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Albumcover SZA

Top Dawg Entertainment/RCA

SZA läutet den Sad Girl Winter ein

Mit ihrem Debütalbum „Ctrl“ hat SZA 2017 eine der wahrscheinlich ehrlichsten R’n’B-Platten der letzten Jahre veröffentlicht. Fünf Jahre später ist der Nachfolger „S.O.S“ draußen – und um es in SZAs Worten zu sagen: „I know you been more than lost without me“.

Von Melissa Erhardt

SZA hat den Sad Girl Winter eingeläutet: Schon wenige Stunden nach dem Release ihres zweiten Albums „SOS“ posten TikTok-User*innen Videos, in denen sie zu SZAs Songs angespannt in die Kamera starren, den Tränen entweder gefährlich nahe oder eh schon hemmungslos heulend, wie auch Lizzo hier.

Solána Rowe ist Spezialistin darin, die eigene Verletzlichkeit vor ihren Fans unmittelbar preiszugeben: das Begehren, das einem den Boden unter den Füßen wegreißen kann, die Selbstzweifel und die damit verbundene Eifersucht, wenn es um Beziehungen geht, die Kontrolle, die man nicht aufgeben will, es aber instinktiv tut, wenn man zu stark liebt. Davon handelte schon ihr Debüt „Ctrl“.

„I get so lonely, I forget what I’m worth / We get so lonely, we pretend that this works / I’m so ashamed of myself, think I need therapy”, so nur eine von vielen grandiosen Zeilen des Albums.

Who needs self-esteem anyway?

Auch auf ihrem zweiten Album kratzt die 33-jährige Musikerin aus Missouri an der zeitgenössischen Erwartungshaltung, dass wir als Frauen immer selbstbewusst sein sollen. Kein Platz für Selbstzweifel oder Fragilität, schon gar nicht, wenn es nach dem liberalen Powerfrauen-Feminismus geht, und erst recht nicht bei Schwarzen Frauen, denen durch das Narrativ der „Strong Black Women“ eine eigene Verletzlichkeit oft abgesprochen wird.

„It’s about being overly secure and insecure all in one. Both can exist”, postet SZA auf Instagram. Und so zeigt sie sich auf Songs wie „Conceited“ selbstsicher und bossy, nur um im nächsten Moment wieder alle Hüllen fallen zu lassen: „It’s so embarrassing / All of the love I seek living inside of me / I can’t see, I’m blind.“

Von Disneycore zu 808s

Ganze 23 Songs umfasst „SOS“, beim Hören wird es nie langweilig. SZA, die wir vor allem durch ihren mit HipHop- und Electronic-Elementen verzierten R’n’B kennengelernt haben, setzt das gewissermaßen auch auf „SOS“ fort. Sie switcht über langsamen R’n’B („Love Language“, „Snooze“, „Far“) zu vibrierenden 808s und Trap-Nummern, auf denen auch ihr Longtime-Kollaborateur Travis Scott seine eh schon bekannten Adlibs beisteuert („Low“).

Es gibt aber auch einige „Sonic Surprises“: „F2F“ zum Beispiel ist ein gitarrenschwerer Punk-Pop-Banger, der uns in die Camp-Rock- und Hannah-Montana-Zeit zurückschleudert. Disney-Core würden die einen sagen, White-Girl-Music die anderen. SZA steht es jedenfalls hervorragend.

Auf „Ghost in the Machine“ begibt sie sich wiederum mit der Hilfe von Phoebe Bridgers in Alt/Indie-Gefilde und sehnt sich nach Menschlichkeit: Keine Social-Media-Perfection, einfach nur „fuck, eat, sleep, love happy“.

Und apropos Soziale Medien: Die waren wohl mitverantwortlich dafür, dass es so lange gedauert hat, bis SZA ihr zweites Album veröffentlicht hat. Sie war mit den eigenen Erwartungen und dem Album so überfordert, das sie am liebsten gar nicht releast hätte, erzählt sie in diversen Interviews kurz vor der Veröffentlichung, sichtlich angespannt: „People are expecting so much from me and if it’s not what people expect then they attack you… It makes me never want to put out music again. It’s just a lot of pressure. I almost wish like no one ever heard of me before.”

Aus der Öffentlichkeit verschwinden, dem Druck entfliehen, einfach nur Mensch sein: Kein Wunder, dass sich SZA für das Albumcover, auf dem sie auf einem Sprungbrett sitzend mitten im offenen Meer zu sehen ist, von Princess Diana inspirieren hat lassen. Meeresrauschen und entferntes Möwengeschrei tauchen auch immer wieder an verschiedenen Stellen im Album auf.

Im Endeffekt sind wir natürlich mehr als froh, dass SZA sich von den Erwartungen nicht abschrecken hat lassen und nicht voreilig aus der Musikwelt geflohen ist. Mit „SOS“ ist ihr nämlich ein zweites großartiges Album gelungen, dass wieder einmal zeigt: Starke Gefühle schreiben die beste Musik.

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