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Weyes Blood und ihr Album "And In The Darkness, Hearts Aglow"

Neil Krug

Interview

Weyes Blood - „And In The Darkness, Hearts Aglow“

Natalie Mering a.k.a. Weyes Blood ist eine der begnadetsten Singer-Songwriter*innen unserer Zeit. Ein FM4 Interview über den Soundtrack zur ökologischen Krise, Kalifornien als Utopie und das neue Album „And In The Darkness, Hearts Aglow“.

Von Christian Lehner

Den Ex-The-Velvet-Underground-Mann John Cale erinnert sie an Nico, für das renommierte Magazin „New Yorker“ ist sie eine moderne Joni Mitchell. Auch Karen Carpenter, Carole King und Kate Bush sind beliebte Referenzen. An gestreuten Lorbeeren mangelt es Natalie Mering a.k.a. Weyes Blood also nicht, an Wohlgefühl schon. Für die 34-jährige Musikerin aus Los Angeles sind die derzeitigen Rahmenbedingungen unseres Lebens eine einzige „shit show“. Das hat sie auf einer Schreibmaschine getippt in ihrer Präambel zum Album.

Der Hut brennt, weil der Rahmen längst Feuer gefangen hat. „Irrevocable change“, also unwiderruflicher Wandel, diese Phrase ist nicht nur in der Einleitung zu lesen, sie fällt auch mehrmals im FM4 Interview in Berlin. Gemeint ist – wie könnte es anders sein - der Klimawandel. Von der Straße dringt anhaltender Sirenenlärm zu uns herauf. In der Stadt findet die erste große Demonstration von Fridays For Future seit der Pandemie statt. Mering unterstützt die Proteste.

Große Singer-Songwriter-Kunst

Weyes Blood hat sich über vier Alben einen Namen als elegante Botschafterin der Apokalypse gemacht. Die Musik mag einen umspülen wie die Wellen am Strand von Malibu, doch die Strömung der Botschaften zieht einen hinaus auf das offene Meer. Das letzte Album „Titanic Rising“ markierte den Beginn einer Krisentrilogie und den internationalen Durchbruch für Weyes Blood.

Auf dem neuen Album mit dem Titel „And In The Darkness, Hearts Aglow“ stecken wir mittendrin im Schlamassel. Natur, Hoffnung und Herz sind gebrochen, immerhin dringt am Albumcover ein Lichtstrahl aus der Brust. Ein Portrait von Weyes Blood ist darauf zu sehen in einer stilistischen Mischung aus romantischem Gemälde und Schundheft.

Der Blick der Portraitierten ist fest und es ist diese Ernsthaftigkeit, diese „substance before style“-Attitüde, die Weyes Bloods Musik und auch ihr Auftreten so glaubwürdig machen. Der von Jonathan Rado (von der Band Foxygen) produzierte West-Coast-Folkpop, gerät nie zum Kniefall vor den verwelkenden Größen des Genres. Weyes Blood zieht sich diesen eleganten Vintagemantel so selbstverständlich über, als ob er für sie geschneidert worden wäre.

Auch in Moll strahlen die Songs so hell und schön, dass sich die Textebene ausblenden lässt. Die Lyrics beschreiben unsere Existenz als Isolationshaft, die sich durch (algorithmische) Zerstreuung den Schein eines Miteinanders gibt. Alles nur Verdrängung, alles nur Flucht vor dem Tod. Mering hat ihren Marx gelesen und ihren McLuhan auch. Das große Ganze wird im kleinen Privaten verhandelt. Das ist wie immer gut und bewahrt die Songs davor, zum Proseminar mit Noten zu verkommen. Teil drei der Trilogie soll einen optimistischeren Ansatz verfolgen. Hoffentlich nicht!

Weyes Blood und ihr Album "And In The Darkness, Hearts Aglow"

Sub Pop

Zu den Klimaprotesten

Weyes Blood: Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es um unser Überleben geht. Es ist so wichtig, dass sich Menschen für den Klimaschutz engagieren. So viele von uns lassen sich durch Algorithmen zerstreuen. So viele halten noch immer am überlebten Traum des Konsumglücks fest. Doch für meine Generation wird es eng. Wir haben nicht den Ressourcenreichtum der Boomer- und Hippiegeneration. Die konnten ihre Revolten noch relativ unbekümmert ausleben: Huhu, lasst uns nackt durch die Gegend laufen! Auf den Jungen von heute lastet ein enormer Druck. Sie kennen noch die alten Filme ihrer Eltern, doch sie wissen genau, dass sie es schlechter haben werden.

Über das neue Album

Weyes Blood: Ich habe das Album als eine Art Liebesroman angelegt, der in der Apokalypse spielt. Niemand will alleine durch diese harten Zeiten gehen. Die Krisen haben einen sehr negativen Effekt auf unsere Emotionen. Sie entfremden uns voneinander. Wenn das geschieht, bricht die Gemeinschaft auseinander. Popmusik kann keinen Systemwandel herbeiführen, aber wenn ich die menschliche Seele erwärmen kann, habe ich viel erreicht. Das ist die Voraussetzung für ein Miteinander. Deshalb ist es ein sehr persönliches und intimes Album geworden.

Über ihren Folk-Pop und Rebellion in der Popmusik

Weyes Blood: Als ich in meinen wilden Jahren (in Noise Bands wie etwa Jackie-O Mutherfucker, Anm.) das Publikum anschrie, erzielte ich damit keine großartigen Reaktionen. Erst als ich mich mit klassischem Singer-Songwriting an sie wandte, begannen die Leute zuzuhören. Ich glaube, die Vorstellung von Avantgarde verändert sich ohnehin gerade. Auf TikTok jagt jeder den 15-Sekunden-Dance-Hit. Dagegen fühlt sich ein klassischer Song mit Spannungsbogen und Narrativ richtig revolutionär an.

California’s my body / And your fire runs over me - Grapevine

Über ihren Hang zu dunklen Themen

Weyes Blood: Ich bin in einer christlichen Familie aufgewachsen, vielleicht interessiere ich mich deshalb so sehr für das Makabre. Das Unbewusste, die Angst, der Tod, das scheint für viele von uns eine Verbotszone zu sein, in die man sich besser nicht vorwagt. Mich zieht das aber an. Die Neugier am Morbiden ist sicher auch ein Versuch, den Tod besser zu verstehen und Kontrolle über etwas zu erlangen, über das man keine Kontrolle haben kann.

Über Religion, Individualismus und Konsum

Weyes Blood: Wir haben Gott im frühen 20. Jahrhundert gekillt. Das war gut. Allerdings haben wir die Religion, die Moral und das Konzept der Seele durch die Konsumideologie ersetzt. Das Dumme daran ist, dass es uns alle zu Einzelnen macht. Das drückt sich derzeit im Selbstoptimierungswahn aus. Aber Tatsache ist, dass wir unsere Leben nicht mit Lifestyle-Schnickschnack durchkuratieren können. Wir brauchen einander, sonst wird das Herz krank.

Spiritualität

Weyes Blood: Viele halten das für Hippie-Bullshit, aber ich glaube an die Existenz der menschlichen Seele.

Über die Liebe

Weyes Blood: Klar, die Liebe ist die Lösung für alle Probleme. Ich unterschreibe das. Das Dumme ist nur, dass wir keine eindimensionalen Wesen sind. Liebe, Hass, Gier und Gewalt können gleichzeitig in uns sein. Und da ist diese verdrängte Furcht vor dem Tod, die zur Motivation für viele unserer Handlungen geworden ist. Ich glaube, wenn es uns gelingt, das alles halbwegs in Balance bringen, ist schon viel gewonnen.

Zur cineastischen Qualität ihrer Musik

Weyes Blood: Meine Mutter hat mich mit Filmen aus den 1940er-Jahren aufgezogen. Judy Garland war wie eine Cousine für mich. Ich liebe Soundtracks. Meine Songs sind kleine Filme, die eine Lebensgeschichte erzählen möchten, deshalb sind sie wohl auch so lange.

Über die Faszination Hollywood

Weyes Blood: Hollywood war ein Palast der Sünde. Ich liebe das Buch „Hollywood Babylon“ von Kenneth Anger. Es zeigt, wie Kino Träume, aber auch Albträume fabrizieren kann. Das war eine mächtige Institution, in der die Gesetze der Außenwelt nicht gegolten haben. Ich glaube, der Einfluss von Hollywood auf die Welt wird allgemein unterschätzt.

Kalifornien als Utopie

Weyes Blood: Ich bin Kalifornierin durch und durch. Es ist noch immer ein relativ junges Land. Tradition spielt kaum eine Rolle, Innovation schon. Die Musik, die Technologie des Silicon Valley, Licht und Schatten, das alles ist das Resultat der kalifornischen Hybris. Selbst die Flower-Power-Freaks war nicht ganz so selbstlos und egalitär, wie das immer dargestellt wird. Bei allem „California“ schwingt immer auch ein Hauch von überzogenem Individualismus, Gewalt und Gesetzlosigkeit mit.

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