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Irgendwas Historisches - Buchtipps für Weihnachten

Spannend, unterhaltsam und interessant verpackt: „The Story of Art without Men“, „Die Speise- und Wunderkammer der exzentrischen Küche“, „Das Zeitalter der roten Ameisen“, „Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois“, „Revolutions. Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten“.

von Zita Bereuter

Buchtipps für Leute, die sich nicht nur für Geschichten, sondern auch für Geschichte interessieren.

Katy Hessel: „The Story of Art without Men“

Katy Hessel: „The Story of Art without Men"

Piper

„The Story of Art without Men“ von Katy Hessel ist Übersetzt von Marlene Fleißig, Astrid Gravert, Gabriele Würdinger und Dr. Maria Zettner bei Piper erschienen.

“How Many Women Had One-Person Exhibitions At NYC Museums Last Year?” - Wie viele Künstlerinnen hatten letztes Jahr in New Yorker Museen Einzelausstellungen, fragten die GuerillaGirls, ein feministisches anonyomes Künstlerinnenkollektiv 1985. Die Antwort damals war: Guggenheim 0, Metropolitan 0, Whitney 0 und Museum of Modern Art 1.

Die Kunsthistorikerin, Kuratorin und Rundfunksprecherin Katy Hessel schreibt im Vorwort zu ihrem Buch, dass in der London National Gallery erstmals 2020 eine historische Künstlerin eine Einzelausstellung bekommen hat. Und dass die Royal Academy of Arts in London erst 2023 zum allerersten Mal in ihrem Hauptraum eine Einzelausstellung einer Frau widmen wird – Marina Abramovic. Und noch eine Zahl einer Studie aus 2019 – die besagt, „dass in den Sammlungen von 18 bedeutenden US-Kunstmuseen 87 Prozent der Werke von Männern stammen und 85 Prozent von weißen Künstlern.“

All das führte Katy Hessel zu ihrem Insta-projekt @thegreatwomenartists. Täglich postete sie eine Künstlerin – unbekannte oder renommierte – quer durch alle Genres. 2019 kam ihr Podcast dazu. „Ich möchte damit die Kunst vom Stigma des Elitismus befreien – Kunst ist für alle da, jeder kann an diesem Dialog teilhaben – und Künstlerinnen herausstellen, die in den Nachschlagewerken und Seminaren so oft fehlen. Es ist nicht so, dass ich glaube, Werke von Frauen seien von Natur aus ‚anders‘ als die von Männern – es geht eher darum, dass die Gesellschaft und ihre Meinungsmacher zu allen Zeiten einer Gruppe Priorität eingeräumt haben. Und ich fand, dass man das so nicht stehen lassen darf. Herausgekommen ist dieses Buch: The Story of Art without Men.“

Sie beginnt bei den Wegbereiterinnen, wie diese vom Studium ausgeschlossen waren und sich ihren Weg erkämpfen mussten. Sie erzählt von Moderner Kunst, von Nachkriegsfrauen, von der Inbesitznahme und davon, wie Kunstgeschichte weitergeschrieben wird. Von Renaissance über DADA zu Performances, von queerer Pionierarbeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu Schwarzer Kunst in den 1960ern und 1970ern. Von Malerei über Video zu Textilkunst.

Natürlich kommen auch Künstlerinnen mit Österreichbezug vor – von Angelika Kauffmann über Maria Lassnig zu VALIE EXPORT. Katy Hessel ist ein wichtiges Werk in der Kunstgeschichte gelungen.

Tobias Roth und Moritz Rauchhaus: „Die Speise- und Wunderkammer der exzentrischen Küche“

Die Speise- und Wunderkammer der exzentrischen Küche

Verlag das kulturelle Gedächtnis

„Die Speise- und Wunderkammer der exzentrischen Küche“, herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Tobias Roth und Moritz Rauchhaus ist im Verlag Das Kulturelle Gedächtnis erschienen.

Zugegeben, der Buchtitel klingt nicht besonders originell. Aber wie betitelt man ein Buch, das ein authentisches Fenster in die Vergangenheit der kulinarischen Welt ist?

Speisen, Kochbücher, Pläne, Illustrationen – all das bietet das Buch und ist wie eine riesige Wunderkammer voll mit Seltsamkeiten aus der Kulinarik. Von praktischen Fragen – wie man etwa dem Papst im 15. Jahrhundert im Jänner oder Februar Erdbeeren auftischen konnte - über Erfindungen wie die erste elektrische Küche oder fantasievolle Kunsttische für bessere Kommunikation beim Essen, zu Rezepten wie einem Fuchslungenmus (von 1566), zu göttlichem Nektar (von 1521) oder einem Risotto von Guiseppe Verdi (1869). Aber auch Rezepte für den Körper – Welpenwasser für die schöne Haut (von 1682) oder Nostradamus’ Rezept für Zahnpasta (von 1555 – dafür braucht man allerdings u.a. weißen Marmor und Tintenfischknochen).

Manches hat überdauert, anderes hat sich verändert. Ketchup etwa. Keiner weiß, wo der Begriff herkommt, erklärt Tobias Roth im Interview. „Der taucht plötzlich im 17. Jahrhundert auf, und am Anfang geht es hauptsächlich um Pilze. Es ist eine Pilzsoße, die für die Seefahrt propagiert wird. Das hält sich ewig und ist einfach eine salzige, würzige Soße, die zu jedem Essen auch irgendwie dazu passt und auch den drögesten Getreidebrei irgendwie aufgepeppt. Und das bleibt es dann quasi bis ins 19. Jahrhundert und erst im Laufe des 20. tritt dann die Tomate in diese Geschichte mit ein. Man merkt, die Funktion ist noch ähnlich, Ketchup passt zu allem und nichts, steht immer im Kühlschrank und ist immer so ein bisschen unanständig, aber peppt auch alles auf, was zu langweilig ist.“

Man kann also Fremdes im Vertrauten Entdecken und umgekehrt. Bereichert ist das mit vielen Beispielen aus der Literatur. Von Walter Benjamin zu Christa Wolf. Und Besonders schön das Ende des Buches – eine Satire von Horaz ca 35. vor Christus. Der Gastgeber erklärt bei jedem Gang detailliert, woher die einzelnen Zutaten kommen und wie alles gekocht wurde. Das ewige Gequatsche hat bereits damals unglaublich genervt ...

Tanya Pyankova: „Das Zeitalter der roten Ameisen“

Tanya Pyankova: „Das Zeitalter der roten Ameisen“

Ecco Verlag

"Das Zeitalter der roten Ameisen von Tanya Pyankova ist in einer Übersetzung aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten im Ecco Verlag erschienen.

Ukraine, Winter 1932. Die Kommunistische Partei hat die ukrainischen Bauern von ihren Feldern vertrieben. Die Landwirtschaft ist zwangskollektiviert. Seit zwei Jahren gehen die Ernteerträge in der Ukraine massiv zurück. Der sowjetische Staatsapparat fordert trotzdem unerreichbar hohe Abgabequoten. Nachdem diese aber nicht erfüllt werden, beschlagnahmt er auch die letzten Nahrungsmittel der Bauern. Die ukrainische Bevölkerung hungert.

Hier setzt die ukrainische Autorin Tanya Pyankova mit ihrem Roman „Das Zeitalter der roten Ameisen“ an. Sie erzählt die Geschichte dreier Figuren, die die Zeit der Hungersnot sehr unterschiedlich erleben. Etwa die Tochter einer Bauernfamilie, die sich fast zu Tode hungert. “Am Anfang bringe ich es nicht über mich, Schuhsohlen zu essen, dann ergebe ich mich. Mein Geist lehnt sich nicht mehr auf, hat sich abgefunden. Der Hunger löscht alles Menschliche in mir aus. Ich ekel mich vor nichts mehr.“ Der Holodomor („Tötung durch Hunger“)zählt zu einer der größten humanitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Mehr als 10% der damaligen ukrainischen Bevölkerung sind zwischen 1931 und 1933 verhungert. Ganze Dörfer wurden ausgerottet. Viele Ukrainerinnen können bis heute nicht über das Geschehene sprechen, erzählt Tanja Pankower im Interview.

Sie selbst ist aus dem Westen der Ukraine. Mit ihrem Roman will sie auf gewisse Weise auch zu einem breiteren Geschichtsverständnis beitragen. Im Nachwort schreibt sie: Der Genozid, den Russland am ukrainischen Volk verübt, dauert an, damals war es Stalin, der den Freiheitswillen der Ukrainer:innen zerstören wollte. Heute ist es Putin. Hart und durchaus explizit.

Honorée Fanonne Jeffers: „Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois“

Buchcover "Liebeslieder des WEB Du Bois"

Piper Verlag

„Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois“ von Honorée Fanonne Jeffers ist übersetzt von Maria Hummitzsch und Gesine Schröder im Piper Verlag erschienen.

Ein sperriger Titel für einen guten historischen Roman. Nicht irgendeinen – er soll die Great American Novel neu schreiben – also ein Werk, das die USA in ihrem Wesen zeigt. Noch dazu aus Schwarzer und weiblicher Sicht. Ein hoher Anspruch.

Die Lyrikerin Honorée Fanonne Jeffers hat zehn Jahre daran geschrieben und ist mit ihrem Debütroman der neue Star der Afroamerikanischen Literatur. Sie erzählt nicht nur die Geschichte einer jungen Schwarzen Frau, sondern die der Schwarzen in Amerika. Und zwar anhand des schwarzen Mädchens Ailey Pearl Garfield. Die wächst in den 60ern und 70ern im Norden der USA auf – Mittelstand, zwei Schwestern. Die Sommerferien verbringt sie bei ihrer Großmutter im südlichen Bundesstaat Georgia. Seit Jahrhunderten lebt die Familie dort. Es gibt zwar keine Sklaven mehr, wohl aber noch Rassissmus. Die Familiengeschichte interessiert Ailey, sind in ihren Vorfahren doch sowohl Schwarze, Indigene wie Weiße zu finden.

Über all dem schwebt der Titelgebende William Edward Burghardt du Bois, einer der größten afroamerikanischen Intellektuellen des 19. und 20. Jahrhunderts. Mit seinen Büchern, Essays und politischem Aktivismus hat er gegen die Rassentrennung in den USA gekämpft, er gilt als Begründer der modernen Bürgerrechtsbewegung. Vor allem schrieb er auch über das „doppelten Bewusstsein“. Dass man sich als Afroamerikaner:in immer auch im Blick der dominanten weißen Kultur wahrnimmt. Jedem der elf Kapitel ist ein Zitat von W.E.B. Du Bois vorgestellt. Viel Stoff. Guter Stoff.

Hannah Ross: „Revolutions. Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten“

Hannah Ross: „Revolutions. Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten“

Mairisch Verlag

„Revolutions. Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten“ von Hannah Ross ist in einer Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Beskos im Mairisch Verlag erschienen.

Man weiß ja gar nicht, wie dankbar man dem Fahrrad sein muss. „Soziologen in Großbritannien schreiben dem Fahrrad einen Rückgang genetischer Defekte im Zusammenhang mit Inzucht zu.“ Denn endlich erstreckte sich die Partner:innensuche auf weitere Distanzen.

Hannah Ross erzählt in „Revolutions. Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten“ von den Anfängen des Radfahrens. Wie sich das Gerät vom Laufrad zum Hochrad zum Rover Saftey entwickelte und wie das Rad dadurch auch erschwinglicher wurde und den Weg vom Adel zum Nicht-mehr-Fußvolk fand.

Sie erzählt von begeistert radelnden Männer und Frauen. Von Männern, die das dann doch nicht mehr so gut fanden, wenn die Frauen auch unterwegs sind. Und von Frauen, die wiederum dagegen ankämpften. Und so wurde das Fahrrad auch bald zu einem wichtigen Objekt im Feminismus.

Hannah Ross spannt den Bogen von den Suffragetten über radelnde Frauen im Widerstand gegen die Nazis, von der Fahrradbegeisterten Philosophin Simone De Beauvoir zu der britischen Amateur-Fahrerin Yewande Adesida, die meist die einzige Person of Color bei ihren Rennen ist. Sei erläutert die Entwicklung der Fahrradkleidung und berichtet von den ersten Frauenclubs ebenso wie von Projekten, wie PedalPower, in denen geflüchtete erwachsenen Frauen Radfahren lernen. Aber auch von den Black Girls Do Bike (BGDB) oder den Radfahrenden Frauen in Bamyian Afghanistan.

Dabei portraitiert sie Pionierinnen im Radsport und zeigt wegweisend in die Zukunft. Denn die Zeit des Fahrrads liegt mehr denn je vor uns. Erst recht für Frauen. (Mehr dazu)

Ein Zusatztipp von Boris Jordan:

Giulio Camagni: „Der Kaiser. Maximilian I.“

Giulio Camagni - "Der Kaiser"

bahoe books

„Der Kaiser. Maximilian I.“ von Giulio Camagni ist bei bahoe books erschienen.

Im Auftrag des Tiroler Landesmuseums hat der Künstler Giulio Camagni das Leben und Wirken des Habsburger Kaisers Maximilian l in Graphic Novel Form gegossen. Dieser Habsburger hatte Innsbruck zu seiner Residenzstadt gewählt und zu einiger – für Tiroler Verhältnisse unermesslicher - Pracht ausgebaut.

Wir erfahren von seiner Liebesheirat mit der früh verstorbenen Maria von Burgund, mit deren Mitgift, dem Herzogtum Burgund, der bis dato eher unwichtige Habsburger Spross in den hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England eingreifen und in diesem eine entscheidende Rolle spielen durfte. Wir erfahren von seinem zweifelhafen Bündnis mit den „Emporkömmlingen“ der frühbürgerlichen Familie Sforza aus Mailand, mit deren Hilfe er nach Rom ziehen wollte, um sich vom Papst zum deutschen Kaiser krönen zu lassen - und mit denen zusammen er sich in Kriegen mit Frankreich um die Hegemonie in Norditalien bemühte.

Als „Unterpfand“ diente die junge Bianca Maria Sforza, die Maximilian aus kabinettspolitischen Gründen zwar ehelichen, sie ansonsten aber, von ihrer Unfruchtbarkeit angeekelt, nahezu unberührt in seinem Schloss Ambras bei Innsbruck versauern lassen sollte.

Maximilian wird in mehrerer Hinsicht als eine Zwischen-Figur präsentiert, zwischen der persönlichen Loyalität der mittelalterlichen Adelsgeschlechter und der doppelzüngigen Kabinetts-Politik der Renaissance und des Barock, zwischen hoher Kunstsinnigkeit und unmenschlicher Grausamkeit. Zwischen alten Männerwerten wie Rittertreue und Tapferkeit und State-of-the-Art-Kriegstechnologie und modernen Public Relations.

Als „letzter Ritter und erster Kanonier“ steht diese Kaiserfigur am Ende des feudalen Mittelalters und am Anfang der Neuzeit, als gnadenloser dynastischer Machtpolitiker steht er am Anfang der Rolle seines Hauses, mit Hilfe von Heiratspolitik an die Spitze der europäischen Königshäuser aufzusteigen.

Seine Allianz mit der Augsburger Kaufmannsfamilie Fugger, die Maximilians kostspielige und oft schlecht geplante Feldzüge finanziert, steht am Beginn der engen Verstrickung von Hochadel und multinationalem Kapitalismus, die die blutige Geschichte von Kolonialzeit, Industrialisierung, Sklaverei und Ausbeutung bis zu den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts bestimmen sollte.

So ist diese in eleganten Aquarellbildern gehaltene Graphic Novel weit von einer Verklärung und Ikonisierung Maximilians entfernt. Anhand der Schicksale der Bäuerin Lena und ihres Kaiser-Bankerts Josef in einem kleinen Tiroler Bergdorf schildert Giulio Camagni, wie die rücksichtslose Kriegstreiberei und Machtgier Maximilians das Tiroler Volk in Armut und Hunger darben lässt.

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