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Autorin Yvonne Widler

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Yvonne Widler: Heimat bist du toter Töchter

Yvonne Widler ist Journalistin und Autorin. Regelmäßig schreibt sie über Frauen in Gewaltbeziehungen und Femizide. Diese Recherche hat sie nun in ihr Buch „Heimat bist du toter Töchter“ gepackt. Ein Interview über Risikofaktoren, Motive der Täter und darüber wie sinnvolle Gewaltprävention ausschauen müsste.

Radio FM4: Yvonne, du hast ein Buch über Femizide in Österreich geschrieben. Es heißt „Heimat bist du toter Töchter“. Darin beschreibst du unter anderem verschiedene Arten von Gewalt, die den getöteten Frauen angetan wurde. Warum?

Yvonne Widler: Mit dem Titel wollte ich Aufmerksamkeit erregen. Und ich wollte auch emotionalisieren, weil es ein Thema ist, wo man hinschauen muss. Und warum habe ich Gewalt explizit beschrieben? Ich habe mich dazu vorher mit Expertinnen abgesprochen und es haben mir eigentlich alle unisono gesagt: Man muss diese Gewalt offenbaren und sichtbar machen. Es ist ein Riesenunterschied, ob man schreibt: Eine Frau hat drei Jahre Psychoterror erlitten oder ob man schreibt, sie durfte nicht duschen, sie wurde kontrolliert, sie wurde eingesperrt. Zum Beispiel.

Buchcover "Heimat bist du toter Töchter"

Kremayr & Scheriau

„Heimat bist du toter Töchter“ ist bei Kremayr & Scheriau erschienen.

Dein Buch hat auch eine Triggerwarnung. Viele Dinge möchte man auch wirklich nicht wissen. Aber du schaffst es, gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen wirklich respektvoll zu bleiben. Du erzählst die Geschichten dieser Frauen. Du warst bei Gerichtsverhandlungen, hast mit Expertinnen aus Kriminologie, Psychiatrie und Gewaltschutz geredet und du versuchst diesen Frauen wirklich eine Stimme zu geben. Warum war das so wichtig?

Ich habe schon die letzten Jahre im Rahmen meines Journalistinnenjobs sehr viel zum Thema Gewaltschutz geschrieben und mit Betroffenen gesprochen, mit Angehörigen gesprochen. Und ich habe einfach gemerkt, wie viele offene Fragen es da gibt und wie allein diese Menschen oft sind. Vor allem die, die zurückbleiben und auch Frauen, die das überlebt haben. Eine Zeit lang gibt es einen gewissen Schutz und Aufmerksamkeit dafür. Sie werden dann aber sehr schnell wieder fallengelassen. Und deshalb war mir das wichtig.

„Man muss diese Gewalt offenbaren und sichtbar machen.“

Und ein Buch über Frauen und Femizide zu schreiben, ohne dass sie selbst zu Wort kommen und ihre Geschichten, das wäre für mich überhaupt keine Möglichkeit gewesen.

Ein Fall im Buch beschreibt den Mord an einer Tirolerin Mitte 20, die von ihrem Datingapp-Match erwürgt wurde, einfach aus Eifersucht, weil es ihm nicht gepasst hat, mit wem sie sich unterhält. Was sind denn Alarmsignale für Gewaltbereitschaft?

Was interessant ist, ist, dass nicht jedem Femizid zwingend körperliche Gewalt vorangehen muss. Das war auch für mich eine Erkenntnis. Es gibt Femizide, wie auch der, der gerade angesprochen wurde, in Tirol, den hätte man vermutlich nicht verhindern können. Muss man in dem Fall leider sagen. Aber was interessant ist, wirklich fast jedem Femizid ging Stalking voraus, also das Kontrollieren, diese Eifersuchtssymptomatik, die da als Rechtfertigung herangezogen wird. Das ist absoluter Warnfaktor. Und bei der körperlichen Gewalt ist es Würgen. Fast jeder Täter hat die Frau vorher schon mal gewürgt, da wo körperliche Gewalt war.

„Fast jedem Femizid ging Stalking voraus.“

Wie kann man es von außen merken? Wenn Frauen anfangen, sich zurückzuziehen, sich zu isolieren. Vor allem bei der psychischen Gewalt muss man noch ein bisschen genauer hinschauen. Klar, die ist nicht so sichtbar, aber Verhaltensänderungen sind immer ein Alarmsignal.

Und was sollte eine Frau tun, wenn sie sich bedroht fühlt?

Wenn Frauen sich bedroht fühlen, dann würde ich natürlich auf jeden Fall raten, prinzipiell die Polizei zu kontaktieren. Es gibt aber oft Gründe, warum Frauen das nicht wollen oder glauben, dass vielleicht eine Anzeige dann nicht zu den Ermittlungen führt und noch mehr Sorge haben, dass auch das Umfeld dann davon erfährt, was ich auch verstehen kann. Das habe ich auch oft gehört.

Frauenhelpline
Die Beratungs- und Hilfsangebote der Frauenhelpline sind kostenlos. Sie ist rund um die Uhr unter 0800 | 222 555 erreichbar.

Daher ist die zweitbeste Alternative, bei der Frauenhelpline anzurufen. Dort sitzen Expertinnen, die genau sich damit beschäftigen, jeden Tag.

Zwischen 2010 und 2020 gab es in Österreich 319 Frauenmorde und 458 Mordversuche an Frauen. Dieses Jahr gab es schon 28 Femizide. Österreich liegt da deutlich über dem Durchschnitt. Die Täter kommen aus allen sozialen Schichten und allen Nationalitäten. Im Buch schreibst du: Gemein ist ihnen im Prinzip nur ein extrem patriarchales Denken. Woher kommt das aus deiner Sicht?

Also was mich bei meiner Recherche am meisten erschreckt hat, war, wie normal Gewalt noch ist - sowohl verbal, aber auch körperlich. Also diese, wie man so sagt, gesunde Watschen. Das ist teilweise noch alltäglich und es ist egal, ob das das urbane Gebiet ist oder ob man da aufs Land raus schaut. Da fängt es einmal an. Dann sehen wir noch ganz viel toxische Männlichkeit, also wirklich Stärke und du musst cool sein und nicht über Gefühle reden und Unzulänglichkeiten bei der Krisenbewältigung also. Und daraus resultiert dann eben auch dieses patriarchale Denken, das sind teilweise noch Rollenbilder, die sind so traktiert, das ist wirklich erschreckend gewesen. Da liegt wirklich noch viel Bewusstseinsarbeit vor uns.

Welche Rolle spielt die Berichterstattung durch Medien über Femizide? Du kritisierst diese in deinem Buch.

Ja, da nehme ich mich selbst und meine Berufsgruppe auch in die Verantwortung. Wie wir Sachen bezeichnen ist eine wahnsinnige Entwicklungsfrage bei dem Thema. Wir haben das schon oft gehört, aber man muss es immer wieder betonen, weil es nicht aufhört, dieses Familiendrama und Beziehungstragödie und Eifersuchtsdrama. Es sind Morde und es sind die brutalsten Morde, die wir in Österreich haben. Das sind Hinrichtungen. Da werden Frauen mit 37 Messerstichen ermordet. Das sind Overkills, weil sie sie auslöschen wollen.

„Es sind die brutalsten Morde, die wir in Österreich haben. Das sind Hinrichtungen.“

Und das als Beziehungsdrama zu benennen, das ist es einfach nicht. Und das sind einfach strukturelle Probleme, die dahinterstehen. Das sind Geschlechterungerechtigkeiten, die sich in diesen Beziehungen zeigen. Weil natürlich spiegelt sich das wieder in den Beziehungen, die wir führen. Und solange Frauen in solchen Beziehungen bleiben oder bleiben müssen, weil da Abhängigkeiten sind, weil da Ängste sind etc., muss man das so benennen. Das ist nicht einfach ein Mord von Person A und Person B.

Wie steht es denn derzeit um die Zusammenarbeit mit der Polizei? Also werden Beamtinnen und Beamte sensibilisiert? Was wird da auf politischer Ebene getan? Du schreibst ja, das war alles schon mal besser.

Ja, das ist das, was mir zugetragen wurde im Rahmen der Recherche, dass die Zusammenarbeit besser war mit den Gewaltschutzorganisationen, dass sich dieser Apparat Polizei wieder ein bisschen mehr nach innen gekehrt habe und strikter geworden ist und weniger flexibel.

Ja, was das schon ist, was man natürlich wissen muss: Die Geschichten, die nicht funktionieren, die kommen natürlich immer in die Medien. Aber ich weiß auch, es gibt wahnsinnig viele sehr engagierte Beamte und Beamtinnen, die wahnsinnig frustriert sind deshalb, weil viel eben auch nicht funktioniert.

Das ganze Interview mit Yvonne Widler gibt es auch im FM4 Interviewpodcast.

Was sicher nicht schaden würde, wenn mehr Frauen bei der Polizei arbeiten würden als Ansprechpersonen für betroffene Frauen. Weil es einen riesigen Unterschied macht, ob ich einem, auch wieder sehr patriarchal wirkenden, Polizeibeamten bei einem Wegweisungsmoment meine, vielleicht sexualisierte, Gewalterfahrung schildere. Ja, das ist einfach zum Beispiel einer dieser Punkte. Sie versuchen es eh, aber es kommt halt auch schon immer wieder zu Situationen, wo Frauen sich nicht ernst genommen fühlen. Und das spiegelt sich auch in der Zahl der Anzeigen wider, die dann schlussendlich nicht zu Ermittlungsverfahren führen. Es gibt Probleme bei der Beweisaufnahme oft - zum Beispiel Stichwort psychische Gewalt. Also ja, da gibt es auch Aufholbedarf.

Gewaltprävention kämpft im Moment hauptsächlich gegen die Symptome. Wie sähe denn wirkliche Prävention aus? Was muss sich strukturell verändern, um weitere Femizide zu vermeiden?

Veränderung muss sich auf unterschiedlichen Ebenen abspielen. Einerseits ganz oben auf der Gesellschaftsebene, diese schon angesprochene Bewusstseinsveränderung, die muss aber auch von der Politik angestoßen werden. Da muss viel mehr, tiefer Diskurs in die Gesellschaft hinein, in die Schulen, in die bei den jungen Kindern ansetzen.

Der 25.11. ist Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Der Gedenk- und Aktionstag wird jährlich zur Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt jeder Form gegenüber Frauen und Mädchen – und als weiblich wahrgenommene Personen - abgehalten. FM4 widmet sich den ganzen Tag lang diesem Thema als Schwerpunkt.

Aber auch Kampagnen für die jetzt schon Älteren, vor allem Männer und auch Frauen. Dann gibt es mittelfristige Maßnahmen, die eben zum Beispiel Präventionsberatungen sind, Maßnahmen bei Opferschutzgruppen, Beratungseinrichtungen und dann natürlich die kurzfristigen Maßnahmen, wo es um den Schutz der Frau geht. Wo oft kritisiert wird, dass eine Frau nach einer Wegweisung jetzt ziemlich alleingelassen ist zum Beispiel. Das ist wieder eine Ressourcenfrage, weil man kann natürlich nicht jede Frau 24 Stunden Schutz bieten, nachdem der Mann weggewiesen wurde. Aber wie gesagt, man muss das Rad nicht neu erfinden. Es gibt Länder, wo Maßnahmen funktionieren, da kann man hinschauen. Prinzipiell glaube ich, braucht es ein gutes, gesamtes, breitflächiges Gewaltschutzkonzept für Österreich und das sehe ich nicht.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

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