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Judith Holofernes in Wien

Radio FM4 | Zita Bereuter

„Die Träume anderer Leute“

Judith Holofernes über ihren Roman „Die Träume anderer Leute“, tätowierte Songzitate, das Älterwerden in der Popwelt, ihre Erfahrungen mit Patreon und ihre Liebe zu FM4. „Wir haben ja ganz früh mit FM4 so einen Flirt angefangen, der dann zu einer Liebesbeziehung wurde.“

Von Zita Bereuter

„Wir müssen nur wollen“, sang Judith Holofernes zig Mal auf ausverkauften Bühnen und Stadien, und das Publikum grölte lautstark und hingerissen mit.

Wir können alles schaffen
Genau wie die toll’n
Dressierten Affen
Wir müssen nur woll’n"

Wir sind Helden hieß die Band und umso zynischer ist es, dass die Sängerin und noch dazu Schreiberin der Texte, Judith Holofernes, sich irgendwann längst nicht mehr als Heldin fühlte, sondern sich statt „Wir müssen nur wollen“ zu singen lieber weinend auf den Bühnenboden gelegt hätte. Nachzulesen in ihrem autobiographischen Roman „Die Träume anderer Leute“.

Judith Holofernes: Ja, das war ein Kontrast, der mir schon zu der Zeit auch bewusst war. Das hat es nicht leichter gemacht, zu merken: Ich bin an so einer Erschöpfungsgrenze. Ich habe mich total runtergearbeitet. Ich versuche ein unmögliches Unterfangen am Laufen zu halten, eben mit zwei Kleinkindern auf Tour zu sein und diese Band, die ich sehr liebe, am Laufen zu halten, gleichzeitig meine geistige Gesundheit zu bewahren und dann immer wieder diese Songs zu singen, das hat was. Aber es ist eigentlich gut, weil die Songs haben mich dann wiederum auch verpflichtet, da irgendwann was zu ändern. Also die Songs haben mich sozusagen höhnisch nach Hause gerufen. Aber es war nicht leicht.

Zita Bereuter: Beim Schreiben des Buches hast du das jetzt alles nochmal intensiv durchlebt. Wie ging es dir denn da?

Judith Holofernes: Ich bin einfach ein Mensch, der immer schon vieles im Schreiben gelöst hat. Also ich benutze das Schreiben unheimlich viel, auch wenn ich kein Buch schreibe, um mich und mein Leben zu verstehen oder auch um Entscheidungen zu fällen. Und ich laufe immer mit Notizbuch rum und kontempliere, welche Entscheidungen und Pros und Contras und so, und deswegen hat das Aufschreiben für mich was Therapeutisches.

„Ich hätte dieses Buch gebraucht.“

Zita Bereuter: Ist Schreiben dann für dich sowas wie Erkenntnisgewinn oder Verstehen durch Schreiben?

Judith Holofernes: Absolut, ja. Also der Anfangsimpuls war, dass ich das Gefühl hatte, ich muss meine letzten zehn Jahre besser verstehen, und dass ich das Gefühl hatte, ich hätte dieses Buch gebraucht. Ich hatte so viele Momente, wo ich wirklich die internationale Musikbibliothek durchforstet habe, nach Vorbildern für Leute, die in Würde erwachsen werden aus so einer Pop- oder Rockkarriere heraus. Irgendwie hatte ich das Gefühl, das ist eine riesige Lücke. Niemand schreibt darüber. Niemand spricht darüber.

„Alt sein ist auch wieder okay. Da kann man dann so grau und elegant in irgendwelchen Helmut-Lang-Blazern irgendwo rumstehen und sein Lebenswerkpreis bekommen.“

Aber so, dieses Erwachsensein, das ist offensichtlich ein totales Tabu, das kommt nicht vor, da redet keiner drüber. Ich hätte es so sehr gebraucht! Ich war so orientierungslos und ratlos zwischendurch, dass ich tatsächlich irgendwann dachte: Okay, dann mache ich das jetzt eben. Wenn niemand darüber schreibt, wie das ist, wenn der Erfolg kleiner wird. Sogar wenn man es mit Absicht macht, tut es wahnsinnig weh. Überraschung! Wie ist das, wenn man mit dem Pop so eine Art Liebeskummer hat, ihn aber eigentlich noch mag und nicht ganz davon lassen kann? Und der Pop lässt einen auch nicht richtig gehen. Das Buch hat es einfach noch nicht gegeben.

Zita Bereuter: Kann man auch sagen: Wie wird man in Würde erwachsen? Oder: Wie altert man in Würde?

Judith Holofernes im Gespräch mit Zita Bereuter
in einer Stunde Homebase Spezial am Montag, 21. November, um 19 Uhr und 7 Tage im FM4 Player

Judith Holofernes: Naja , beides. Man muss das ja nacheinander machen. Also ich hatte manchmal so eine Sehnsucht, endlich wirklich alt zu sein, weil ich das Gefühl hatte, das ist wieder eine Rolle, wenn man richtig alt ist, kann man auch wieder cool sein. Aber wofür es irgendwie keine Vorbilder gibt, ist so dieses undankbare Mittelfeld, wo man irgendwie nicht mehr richtig jung ist und noch nicht richtig alt und auch nirgendwo mehr reinpasst.

Zita Bereuter: Viele deiner Songtexte sind in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommen worden. Also „Wir müssen nur wollen“, „Sie haben uns ein Denkmal gebaut“, „Guten Tag, ich will mein Leben zurück“ oder „Die Zeit heilt alle Wunder“. Das sind ja auf eine gewisse Art auch so sprachliche Memes. Gab es damals noch nicht. Aber welches ist dir denn am liebsten?

Judith Holofernes live
bei der Buch Wien in „Die lange Nacht der Bücher“ am Mittwoch, 23. November

Judith Holofernes: Ich mag wirklich meine Songs alle noch sehr. Ich weiß nicht. Ich glaube, ich habe jeden Tag einen anderen Helden-Lieblingssong. Heute würde ich tatsächlich sagen, „Ist das so?“ Und zwar, weil ich mir als Motto für dieses Jahr bzw. diese Zeit in meinem Leben gesetzt habe: Ease. Also Leichtigkeit. Aber auch Sanftheit mit mir selbst, weil ich eben in diesem Schreiben schon auch festgestellt habe, dass es keine besondere Stärke von mir ist. Ich kann nur sehr sanft sein, aber ich kann auch sehr harsch mit mir selber sein. Und dann sozusagen zu fragen: „Ist das so? Ich meine, muss das so? Ist das so oder ist es vielleicht viel leichter?“ Also manchmal stelle ich mir selber einfach die besten Fragen.

Zita Bereuter: Gibst du dir auch die besten Antworten?

Judith Holofernes: Ja, eben. Manchmal nicht. Offensichtlich. Deswegen kommen im Buch auch ganz viele Songtexte vor, weil ich beim Schreiben wirklich teilweise so erschüttert war, wie gut die Songtexte zu dem passen, was ich dann Jahre später umgesetzt habe. Dass ich einfach in meinen Songs viel schlauer bin als im echten Leben. Wobei, das stimmt nicht. Ich glaube, die Wahrheit ist einfach, dass etwas verstanden zu haben noch nicht bedeutet, dass man es kann. Also Wissen ist nicht Können hat eine Meditationslehrerin, die ich sehr schätze, immer gesagt. Das stimmt einfach.

„Ich hinke meinen eigenen Songs hinterher.“

Man kann sehr vieles verstanden haben und dann trotzdem noch jahrelang immer wieder quasi in den Elektrozaun fassen. Immer wieder. Das ist ja dann erst recht schmerzhaft, wenn man denkt: ’Komm, ey, du hast „Müssen nur wollen“ geschrieben, kannst du jetzt mal bitte irgendwie aufhören, so krass viel zu arbeiten und dich selber so zugrunde zu wirtschaften?’ Aber. So ist es. Ich hinke meinen eigenen Songs hinterher.

Zita Bereuter: Du beschreibst in „Die Träume anderer Leute“ auch, dass du Menschen gesehen hast mit deinen Songzeilen tätowiert. Wie war das und welche Zeilen waren das?

Judith Holofernes: Das ist natürlich total schön. Ich hatte immer so ein kleines Schwanken, ehrlich gesagt. Wenn in einer Signierschlange oder so dann jemand kommt und sagt: Kannst du mir die und die Zeile aufschreiben? Dann lasse ich mir die tätowieren. Ich finde es eine wahnsinnige Verantwortung. Aber auf der anderen Seite habe ich dann gedacht, weil ich habe keine Tattoos und habe relativ spät in meinem Leben damit geflirtet, mir noch welche stechen zu lassen. Ich habe dann immer gedacht, wenn ich mir irgendwas stechen lassen würde, dann wären es auch Songtexte. Und deswegen habe ich mich sehr geehrt gefühlt. Tatsächlich das Allerhäufigste, was gestochen wurde, war „Du musst nicht tanzen, aber beweg dein Herz“ aus „The Geek Shall Inherit“. Das ist ein Song, der mir unheimlich wichtig ist, weil ich auch so ein kleines Nerdkind war und immer das Gefühl hatte, nicht dazuzugehören, der einfach bei vielen Leuten so sehr tief gelandet ist.

Judith Holofernes

Radio FM4 | Judith Holofernes

Zita Bereuter: Wenn du ‚Nerd-Kind‘ sagst, habe ich mich jetzt gefragt, ob FM4 der Sender für die Nerdkinder ist? Welches Verhältnis hast du denn zu Österreich oder zu Wien?

Judith Holofernes: Das ist so lustig, weil ich weiß gar nicht, ob ich das in österreichischen Medien schon mal erzählt habe. Das war für uns immer völlig verrückt, weil wir selbst auf dem absoluten Höhepunkt von diesem „Helden-Alarm“ in Österreich immer das Gefühl hatten, das ist nochmal intensiver. Vielleicht dadurch, dass wir dann zwar deutschsprachig, aber doch eine ausländische Band waren. Irgendwie haben wir uns doller wie Rockstars gefühlt, wenn wir in Österreich waren. Und es war auch teilweise mehr so Teenageralarm und so, als wir das Gefühl in Deutschland hatten. So richtig so mit ‚Queek‘ am Bahnhof und so. Und es hat immer total Spaß gemacht. Es war immer sehr intensiv und manchmal so ein bisschen ‚Huch, was ist denn hier passiert?‘ Wie wenn so eine Metal Band nach Japan fährt und plötzlich denkt: ‚Huch, wir haben Fans!‘ Es war nicht so ein krasser Kontrast, aber schon spürbar.

„Wir haben ja ganz früh mit FM4 so einen Flirt angefangen, der dann zu einer Liebesbeziehung wurde.“

Zita Bereuter: Du machst im Roman eine wunderschöne Liebeserklärung an FM4. Hängt dieser Erfolg vielleicht auch mit FM4 zusammen?

Judith Holofernes: Genau. Wir haben ja ganz früh mit FM4 so einen Flirt angefangen, der dann zu einer Liebesbeziehung wurde. Also wirklich! Das war ganz wichtig, sogar für unseren Erfolg in Deutschland. Ich glaube, FM4 hat uns gespielt, bevor uns in Deutschland so richtig viele Sender gespielt haben. Und FM4 schwappt ja so rüber nach Bayern. Bei unseren ersten Konzerten gab es manchmal so Schockmomente, zum Beispiel in München, wo plötzlich unheimlich viele Leute da waren und wir gar nicht wussten, wo die herkamen. Die haben dann alle gesagt, sie hören FM4. Und wir haben ja nicht so viele solche Sender. Wir haben sehr schöne lokale Sender, aber wir haben da nicht so einen Sender, der quasi deutschlandweit sendet und so indie ist und so coole Musik spielt. Das haben wir einfach nicht. Bei uns sind die großen, fetten Sender automatisch auch Mainstreamsender. Ich hatte immer das Gefühl, dass es in Österreich dadurch so eine sehr starke Independent-Szene gibt. Irgendwie auch dadurch, dass ja viele Moderationen auf Englisch waren, hat mir der Sender einfach immer selber unheimlich gut gefallen, weil ich das Gefühl hatte, da wehte so ein bisschen ein internationaler Wind. Da habe ich mich teilweise in coolerer Gesellschaft gefühlt, als ich mich das vielleicht bei manchen Sendern zu Hause gefühlt habe.

„FM4 hat uns gespielt, bevor uns in Deutschland so richtig viele Sender gespielt haben.“

Zita Bereuter: Mittlerweile bist du auf der Plattform Patreon unterwegs (Anm.: eine Mitgliedschaftsplattform, bei der Kreative in einer Art Abosystem direkt von Fans unterstützt werden). Du bist über Amanda Palmer dazu gekommen. Das kann man alles wunderbar nachlesen im Buch. Das ist so ein Abosystem, so crowdfundingmäßig. Die Fans bezahlen seit zwei Jahren für deine Kreativität, für deine Arbeit. Wie geht es dir denn dort?

Judith Holofernes Buch "Die Träume anderer Leute" Cover - psychedelische Farben

Kiepenheuer & Witsch

Judith Holofernes: Die Träume anderer Leute, Kiepenheuer und Witsch 2022

Buchrezension von Eva Umbauer

Judith Holofernes: Das macht total Spaß. Es ist manchmal so, dass es so genau das ist, was ich mir gewünscht habe, dass es dann fast noch ein bisschen mehr weh tut. Dass ich es mir so lange nicht gegönnt habe, weil ich ja solche Impulse seit 2012 hatte. Dann habe ich irgendwann das Buch von Amanda Palmer gelesen. Die hat ja diesen so legendären TED Talk gehalten, über die Art of Asking und über Crowdfunding und ist so ein bisschen die Königin des Crowdfundings. Ich habe mich dann auf wundersamen Wegen mit Amanda Palmer angefreundet und sie hat eigentlich als Hebamme meinen eigenen Patreon-Auftritt gecoacht. Du glaubst nicht, wie vehement mir widersprochen wurde und zwar nicht nur von Business-Seite, von Leuten, die da Interesse dran haben, sondern auch von Freunden, von meinem eigenen Ehemann. Also alle haben gedacht, ich überfordere mich damit. Eigentlich niemand hat es für eine gute Idee gehalten und jetzt mache ich das seit drei Jahren und es ist einfach nur total schön und gut fürs Herz und lustig und kreativ und inspirierend und irgendwie so, wie ich dachte.

Zita Bereuter: All die derzeitigen massiven Krisen führen auch dazu, dass gerade im kreativen Bereich sehr viel eingespart werden muss. Merkst du das auch auf Patreon oder inwieweit spürst du die Krise?

Judith Holofernes: Ich merke das auf jeden Fall. Also ich habe Patreons verloren. Das Schöne bei Patreon ist, dass die dir so eine Abschiedsbotschaft hinterlassen können. Sie können halt schreiben, warum sie aufhören oder warum sie ihren Beitrag reduzieren. Also das ist ja eine amerikanische Plattform, deswegen ist das Teil dann immer auf Englisch ‚my financial situation changed‘. Und ich denke mir, ja klar, es ist so, das ist okay. Da kann ich dann echt nur freundlich hinterher winken und verstehe das nur zu gut.

Aber die Leute sind unheimlich süß. Sie schreiben dann auch: ‚Ich bin sofort wieder dabei, wenn ich es mir leisten kann.‘ Man muss dazu sagen, das sind 3 Euro, also die Einstiegskategorie. Ich sage dann immer ‚Mach erst mal, was du machen musst. Das ist der Sinn der Sache hier, dass man nicht mehr so viel Druck hat und es sich irgendwie leichter macht im Leben.‘

Das gilt für die Patreons genauso wie für mich. Aber trotzdem muss ich sagen, dass ich diese Krise jetzt durch Patreon sehr viel gemütlicher und schöner erlebe als ganz viele von meinen Freunden, die auf zum Beispiel Livespielen angewiesen sind. In meinem Freundeskreis ist absolute Katastrophenstimmung. Ich habe ganz viele Freundinnen, denen eine Tour nach der anderen abgesagt wird oder die selber absagen müssen. Ich bin auch mit vielen Leuten befreundet, die in fünf verschiedenen Bands spielen. Also zum Beispiel meine Müßiggang, meine Liveband von den Solo-Sachen. Wenn du in fünf Bands spielst und von den fünf Bands finden dann nur die Hälfte der Konzerte statt. Es ist einfach echt ein Trauerspiel!

Zita Bereuter: Das heißt, du bist total froh, dass du das jetzt so gewählt hast?

Judith Holofernes: Ich bin total froh und erleichtert, dass ich über Patreon diese Sicherheit habe. Viele Musiker*innen sind jetzt sehr traurig, weil sie ja nicht nur finanziell den Halt verlieren, sondern auch diesen Austausch und die Rückmeldung. Ich hab über Patreon beides. Ich habe die finanzielle Unterstützung, aber ich habe auch so einen ultrafriedlichen, hübschen, kleinen Ort im Internet.

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