FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Katja Lewina

Lucas Hasselmann

Gemeinsam Aufräumen

In ihrem neuen Buch „Ex - 20 Jahre, 10 Männer und was alles so schiefgehen kann“ trifft die Autorin Katja Lewina („Sie hat Bock“) die Männer aus ihrem Leben - und rät uns allen, das Gleiche zu tun.

Von Boris Jordan

Vor einem halben Jahr habe ich Katja Lewina erstmals getroffen, um über ihre Bücher „Sie hat Bock“ und „Bock“ zu sprechen, in denen man die Autorin in einem sehr intimen Zusammenhang kennenlernt. Jetzt hat Sie ein neues Experiment versucht und sich in das Beziehungsfeld begeben. Es geht um die Ex: In „Ex - 20 Jahre, 10 Männer und was alles so schiefgehen kann“ trifft Katja Lewina Männer aus ihrer Vergangenheit, mit denen sie Beziehungen unterschiedlicher Art geführt hat und nimmt uns erneut mit auf eine Reise in ihre Vergangenheit. Die Lewina-Leser*in ist von der Autofiction der „Bock“-Bücher schon einiges gewohnt, aber hier öffnet die Autorin sich selbst als Person noch mehr. Sie rät in dem Buch allen, das zu tun, was sie getan hat, nämlich zu schauen, wie es den Ex-Beziehungen so geht und noch einmal zu evaluieren, was man da empfunden hat.

Boris Jordan: Soll man jetzt wirklich allen Menschen raten, sich diesen Irrsinn anzutun?

Katja Lewina: Ja, definitiv ja (lacht). Es ist ein Fehler, glaube ich, zu denken, dass man sich keinen Irrsinn antun sollte im Leben und eher die Vermeidungsstrategie fahren von „bloß keinen Schmerz erleben“. Damit macht man sich tatsächlich ziemlich vieles kaputt. Ich kann mir vorstellen, dass man nicht unbedingt jeden Ex-Partner oder jede Ex-Partnerin treffen muss, vor allen Dingen nicht solche Menschen, die vielleicht gewalttätig waren, wo man wirklich auf Abstand gehen muss, wo ein Wiedersehen auch wirklich gar nichts bringen würde. Meine Erfahrung ist aber, dass die wenigsten Beziehungen so schlimm sind, dass man sie nicht rekapitulieren könnte. Wenn wir uns unserer Vergangenheit stellen, wenn wir uns auch den Menschen stellen, die uns verletzt haben, die wir verletzt haben, mit denen wir durch Höhen und Tiefen gegangen sind, die ein Teil unseres Lebens waren, dann lernen wir für die Gegenwart. Wenn wir verzeihen, wenn wir uns anhören, was die andere Person zu sagen hat, wenn wir uns selber möglicherweise auch entlasten können. Es sind so viele Dinge ungesagt, oft, zwischen Menschen, die auseinandergehen, und wir tragen die teilweise jahrelang mit uns herum. Ich glaube, das kathartische Element liegt eigentlich sehr klar auf der Hand. Für mich waren diese Schmerzen und das Sich-Stellen die Anstrengung 100 Mal wert.

Boris Jordan: Abgesehen von der einen Beziehung - ein kleiner Spoiler -, die sich da aus dieser Rückschau erneut ergibt, die sozusagen wieder aufflammt, klingt das alles sehr entspannt. Sie begegnen diesen Menschen sehr entspannt, sie trinken mit ihnen Bier, auf manche lassen Sie sich mehr ein, auf manche weniger. Es gibt relativ wenig Groll. Ist es ein Ergebnis des Buches, dass Sie im Reinen sind mit dem vergangenen Beziehungsleben? Oder waren Sie es schon vorher und haben sich deswegen getraut, das Buch zu schreiben?

Katja Lewina: Ich hatte tatsächlich wenig Groll den Männern gegenüber, die ich getroffen habe. Es war eher so eine Fassungslosigkeit mir selber gegenüber und meinen eigenen Beziehungsmustern, die ich mir da angeschaut habe. Andersherum gab es schon viele verletzte Gefühle. Die ersten beiden Männer wollten mich auch nicht unbedingt treffen, und ich musste denen diese Gespräche richtig abringen. Am Ende gibt es auch einen, der mich partout nicht sehen will. Das ist dann quasi die Beziehung, wegen der ich am Anfang trauere, wegen der ich überhaupt auf dieses ganze Experiment gekommen bin: Weil ich nämlich gemerkt habe, ich bin jetzt Mitte 30 und die Liebe bereitet mir wirklich immer noch Kummer, und zwar großen Kummer. Als hätte ich mich nicht weiterentwickelt.

Meistens reicht es schon zu sagen: „Hey, ich habe dich gehört und du hast auch recht.“

Boris Jordan: Die Einsicht in die eigenen Beziehungsmuster gelingt nicht nur in langwierigen Therapien, sondern auch in Auseinandersetzung mit diesen Personen, würden Sie sagen?

Katja Lewina: Ich würde sagen, das gelingt fast noch besser in der Auseinandersetzung mit den Personen. Obwohl ich natürlich die Rolle meines Therapeuten auf keinen Fall hier schmälern möchte, es ist natürlich großartig, wenn man dabei Begleitung hat. Ich habe aber gemerkt, dass ich mich in der Therapie sehr um mich selber drehe, um meine eigenen Geschichten, die wir uns ja alle zurechtlegen, über unsere Vergangenheit, und da gewisse Dinge verklären oder auch vielleicht schlimmer machen, als sie waren. Aber meistens neigen wir unbewusst dazu, uns zum Opfer der Umstände zu machen oder zum Opfer der Menschen: „Dann haben sie das und das gemacht und dann konnte ich nicht mehr anders ...“ Das passiert sehr leicht.

In dem Moment, wo du dich einem anderen Menschen stellst und dir die Geschichte anhörst und dann vielleicht auch merkst, dass das eine ganz andere Geschichte ist, als ich sie erlebt habe, und dann aber nicht ins Streiten gerätst darüber, welche Geschichte denn jetzt stimmt, sondern vielleicht auch einfach annehmen kannst, dass es zwei unterschiedliche Wahrheiten gibt, dass dieser andere Mensch auch ein Recht auf seine Geschichte hat. Wenn man es schafft, einander zu verzeihen - und das klingt jetzt viel größer, als es ist, meistens reicht es ja schon zu sagen: „Hey, ich habe dich gehört und du hast auch recht.“ Dann löst das unglaublich viel und es bringt dieses Korrektiv mit rein. Sich selber noch mal durch die Augen einer anderen Person zu sehen und möglicherweise auch sich selbst ein bisschen zu relativieren, das tut sehr vielen Menschen sehr gut.

Wir mögen gerne Schubladen für alles, was wir da haben an Beziehungen in unserem Leben.

Boris Jordan: Die Männer in Ihrem Buch scheinen recht einsichtig und vernünftig, Die reagieren so gut auf das, was Sie sagen. Sie müssen denen nichts aus der Nase ziehen, sie müssen ihnen keinen Honig ums Maul schmieren. Die kommen direkt mit dem, was sie damals empfunden haben. Das war etwas erstaunlich.

Katja Lewina: Ich erinnere mich gerade an die ersten beiden Männer, die ich getroffen habe, die haben sich ja schon ein bisschen geziert und gewunden und wollten gar nicht so gerne, die musste ich ein bisschen überreden. Dieses Überreden hat sich für mich super unangenehm angefühlt, denn ich habe mich ja auch sehr zurückgewiesen gefühlt, in dem Moment, und auch wieder an irgendwelche Verletzungen von früher erinnert. Es hat sich total gelohnt, da dranzubleiben. Wenn jemand komplett widerständig ist, dann kann man nichts machen, man kann ja niemanden dahin zwingen. Aber am Ende, egal wie nichtig diese Geschichte für die eine oder andere Person war: Es lohnt sich immer, weil dieses noch mal Draufgucken noch mal einen neuen Aspekt hochholt, von einem selber, oder von der Beziehung damals, weil ungeklärte Fragen einen Raum finden, beantwortet zu werden. Auch diese Intimität, die sich einstellt, fand ich irgendwie so erstaunlich. Das ist etwas, womit ich nicht gerechnet habe, dass bei den allermeisten Männern nach diesem Gespräch wieder ein Gefühl von Nähe und Verbundenheit da war, das meine ich jetzt im absolut unsexuellen Sinne, dass diese Gewissheit wieder da ist: „Hey, du hast mich begleitet in meinem Leben und wir haben zusammen was erlebt, wir sind irgendwie gemeinsam weitergekommen, und das ist super schön.“ Mit den meisten habe ich tatsächlich auch bis jetzt noch Kontakt und da entwickeln sich Freundschaften draus. Wir nehmen Anteil am Leben voneinander, und das ist großartig.

Boris Jordan: Ein Vorhaben wie das Ihre konfrontiert einen möglicherweise mit vielen Ängsten und viel Ungeklärtem, das einen - wie ja auch Sie selbst - doch aus der Bahn werfen kann.

Katja Lewina: Aber das ist doch schön. Wenn man merkt, man hat irgendwo eine Angst, dann dann ist es ja eigentlich nur ein Moment, mit dem man arbeiten könnte­. Ich finde das eigentlich das Produktivste, was man tun kann: sich den Ängsten zu stellen. Wenn da eine Gleichgültigkeit ist oder ein Wohlwollen oder so, dann ist da auch nichts, wo man unbedingt dranmüsste. Wobei Gleichgültigkeit manchmal auch verräterisch ist: Es gibt ja auch so Menschen, die spalten einfach ab, um nichts fühlen zu müssen. Aber grundsätzlich finde ich: Wann immer man merkt, da rumort noch irgendwas, da ist irgendwas ungeklärt, dann würde ich den Deckel nicht zumachen, sondern ganz im Gegenteil, sperrangelweit auf.

Boris Jordan: Wenn man sich zu dieser Rückschau entschließt, womit hadert man dann am meisten? Wovor hat man Angst? Hat man Angst, sich erneut zu verlieben? Hat man Angst, sich eingestehen zu müssen, dass man sich geirrt hat? Hat man Angst, auf sein Leben so zu blicken, dass man Dinge bereuen muss, dass man sie besser anders gemacht hätte? Haben Sie am Anfang, bevor Sie dieses Projekt begonnen haben, gedacht: „Das könnte schwierig werden“?

Buchcover: Ein schmusendes Paar und darüber ein großes, rotes X

Dumont Verlag

Katja Lewina: Was ich gemerkt habe, wovor ich am meisten Angst habe, ist diese Konfrontation mit mir selbst, mit den eigenen Fehlern. Damit meine ich nicht mal unbedingt, dass man sich vielleicht von jemanden getrennt haben könnte, der eigentlich das Zeug zur großen Liebe gehabt hätte, weil: Wenn diese Person das Zeug zur großen Liebe gehabt hätte, dann wären wir da geblieben, dann wäre auch diese Person da geblieben. Also, es hat halt einfach nicht funktioniert, und es hatte seinen Grund. Das heißt nicht, dass sie auch in Zukunft nicht funktionieren kann. Bestes Beispiel bin ich selber, die sich ja dann nochmal verliebt hat in einen der Ex. Und dann stellte sich raus: Ah, okay, jetzt kann es funktionieren. Vor 16 Jahren hat es einfach noch nicht funktioniert. Da waren wir auch noch andere Menschen.

Boris Jordan: Es ist nichts Theoretisches, nichts Biografisches mehr, sondern es wird tatsächlich, es schlägt ein.

Katja Lewina: Es schlägt ein. Und dennoch würde ich sagen, dass die Bedrohung total kontrollierbar ist, denn wir können immer noch entscheiden, was wir tun. Es liegt ja nicht in der Hand irgendeines allmächtigen Universums. Wir sind immer noch die Herrscher und Herrscherinnen über unser Leben. Wenn wir merken, da ist irgendeine Anziehung, dann können wir immer noch entscheiden, was wir mit dieser Anziehung machen. Dieses Sich-Einlassen auf einen Ex ist, glaube ich, auch nicht normal. Also all die anderen Männer, die ich getroffen habe, da war das total klar: Wir beide treffen uns jetzt aus einem Grund und wir freuen uns über unsere Vergangenheit, wir freuen uns darüber, dass wir aufräumen konnten zusammen und wir mögen uns wirklich gerne, das ist schön, aber es war absolut nichts, was irgendwie eine Art von erotischer Spannung gehabt hätte. Ich glaube, das es tatsächlich in den allermeisten Fällen genauso passiert, dass man sich wieder trifft und dann liegen da eben zehn oder fünf oder 15 Jahre dazwischen und und es ist total okay.

Wir sind nicht mehr diejenigen, die sich damals verliebt haben. Ich möchte da auch ein bisschen das Bedrohliche rausnehmen, weil es einfach nicht so ist, dass man sofort über jeden, mit dem man irgendwann mal was hatte, herfallen möchte und dem irgendwie ausgeliefert wäre. Die Idee ist, sich selber und die eigenen Denk-, Fühl- und Handlungsmuster zu hinterfragen und sich dadurch weniger abhängig zu machen von diesem Ausgeliefert-Sein. Wenn man einmal Licht auf diese dunklen Flecken geworfen hat, diese Fragen „Warum verhalte ich mich eigentlich so beschissen? Warum fahre ich ständig irgendwas an die Wand? Warum kriege ich nie eine gute Beziehung?“ Was auch immer die Frage gerade ist, wenn man sich das einmal bewusst gemacht hat und einfach nur sieht, was man all die Zeit für eine Scheiße macht, dann reicht das ganz oft schon aus, um beim nächsten Mal ein bisschen besser zu werden.

Ich finde das eigentlich das Produktivste, was man tun kann: sich den Ängsten zu stellen.

Boris Jordan: Es gibt diesen Satz aus „High Fidelity“ - ein Buch, an das man natürlich unwillkürlich denkt, wenn man ihres liest -, da sagt die Hauptfigur sinngemäß: „Wir waren zusammen im Bett. Wir können keine Freunde sein, das ist ein Gesetz in diesem Land. Und wenn du das nicht willst, geh dorthin, wo du hergekommen bist.“ Es ist ein hochneurotischer Mann, der das sagt. Aber die hochneurotischen Männer bestimmen ja auch nicht zuletzt unsere Realität. Warum, glauben Sie, ist es so selten und so unmöglich, dass man Leute, die man geliebt hat, nicht nur begehrt, weiterhin mögen darf und sie in ihr Leben integriert, wie man Freunde integriert oder wie man Freunde vom Partner integriert, die man noch nicht kennt etc. Ganz normale Interaktionen zwischen Menschen sind in diesem Fall tabu. Ist es so und warum ist es so?

Katja Lewina: Das ist schon so. Wann immer ich irgendjemandem erzähle, dass ich dieses Projekt hatte, ist ganz oft die erste Reaktion: „Und was sagt dein Mann dazu? Und wie war das für deinen Mann? Wie haltet ihr das aus, überhaupt, ihr Armen?“ Wir Menschen mögen es sehr gerne sehr einfach. Wir mögen gerne Kategorisierungen und Schubladen für alles, was wir da haben an Beziehungen in unserem Leben. Der Ex-Partner fällt ja aus der einen Schublade raus, nämlich aus der Liebesbeziehungsschublade. Für den gibt es eigentlich nichts. Da ist eine gemeinsame Vergangenheit, und damit meine ich jetzt nicht nur die sexuelle Vergangenheit, sondern auch die emotionale. Es ist für viele Menschen sehr viel einfacher zu sagen: „So, das ist jetzt vorbei. Da gab es eine große Enttäuschung.“ Ich glaube, das spielt auch eine Rolle, dass wir uns trotz möglicherweise gegenseitiger Zuneigung so sehr an diese Enttäuschung klammern und das Ego dem so sehr voranstellen, dass wir den Menschen aus unserem Leben haben wollen, obwohl es eigentlich ein ganz netter Typ oder eine ganz nette Frau ist. Lassen wir die Kränkung beiseite und lassen wir auch dieses Schubladendenken beiseite, dass jede Beziehung irgendwo einzuordnen sein muss. Es ist einfach ein Mensch, den wir gerne mögen - warum kann er das nicht sein?

Boris Jordan: Sie gehen von Menschen aus, die in Beziehungs- und Lebensfragen tatsächlich eine gewisse Reife haben. Ich sehe diese nicht so häufig. Vielleicht, wenn alle Ihr Buch gelesen haben, geht ein Ruck durch die Bevölkerung.

Katja Lewina: Wir können ja dran arbeiten, alle zusammen.

mehr Liebe:

Aktuell: