Kraftklub ist die beste Liveband der Welt!
Von Alica Ouschan
Vor elf Jahren haben fünf junge Burschen aus Chemnitz im Carinisaal in Lustenau ihre allererste Solo-Show in Österreich vor nur einer Handvoll Leuten gespielt. Das B72 in Wien haben sie damals immerhin vollbekommen. Dass sie mittlerweile Venues wie die Wiener Stadthalle füllen, hätten sie sich damals wahrscheinlich nicht gedacht.
Ein Hauch leicht angespannter Vorfreude weht mit dem kalten Novemberwind und den Besucher*innen in die Stadthalle. Das Konzert ist fast ausverkauft, es gibt nur mehr wenige Sitzplatztickets. Wer sich beeilt, kann sich noch schnell ein pinkes Front-of-stage-Bändchen checken, denn gleich spielt eine Band, der man irgendwie unbedingt so nahe wie möglich sein will.
Female Support
Davor gibt es noch den Support Act, den Frontmann Felix Kummer nach alter Kraftklub-Tradition selbst ankündigt und dabei zum hundertsten Mal aus den Zeiten erzählt, in der sie selbst noch Vorband waren (von Fettes Brot und den Beatsteakes). Schon bei der letzten Tour vor der endlos langen Pause war ein Shift zu bemerken, der sich erfreulicherweise durch einen großen Teil der Indie-Musikszene zu ziehen scheint: Kraftklub nehmen als reine Männerband die Möglichkeit war, vor allem weiblichen Acts eine Bühne zu bieten.
So sind es diesmal die ebenfalls aus Chemnitz stammende Indie-Pop-Band Powerplush, die Newcomerin Dilla und Gruftpopmaus Mia Morgan, die für Kraftklub eröffnen. Den zweiten Teil der Tour begleitet Dilla, die eigentlich Amadea heißt und deren jugendliche Begeisterung und Elan einen sofort mitreißt. Ihre beat- und basslastigen Popsongs, ihre glockenklare Stimme und die emanzipatorischen Herzschmerztexte hören sich durch den unüberhörbaren Hall, den eine so große Location mit sich bringt, stellenweise fast ein bisschen nach einer Yung Helene Fischer an.
Dilla beweist Contenance, indem sie ihr Konzert während eines epileptischen Anfalls eines Fans unterbricht und die Menge dazu ermutigt, „aus Respekt zu schweigen“, bis die Situation sich aufgelöst hat. Nach einem spektakulären letzten Song, bei dem sie auch noch die ganze Halle dazu bringt, bei einer kleinen, mehrstimmigen Chorperformance mitzumachen, verabschiedet sich Dilla und die einstimmende Playlist beginnt. Tame Impala „Mr. Brightside“, Kate Nash „Foundations“, Lykke Li und natürlich Florence + the Machine mit „You’ve got the love“ - damit auch alle in der Halle in diese romantisch-melancholische Stimmung finden, die diese Songs mit sich bringen. Und da geht es auch schon los, der rot angeleuchtete, weiße Vorhang hebt sich und da stehen sie wieder.
Als Opener gibt es einen Track vom neuen Album „Kargo“: „In meinem Kopf“ beginnt langsam, um dann hintenraus direkt voll zu eskalieren. Die Fans tun es dem Song gleich, ab Sekunde eins ist das Energielevel ganz oben. Kraftklub-Fans geben immer 150 Prozent und sind absolut textsicher, auch bei den Songs, die erst vor anderthalb Monaten erschienen sind.
Sicherheit, Solidarität, Gemeinschaft
Trotzdem ist die Freude umso größer, als ab dem dritten Song die alten Kisten ausgepackt werden. Kraftklub haben ihre eigenen Lieblingssongs von den ersten zwei Platten, die vermutlich noch jahrelang nicht aus den Setlisten verschwinden werden, während andere Scheiben den neuen Sachen weichen mussten. Crowdpleaser wie „Mein Leben“, „Unsere Fans“ und „Eure Mädchen“ dürfen auch auf dieser Tour nicht fehlen. Wie die mittlerweile ebenfalls zur wichtigen Tradition gewordene Ansage von Felix zu Beginn des Konzerts: „Ich sehe, was ihr da macht“, sagt er mit Blick auf die ersten Moshpits, die sich ganz von alleine gebildet haben.
„Wir sind große Fans. Aber bitte denkt daran, dass ein Moshpit kein Ort ist, wo irgendwelche Macker ihre Aggressionen rauslassen können - ein Moshpit muss ein schöner Ort für alle sein. Deswegen nehmt Rücksicht und passt aufeinander auf!“
Wie auch immer diese Band es schafft, dieses Gefühl von Sicherheit, Solidarität und Gemeinschaft zu vermitteln, die Fans saugen es auf mit jeder Pore, um es dann beim Mitklatschen, Singen und Tanzen wieder rauszuschwitzen. „Wir können leider nicht alle Songs spielen“, sagt Felix zwischendurch. Auch viele der Songs der brandneuen Platte werden voraussichtlich aus den Setlists verschwinden, wenn die „Kargo“-Tour vorbei ist - umso schöner, bei dieser Gelegenheit einmal alle live zu erleben. Denn Kraftklub ist und bleibt eine Liveband, und zwar die beste Liveband der Welt.
„Wir wollen noch näher bei euch sein“
Aber was macht eine Band zur besten Liveband? Nun, da wäre zum einen das sagenumwobene Glücksrad, das jeden Abend aufs Neue entscheidet, ob Kraftklub nun einen alten, underrated Hit spielt oder einen Coversong. Natürlich ist es eine Person aus dem Publikum, die die wichtige Aufgabe hat, am Glücksrad zu drehen. An diesem Abend ist es der 14-jährige Stefan, der den Fans überglücklich „Irgendeine Nummer“ beschert und anschließend noch ein Foto mit der gesamten Band abgreifen kann. „Na, der wird am Montag in der Schule aber viel zum erzählen haben“, sagt jemand.
Nicht nur Stefan, auch Dilla hat nach dieser Tour bestimmt einige neue memories for life gemaket. Für das Feature mit der wundervollen Mia Morgan „Kein Gott, kein Staat, nur du“ kommt sie erneut auf die Bühne und übernimmt Mias Part. „Eines Tages wird Dilla auch in solchen Hallen ihre eigenen Headliner Shows spielen“, sagt Felix. Das muss schon ein Wahnsinnsgefühl sein, wenn abertausende Menschen die eigenen Songs mitsingen.
„Wir wollen nah bei euch sein“, sagt Felix. „Das ist uns noch nicht nah genug“, mit diesen Worten bildet sich eine Schneise im Publikum und die ganze Band spaziert einmal quer durch die Stadthalle nach hinten, um der hinteren Hälfte der Crowd Hallo zu sagen und mit „Kein Liebeslied“ für einen Gänsehautmoment sorgt, der sogar noch ein wenig länger anhält.

Radio FM4 | Franz Reiterer
Vor einigen Wochen sagte Felix Kummer im FM4 Interview noch, dass er nicht wisse, ob es einer seiner Solo-Songs auf die Setlist schafft. Zum Glück aller, hat er sich dazu entschieden und performt „Bei dir“ erstmals gemeinsam mit der Band. Nach der Ruhe kommt der Sturm, das wissen die Kraftklub-Fans, denn wenn es einmal ruhig wird, dann nur, damit es danach wieder umso wilder werden kann. „Mit euch ist das ja wie jammen im Proberaum“, sagt Felix, als das komplett überdrehte Publikum selbstständig Rufe und Gesänge anstimmt.
„Reicht ein Song? Ein Song reicht euch!“
Mit „Schüsse in die Luft“ und dem all-time classic „Randale“ wird auch das letzte Resterl Energie rausgepresst. Und Felix ist sogar ein bisschen emotional ergriffen, als die ganze Halle von selbst in die Knie geht, um anschließend für die letzte Randale-Hook wieder aufzuspringen: „Die Tatsache, dass sowas passiert, zeigt uns einfach, dass wir eine Liveband sind. Wir brauchen nicht in irgendwelchen Playlisten sein, wir müssen nicht gehypet werden. Wir haben euch.“

Radio FM4 | Franz Reiterer
So ein tolles Publikum wird natürlich mit einer dreiteiligen Zugabe belohnt, unter anderem gibt es endlich „Ein Song reicht“, wo die Crowd mit ihren Gesängen einmal mehr die Band übertönt. Kraftklub ist die beste Liveband der Welt, weil jede einzelne Person auf der Bühne durchgehend alles gibt. Sei es Karl Schuhmann, der sich in schwindelerregende Höhen begibt oder Till Brummer, der die besten backing vocals mit witzigen Grimassen untermalt.
Weil die Vorfreude auf diese Band jedes Mal so groß ist und man sich bereits eine Sekunde nach dem Ende aufs nächste Mal freut. Weil man selten so viele verschwitzte, selig grinsende Leute auf einem Haufen sieht. Weil man weiß, dass man sich wiedersieht. Spätestens am nächsten FM4 Frequency.
Publiziert am 20.11.2022