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Tafel mit mathematischen Formeln und geometrischen Formen

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MARC CARNAL

Dieses Schulwissen braucht ihr nie wieder!

Körper in andere einschreiben, Leserbriefe verfassen oder Stalaktiten erkennen - viele Skills aus eurer Schullaufbahn sind in Alltag und Karriere völlig nutzlos.

Eine Kolumne von Marc Carnal

Liebe Schüler*innen,
ihr fragt euch bei dreistündigen Gedicht-Interpreationen, traumatisierenden Gruppenarbeiten oder beim Sprung über Böcke und Kästen zurecht immer wieder, ob ihr “das alles” wirklich mal “im Leben” brauchen werdet. Spoiler: Nein.

Verschrobene, medikamentenabhängige Boomer bringen Tiktok-süchtigen Jugendlichen anhand des original Lehrplans von Maria Theresia was über “das Leben” bei und vergeben zur Belohnung Zahlen zwischen eins und fünf - was soll da schon schiefgehen?

Auch wenn das eine oder andere EH ein bissi interessant ist und es gar nicht SO doof ist, halbwegs gut Deutsch und Englisch zu können, braucht ihr das allermeiste aus zwölf Jahren Frontalunterricht unter Garantie nie wieder. Ganz besonders die folgendes Skills und Facts könnt ihr getrost vergessen:

Stalaktiten und Stalagmiten

Seit es der Wissenschaft gelungen ist, zwischen Stalaktiten und Stalagmiten zu unterscheiden, wird auch unzähligen Generationen von Schüler*innen konsequent beigebracht, was der Unterschied zwischen diesen Tropfstein-Gebilden ist.
Wir noch-nicht-woken Kids haben von unserem erst-recht-nicht-woken Lehrer folgende Eselsbrücke beigebracht bekommen: “Die Mi(e)ten steigen, die Tit(t)en hängen”.
Ich bezweifle, dass man diesen zu fünfzig Prozent kapitalismuskritischen, aber zur anderen Hälfte auch misogynen Merkspruch heute noch “bringen” kann. Der Derbheit der Gedankenstütze mag es geschuldet sein, dass ich sie mir bis heute gemerkt habe. Fragt sich bloß wozu. Man ist nie wieder mit Stalaktiten und Stalagmiten konfrontiert, außer man hat beruflich in Tropfsteinhöhlen zu tun, aber dann wird sich ja hoffentlich irgendwann “einfach so” merken können, ob Stalagmiten von der Decke hängen oder nicht.

Körper in andere einschreiben

Ihr könnt mich gerne einen schamlosen Lügner oder ignoranten Taugenichts schimpfen, aber ich schwöre beim Barte meiner Mutter, dass ich seit meiner Mathematik-Matura nie wieder in die Verlegenheit gekommen bin, darum gebeten wurde oder geschweige denn das Bedürfnis verspürt hätte, einen Oktaeder in einen Würfel einzuschreiben.

Erörterungen und Leserbriefe schreiben

Die Textform “Erörterung” wurde ausschließlich erfunden, um Schüler*innen zu quälen. Außerhalb der Schule ist dieses Genre inexistent. Weder werden in Tageszeitungen Themen anhand des Schemas “Drei Pro-Argumente / Drei Kontra-Argumente / Resümee, persönliche Meinung” behandelt, noch gibt es “Peter Handkes schönste Erörterungen” in Buchform.
Auch die Form des Leserbriefs spielt im Jahr 2022 eine äußerst marginale Rolle. Dass man Jugendliche nicht Textformen wie die Google-Rezension, die oe24-Parodie oder den Hass-Kommentar lehrt und sie stattdessen ungebrochen zwingt, schlaumeierische Leserbriefe zu schreiben, zeugt von der konsequenten Weltfremdheit des Lehrplans und seinen Schergen.

Aufstehen zur Begrüßung

Ich weiß nicht, ob Schüler*innen auch heute noch dazu angehalten werden, die eintretenden Lehrkräfte zu begrüßen, indem sie sich kollektiv erheben und “Guten Morgen” murmeln - auf jeden Fall ist diese weirde Form der Begrüßung äußerst Schul-spezifisch und wirkt im späteren Leben socially wohl ziemlich awkward. Es ist beispielsweise nicht anzuraten, das eintretende Tinder Date zu begrüßen, indem man sich schweigend vom Kaffeehaus-Tisch erhebt, “Guten Morgen” murmelt und sich dann wieder setzt.

Computerführerschein

Ok, vielleicht gibt es ja wirklich „Branchen“, in denen man mit dem Besitz des Computerführerscheins eher reüssieren kann als ohne. Ich persönlich wurde jedenfalls noch nie danach gefragt. Die Generation Z, die jede Programmiersprache nach drei Tutorials begreift, zu nötigen, ihr Basis-Wissen in den Bereichen Powerpoint und Outlook in Form einer Führerscheinprüfung zu belegen, und das von Informatik-Lehrkräften, in deren Jugend die einzig bekannten Natives noch nicht digital waren, sondern Winnetou geheißen haben, ist schon einigermaßen grotesk.

Schul-Französisch

Die Fantasiesprache, die man jahrelang im Französisch-Unterricht gelehrt bekommt, hat kaum etwas mit der jener hübschen Sprache zu tun, die in Frankreich geläufig ist.
Solltet ihr jene abgehackte Zeitlupen-Aneinanderreihung von falsch ausgesprochenen Vokabeln und lebensfremden Redewendungen, die euch in der Schule als “Französisch” verkauft wird, jemals in der Bretagne verwenden wollen, wird man euch nicht verstehen und milde belächeln.

Ball über die Schnur

Dieses Spiel ist die Erörterung des Turnunterrichts. Das ausgesprochen langweilige “Ball über die Schnur” existiert ebenso wenig wie Völkerball außerhalb des Schul-Kosmos. Eine Profi-Karriere ist praktisch ausgeschlossen und das IOC scheint mittel- und langfristig keine Ambitionen zu zeigen, “Ball über die Schnur” olympisch zu machen.

Jobaussichten

Vergesst einfach alles, was euch Lehrkräfte über Arbeitsmarkt, Hochschule und Karriere erzählen. Wie sollten ausgerechnet Menschen, die sich nach ihrer eigenen Matura durchs Lehramtsstudium gewurschtelt haben, um dann ihr Leben lang mit jährlich vier Monaten Urlaub plus zwei Monaten Krankenstand beruflich Overhead-Folien aufzulegen, Jugendlichen etwas über Berufschancen und Bildungswege beibringen?

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