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Mit Akzent

Blackouts sind nicht immer romantisch

Abendessen mit Kerzenlicht verbinden wir oft mit romantischen Erinnerungen. Liebesgefühlen, Heiratsanträgen oder Jubiläen. Menschen aus dem ehemaligen „Ostblock“ kriegen aber nicht nur romantische Gefühle, wenn sie daran denken.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Ich war ein kleines Kind, aber ich kann mich immer noch erinnern, als in meinem Geburtsland Bulgarien Strom „rationiert“ wurde. Zuerst war es so: eine Stunde mit Strom, dann eine Stunde ohne. Dann war es zwei Stunden mit und zwei Stunden ohne.

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Und so wuchsen die Stunden ohne Strom. Man erzählt, dass diese Blackouts zu technischen Innovationen geführt haben – zum Beispiel wurden in Bulgarien damals die 16-Bit-Computer statt der 8-Bit-Computer eingeführt, weil die zwei Mal schneller rechnen konnten. Die alten Computer hatten ihre Rechnungen zwischen zwei Stromblackouts nicht durchführen können.

Für mich war das aber immer noch ein romantisches Erlebnis. Unsere Familie sammelte sich im Kerzenlicht, unsere Gesichter sahen so aus, als ob wir zu einer geheimen Gesellschaft gehören würden. Eigentlich habe ich es kaum erwarten können, bis die Lichter aus waren. Wir saßen nah beieinander und unsere Eltern sprachen von einer hellen Zukunft, wo der Strom nie mehr aus sein würde.

Bulgarien hatte schon damals ein Atomkraftwerk und genug Strom für alle, aber die Regierung verkaufte lieber den Strom ins Ausland und ließ seine Bürger im Kerzenlicht sitzen.

Vielleicht haben die Menschen aus der Ukraine auch solche Erinnerungen aus den 1990-er Jahren, wahrscheinlich haben sie gehofft, dass sich diese Zeiten nicht wiederholen. Der verbrecherische Krieg hat ihnen diese Hoffnung geraubt. In den letzten Monaten greift Russland die Strom- und Wasserversorgung der Ukraine an und lässt die Menschen im Winter ohne Strom und Wasser ausharren. Ich sehe im Fernsehen Bilder von Menschen mit winddichten Laternen auf der Straße, als ob sie in der Zeit von Taras Schewtschenko und nicht im 21. Jahrhundert leben.

Die russische Propaganda nutzt die Katastrophe in der Ukraine, um Angst in ganz Europa zu verbreiten. Vielleicht habt ihr schon gehört, dass uns ein europaweiter Blackout vor Weihnachten erwarte. Ich habe im Internet ein Video gesehen, wo einer den Zuschauern riet, Spaghetti und Reis zu horten. Da stellt sich die Frage: Wenn es keinen Strom gibt, wie soll man die Spaghetti und den Reis kochen?

Liebe Hörerinnen und Hörer, denkt an die Menschen in der Ukraine und zündet Kerzen nur aus romantischen Anlässen an.

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