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Filmstills White Noise

WILSON WEBB/NETFLIX © 2022

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„White Noise“: Chaotisches Ringen mit der Todesangst

Regisseur Noah Baumbach verfilmt in „White Noise“ den gleichnamigen und als unverfilmbar geltenden Roman Don DeLillos aus den 80ern. In dem komplexen Drama kämpft ein Ehepaar gegen den Alltag und die eigene Todesangst. Die Satire verhandelt dabei gleich ein ganzes Sammelsurium an Themen, verstrickt sich dabei aber.

Von Philipp Emberger

Was haben Adolf Hitler und der King of Rock’n’Roll Elivs Presley gemeinsam? Mehr als man auf den ersten Blick vermuten möchte. Zumindest, wenn es nach den beiden College-Professoren Jack Gladney (Adam Driver) und Murray Siskind (Don Cheadle) im Film „White Noise“ geht. Gladney ist Gründer des Fachbereichs für „Hitlerstudien“ und ein Campus-Superstar. Siskind ist Experte für popkulturelle Ikonen und möchte denselben Status wie Gladney noch erreichen. In einer choreografierten Szene philosophieren die beiden Professoren über die Gemeinsamkeiten von Hitler und Presley. Diese Szene steht exemplarisch für mehrere satirisch angelegte, überdrehte Momente in Noah Baumbachs neuestem Film.

FM4 Filmpodcast #162: „Glass Onion“ und „White Noise”

Das alte Filmjahr können Christian Fuchs und Pia Reiser noch nicht ganz zu den Akten legen: Im Dezember sind da ja noch zwei Filme gestartet, die definitiv ein Gespräch verdient haben: Noah Baumbachs „White Noise“ mit Adam Driver und Greta Gerwig und Rian Johnsons „Glass Onion“.

Während bei Baumbach die Figuren mit der Unausweichlichkeit des Todes zu kämpfen haben, fragt sich Rian Johnsons Meisterdetektiv, wer der Mörder ist. Gemeinsam haben beide Filme nur, dass ihnen in Österreich kein Kinostart vergönnt war – und dass sie sehr sehenswert sind.

Am Montag, 16.1.2023, um Mitternacht auf Radio FM4 und überall, wo’s Podcasts gibt.

Die Inhaltsangabe für den Streifen ist keine einfache Aufgabe. Im Fokus steht die Familie Gladney mit den Eltern Jack und Babette (Greta Gerwig). Adam Driver spielt den intellektuellen Vorstadtdad, samt dazugehörigem dad body, den er sich laut Interviews durch übermäßigen Bierkonsum angesoffen hat. Es ist die mittlerweile fünfte Zusammenarbeit von Driver und Regisseur Baumbach. Greta Gerwig, die hier wieder mit Ehemann Baumbach zusammenarbeitet, liefert in ihrer Rolle als Mutter mit Hang zu Psychopharmaka ab. Im Haus der middle-class-Patchwork-Familie Gladney geht es laut und hektisch zu. Die vier aus verschiedenen Ehen stammenden Kinder beschweren sich, hinterfragen die Welt und wundern sich über die Gleichgültigkeit ihrer Eltern.

Eine giftige Wolke zieht auf

Ihren deutlich wacher geratenen Kindern mit ihren 80er-Gedenkoutfits (Sonnenschilde!) hat das Ehepaar wenig entgegenzusetzen. Viel lieber beschäftigen sich Jack und Babette ohnehin mit ihrer eigenen Endlichkeit und der Angst vor dem Tod. So geht es in ihren Gesprächen meist darum, wer von den beiden früher sterben wird. Die Konfrontation mit dem Tod ist dann auch das zentrale Element des Films.

Filmstills White Noise

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Ein Chemieunfall lässt eine dunkle Wolke über das Laben der Gladneys aufziehen

Was man bei all der Todesangst natürlich gar nicht brauchen kann, ist eine todesbringende, giftige Chemiewolke. Genau die zieht aber auf, als ein LKW einen Zug mit Gefahrengut rammt und ein „toxic airborne event“ auslöst. An dieser Stelle wandelt sich „White Noise“ abermals und wird zum Katastrophen- und Survivalfilm.

Neuland für Baumbach

„White Noise“ beruht auf dem gleichnamigen Roman von Don DeLillo von 1985. Aufgrund seiner Komplexität galt der Stoff lange als unverfilmbar. Das bestätigt Regisseur Baumbach über weite Teile leider. Er quetscht sämtliche Ebenen und Dimensionen der Vorlage in den Film. Die Themen aus dem Roman der 80er wären zum Großteil auch heute noch aktuell. Da geht es um Umweltzerstörung, amerikanisches Vorstadtleben und ausuferndes Konsumverhalten. Am Ende ist die Satire aber mit Allegorien und Motiven aufgeladen und überladen und intellektuell überfordernd. Zu sehen sind an Gott zweifelnde Nonnen, Supermärkte als eskalierte Konsumtempel und natürlich die ständig schwelende Todesangst samt Psychopharma-Horror.

Filmstills White Noise

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Jack (Adam Driver), Babette (Greta Gerwig) und Murray (Don Cheadle)

Baumbach betritt mit dem Film Neuland. Zum ersten Mal verfilmte er einen bereits vorhandenen Stoff. Außerdem filmte er erstmals in seiner Karriere Actionszenen. Es kracht gewaltig. Dabei spielt Baumbach seine Stärken aber vor allem in den ruhigen Szenen aus. Immer wenn die Ehe der Gladneys mit ihren hingebungsvollen, streitbaren und von Kompromissen geprägten Momenten im Fokus steht, funktioniert das am besten. Diese werden im nächsten Moment aber gleich von einer weiteren eingezogenen Anspielung, einer weiteren übergroßen Metaebene an den Rand gedrängt. Das führt dann dazu, dass einem die Figuren mit ihren Themen bis zum Schluss etwas egal sind.

Über die eigene Selbstgefälligkeit stolpernd

Eines von Baumbachs Lieblingsthemen lässt er auch dieses Mal nicht aus: Die intellektuelle Elite, ihre eigene Selbstgefälligkeit und deren unzureichender Blick auf das Leben. Es ist aber genau jene intellektuelle Selbstgefälligkeit, in die der Film selbst reinkippt. Über „White Noise“ werden sich Filmfans schrecklich schön streiten können. Langweilig, mühsam und selbstverliebt werden die einen sagen. Vielschichtig, mehrdimensional und messerscharf die Realität analysierend werden die anderen sagen. Die Vergleiche mit der Corona-Pandemie schreiben sich von alleine. Die Wahrheit, sie liegt wohl irgendwo in der Mitte.

Filmstills White Noise

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Adam Driver als Jack, Greta Gerwig als Babette, May Nivola als Steffie, Raffey Cassidy als Denise, Sam Nivola als Heinrich

Auf der Plus-Seite des Films stehen jedenfalls einzelne Szenen und Dialoge. Dazu gehört eine wunderbare Fluss-Durchquerungs-Szene in einem Kombi. Es bleibt aber bei einzelnen aufpoppenden Highlights. Die bizarren und fieberhaften Szenen wollen nicht recht zu einem Gesamtwerk zusammenkommen. So zieht es sich bis es zu einem weiteren Filmhighlight: Ein als Tanzszene angelegter Abspann, der mit dem ersten neuen Song von LCD Soundsystem seit fünf Jahren daherkommt. Bis dahin dauert es allerdings 137 quälende Minuten.

„White Noise“ ist ab 9. Dezember in ausgewählten Kinos zu sehen und ist ab 30. Dezember im Programm von Netflix.

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