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W.E.B. Du Bois

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Ist „Die Liebeslieder von W.E.B. du Bois“ die nächste Great American Novel?

11 Jahre hat die Poetin und Autorin Honorée Fanonne Jeffers an ihrem Debütroman gearbeitet. Zuerst sollte es nur ein kurzer Coming-Of-Age Roman werden. Aber „Die Liebeslieder von W.E.B. du Bois“ ist mit seinen knapp 1.000 Seiten ein richtiges Epos geworden. Darin nimmt uns die Autorin mit durch 400 Jahre nordamerikanische Geschichte – erzählt durch die Augen von Schwarzen Frauen.

Von Diana Köhler

Ailey Pearl Garfield ist direkt, frech, schlau, sie schimpft herum, sagt, was ihr durch den Kopf geht. Mit ihr sollte man sich nicht anlegen. Sie lebt im Süden der USA mit ihrer Familie in der Stadt, jeden Sommer aber verbringt sie im fiktiven „Chicasetta“ im südlichen Bundesstaat Georgia. Dort lebt ihre Familie seit Jahrhunderten. Wir begleiten Ailey von ihrer Kindheit bis ans College über dreißig Jahre lang. Erleben ihre Kämpfe, ihre Siege, Verzweiflung und auch Traumata.

„Du weißt genau was ich meine, du gottverdammtes Chauvinistenschwein! – ‚Sister Garfield, bitte werden sie nicht ausfällig‘ – die Stimme der Professorin klang heiter.“

Aber Ailey ist nicht alleine. Ihre Person nimmt die Autorin Honorée Fanonne Jeffers als Ausgangspunkt, um die Geschichte ihrer Familie und Vorfahren zu erzählen. So springen wir hin und her zwischen verschiedenen Handlungssträngen. Wie auch Fanonne Jeffers selbst, hat Protagonistin Ailey multi-ethnische Vorfahren. Darunter weiße Sklav*innenhalter, Native Americans und Menschen die aus Afrika verschleppt wurden. Sie alle kommen im Buch zu Wort und haben Ailey Pearl Garfield im Heute geprägt.

Buchcover "Liebeslieder des WEB Du Bois"

Piper Verlag

Erschienen ist „Die Liebeslieder von W.E.B. du Bois auf Deutsch beim PIPER-Verlag. Aus dem Englischen übersetzt haben es Maria Hummitzsch und Gesine Schröder.

Das Erbe von W.E.B. du Bois

Und über allem schwebt wie ein Geist oder vielleicht sogar Schutzheiliger William Edward Burghardt du Bois. Vor jedem großen Kapitel ist ein Zitat von ihm, das die Stimmung der folgenden Seiten angibt und die Geschichte auf eine Art leitet. Nicht nur haben einige der Figuren in der Geschichte Berührungspunkte mit WEB du Bois. So zum Beispiel Uncle Root, Aileys geliebter Onkel, der auf Familienfeiern gerne erzählt, wie er den „Großen W.E.B. du Bois“ selbst getroffen hat. Der Roman erzählt anhand einer Familie das, wofür und wogegen W.E.B. du Bois sein ganzes Leben gekämpft hat.

W.E.B. du Bois war einer der größten afroamerikanischen Intellektuellen des 19. und 20. Jahrhunderts. Mit seinen Büchern, Essays und politischem Aktivismus hat er gegen die Rassentrennung in den USA gekämpft, er gilt als Begründer der modernen Bürgerrechtsbewegung. Er war Mitbegründer der National Association for the Advancement of Colored People, N.A.A.C.P., bekennender Sozialist und trat noch mit 93 Jahren in die Kommunistische Partei der USA ein.

Besonders auf das Konzept des „Double Consciousness“ von du Bois geht die Autorin ein. Du Bois schreibt: „One ever feels his two-ness, – an American, a Negro; two souls, two thoughts, two unreconciled strivings; two warring ideals in one dark body, whose dogged strength alone keeps it from being torn asunder” (Du Bois, The Souls of Black Folk, S. 2).

Ailey bewegt sich in weißen aber auch Schwarzen Räumen, an ihrer Figur erkennt man die inneren Konflikte die Schwarze, unterdrückte Menschen in einer von Rassismus geprägten Gesellschaft austragen müssen.

Poesie wie Gebet

„Poetry is like prayer to me“ sagt Honorée Fanonne Jeffers in einem Interview mit dem Fernsehsender CBS. Bekannt war die Autorin bis jetzt als Lyrikerin, und dies merkt man beim Lesen. Honorée Fanonne Jeffers Sprache ist poetisch und nicht überladen, elegant manövriert sie uns Leser*innen durch die Geschichte.

„Wir sind die Erde, das Land. Die Zunge, die spricht und die stolpert über die Namen der Toten, wenn sie sich herantraut an die Ahnen einer Frau und an ihre Geschichten. An ihre Vorfahren, ihren Boden, ihre Bäume, ihr Wasser.“

Autorin Honoree Fanonne Jeffers

Sydney A. Foster / Piper Verlag

Autorin Honorée Fanonne Jeffers

Die Fülle an verschiedenen Handlungssträngen kann überfordernd sein. Oft verliert man den Überblick. Wenn das passiert, muss man sich dem Buch auch einfach etwas ergeben und sich von der Geschichte führen lassen. Zum Glück gibt es das Glossar und die wichtigsten Personen hinten im Buch nochmal zusammengefasst.

Die „Great American Novel“

Aileys Geschichte und die ihrer Familie erklärt eindrucksvoll die Geschichte der heutigen USA. Es macht die Schwarze Geschichte, Kultur und Erfahrung greifbar und ist vielleicht sogar die nächste „Great American Novel“, sagen Literaturkenner*innen. Als Great American Novel werden in der US-amerikanischen Literaturwissenschaft Werke bezeichnet, die zeigen, was die USA in ihrem Wesen ausmacht. Zwar ist die Bezeichnung nicht unumstritten, da sie das Konstrukt der Nation zu sehr romantisieren würde und die Aufgabe, den einen amerikanischen Roman zu schreiben, sowieso zu groß sei. Trotzdem steht der Begriff für eine gesellschaftliche Meta-Erzählung und den Versuch, eine Identität zu finden. Und diese Erzählung kommt mit „Die Liebeslieder von W.E.B. du Bois" von einer Schwarzen Frau aus dem Süden der USA.

Honorée Fanonne Jeffers wollte, dass sich Schwarze Menschen im Buch wiederfinden, das Spektrum von Schwarzer Identität darstellen. Die Autorin selbst bezeichnet Die Liebeslieder von W.E.B. du Bois als „Black Feminist Novel”. Und was für eine.

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