische Vision der Welt voller Kapitalismus? Das und noch mehr scheint in „Redcar les adorable étoiles“ zu stecken. Da sind wasserspeiende Engel und katholische Heilige noch das Einfachste. Theatralisch ist dieser Synth-Art-Pop auf jeden Fall immer wieder, oder eben gar opernhaft, etwa bei „La chanson du chevalier“, dem „Lied des Reiters“, wo Chris im Video dazu um eine Skulptur des großen französischen Bildhauers Pierre Rodin tanzt.

Ganz ohne Anleitung ist diese Platte etwas schwierig, man tappt im Dunklen, kennt sich nicht immer aus, schippert schon mal steuerlos durch die Nacht, aber dann ist doch einmal wieder etwas klarer, zum Beispiel dass „Looking For Love“ - der mögliche Hit am Album - fast ein wenig nach den Eurythmics klingt, während Anderes mehr an new-wave-ige französische 80er-Jahre-Pop-Bands wie Les Rita Mitsouko oder Indochine erinnert. Aber es gibt weitere Einflüsse - von Serge Gainsbourg über Marianne Faithfull bis zu Pink Floyd. Außerdem könnte das Filmdrama „Orlando“ von 1992 - mit Tilda Swinton - eine Inspiration gewesen sein: Orlando, ein junger, androgyner Edelmann und Dichter, lebt zur Zeit der Königin Elisabeth I., deren Gunst er gewinnt. Kurz vor ihrem Tod im Jahr 1603, ruft sie ihn zu sich...

Chris im Anzug, hinter ihm zwei Ladys in Abendkleidern

Christine And The Queens

„Redcar les adorable étoiles“ von Christine And The Queens ist bei Because Music erschienen.

Héloise? Christine? Chris? Redcar? Egal welcher Name, Christine And The Queens ist ein toller Performer, ein toller Texter und Komponist, ein absolutes Ausnahmetalent des Pop oder besser, der Popkunst. Ganz leicht macht er es uns mit diesem Konzeptalbum von Christine And The Queens insgesamt nicht, denn es fehlt der Pop-Appeal, egal, ob man Französisch kann oder nicht. Aber erst einmal tiefer hineingetaucht in „Redcar les adorables étoiles“ ist dieses Album durchaus ein Erlebnis. Angeblich folgt Teil zwei. Christine And The Queens, so scheint es, hat ein neues Kapitel begonnen. Es bleibt spannend, wie es mit der französischen Pop-Sensation weitergeht.

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