FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Marlene Engelhorn

Lorena Sendic Silvera

„Eine Stimme pro Nase, nicht eine Stimme pro Euro“

Marlene Engelhorn wurde in eine sehr reiche Familie Österreichs hineingeboren und erbt demnächst ein großes Vermögen. Anders als die meisten Vertreter ihres Standes, möchte Sie dieses Vermögen gerecht besteuert haben. Im Interview mit Radio FM4 reflektiert sie über Transparenz, Geld und Gerechtigkeit.

Interview: Boris Jordan

Die von Marlene Engelhorn mitbegründete Initiative Taxmenow versammelt auch andere reiche Erben, die mit der derzeitigen Umverteilung und der Steuerpolitik nicht einverstanden sind. Nun hat sie ein Buch geschrieben, in dem sie offen über Geld, Macht, Gerechtigkeit und Transparenz reflektiert.

Radio FM4: In Ihrem Buch „Geld“ erzählen Sie gleich zu Beginn, was wir schon geahnt haben: dass man in besitzenden Kreisen nicht gern über Geld spricht. Warum ist das so?

Marlene Engelhorn: Die Tatsache, dass man über Geld nicht spricht, entspringt dem Problem mit der Macht. Geld, das nicht dafür da ist, Miete, Essen, Heizen und so weiter zu bezahlen, sondern das schlicht als Vermögen existiert, rein in seiner Potentialität, diese Art von Geld ist mit Macht verbunden, weil die Frage dann nur ist: Wo stecke ich diesen Einfluss hin? Und die Allerwenigsten wollen zeigen, worauf sie Einfluss nehmen, unabhängig davon, ob sie dabei legitimiert sind oder nicht. Macht wird aber dann am besten zum Bröckeln gebracht, vor allem illegitime Macht, wenn man sie transparent gestaltet. Wenn man darüber spricht, wem am Ende alles gehört, ist das eine andere Lage. Zum Beispiel: Die EU hatte ein Register, in dem waren alle Unternehmen und deren Eigentümer*innen gelistet. Diese Liste wurde jetzt offline genommen. Österreich war eines der ersten Länder, die sie sofort offline genommen haben. Das schadet der Transparenz und der Anti-Korruptions-Arbeit. So wurden in Wahrheit zehn Jahre Anti-Korruptions-Arbeit komplett in den Boden gestampft. Da sieht man, wie wichtig dieses Thema Transparenz ist.

Radio FM4: Ist es eine Form der Abgrenzung, dass man wie in einer Art Adelsvornehmheit nicht über Geld spricht, weil das etwas Parvenühaftes habe oder so?

Marlene Engelhorn: Ja, das hätten diese Menschen gern, dass es irgendwie etwas Nobles wäre, über Geld zu schweigen. Aber in Wahrheit ist es wirklich nur Verschleierung von Machtstrukturen - was einer der Grundpfeiler dafür ist, dass diese Machtstrukturen überhaupt greifen können. Wenn man mit viel Vermögen aufwächst, erkennt man, ob Menschen Vermögen haben oder nicht, an der Art und Weise, wie sie über Geld sprechen - beziehungsweise, ob. Also die Frage, zum Beispiel, wenn ich jemanden zu Hause besuche, wie viel dieser Mensch an Miete bezahlt, würde mir nie einfallen, weil das keine Frage ist, die ich mir je stellen muss. Aber ein Mensch, für den Geld tatsächlich ein Thema des Alltags ist, der regelmäßig schauen muss, was geht sich aus, was geht sich nicht aus, der regelmäßig den Kontostand überblickt, für den ist das eine relevante und normale Frage. Da kann man die Klassenzugehörigkeit schon aussieben, anhand dieser Art, über Geld zu sprechen.

Macht wird dann am besten zum Bröckeln gebracht, vor allem illegitime Macht, wenn man sie transparent gestaltet.

Radio FM4: Es gibt ja eine Art Grundideologie in unserer Marktwirtschaft, die besagt, dass Geld etwas ist, was man sich erarbeiten könne, wenn man sich nur anstrenge. Es werden auch dauernd Selfmade-Millionäre porträtiert und verehrt, es gibt so eine Art Mythos, dass man mit harter, ehrlicher Arbeit zu sehr viel Geld käme. Das entspricht nicht Ihren Erfahrungen, oder?

Marlene Engelhorn: Das entspricht auch nicht der Realität, unabhängig davon, welche Erfahrungen ich gemacht habe. Wenn es möglich wäre, einfach durch Arbeit reich zu werden - und das ist das, worauf Millionär*innen anspielen, nicht einfach nur ein Leben in Wohlstand, sondern ein Leben in wirklich großem Reichtum -, dann wären sehr viele Menschen Millionär*innen. In der Regel ist es so: Vermögen konzentriert sich bei den Vermögenden und wird in dieser Blase abgeschottet und vermehrt. Der Witz ist aber, es kommt ja nicht aus dem Nichts. Es muss abgesaugt werden, wo es sonst wäre, wenn es noch nicht in den Händen von Vermögenden ist. Das sind wichtige Zusammenhänge, die man sich anschauen muss, weil die Vermögen, die sich anhäufen bei den wenigen Vermögenden, die kommen von allen Anderen. Wir wirtschaften arbeitsteilig in dieser Gesellschaft, aber wir verteilen die Gewinne nicht fair und wir horten Vermögen bei einem Prozent der Bevölkerung. Aber wofür?

Radio FM4: Das heißt, diese Form des Geldes wird tatsächlich den Volkswirtschaften entzogen, da haben wir einfach keinen Zugang. Das Geld liegt irgendwo, und es heißt, es würde „arbeiten“, man kann es sich nicht holen.

Marlene Engelhorn: Man kann es sich schon holen, Das ist ja der Witz bei der Steuer, dass dabei das öffentliche Interesse, die öffentliche Infrastruktur gegen das privatwirtschaftliche Einzelinteresse von irgendwelchen Oligarchen überwiegt. Das muss zurück in die Volkswirtschaft fließen, es kommt aus der Volkswirtschaft. Geld arbeitet nicht, Menschen arbeiten, egal, wo es angelegt ist auf der Welt. Am Ende gibt es zwei Menschen, die einander gegenüberstehen: einerseits die Eigentümer*innen von Finanzprodukten oder von Unternehmen und andererseits Menschen, die arbeiten. Wie der Gewinn verteilt wird, das steht nicht in Stein gemeißelt für alle Zeit, dass das immer vor allem Richtung Vermögende gehen muss. Das ist kein Selbstläufer, nur weil wir es schon länger so hatten. Das kann man auch anders verteilen, und der Staat hat Zugriff. Deswegen gibt es diese Lobby des großen Geldes, die sich so gegen die Steuern wehrt, weil sie wissen, dass es legitimierter Zugriff und möglicher Zugriff ist, ein demokratisches Mittel zur Umverteilung darstellt.

Privilegien sind Vorrechte und per Definition Unrecht, weil das den Gleichheitsgrundsatz verletzt.

Radio FM4: Besteuerung ist wahrscheinlich - außer einer blutigen Revolution - die einzige Möglichkeit, diese Verteilungsgeschichte zu ändern. Wie käme man zu einer gerechten Steuer?

Marlene Engelhorn - Geld cover

Kremayr & Scheriau

„Geld“ von Marlene Engelhorn ist bei Kremayr Scheriau erschienen. (Mehr dazu)

Marlene Engelhorn: Durch einen demokratischen Prozess. Es braucht dringend Vermögenssteuern. Da gibt es verschiedene, die klassische Vermögenssteuer, aber auch die Erbschafts- und Schenkungssteuer, die uns in Österreich schmerzlich fehlt, eine progressive Kapitalertragsbesteuerung. Wenn man etwas als Einkommen behandelt, hat man es auch als Einkommen zu besteuern. Die Ausstattung von Steuerbehörden, diese ganze bürokratische Energie, die momentan da hineinfließt, Menschen hinterherzuschnüffeln, die berechtigterweise Transferleistungen beziehen, soll auf die Menschen gelenkt werden, die tatsächlich die Nutznießenden der Gesellschaft sind, aber nicht bereit zu teilen. Das sind die Vermögenden. Dort ist die Hängematte. Dafür brauchen die Steuerbehörden aber auch die Mittel, weil sonst passieren solche Sachen wie Cum-cum und Cum-ex. Das sind ja Finanzdinge, die unglaublich kompliziert sind und wahnsinnig schnell passieren. Wenn die Behörden nicht ausgestattet sind, wie sollen sie da hinterherarbeiten? Es gibt verschiedene Modelle für Steuerreformen. Die Gesellschaft ist in der Lage, ihr eigenes Steuermodell herzustellen. Dass das länger braucht, ist mir klar. Aber der demokratische Prozess ist der nachhaltige Prozess.

Radio FM4: Sehen Sie Parteien oder Interessensvertretungen, die das auf demokratischem Weg durchsetzen?

Marlene Engelhorn: Wichtiger ist die Zivilgesellschaft. Eine engagierte, staatsbürgerlich aktive Zivilgesellschaft, die sich dafür einsetzt, für mehr Gerechtigkeit. Das ist eine Aufgabe, die vor allem aus der Gesellschaft kommen wird und nicht unbedingt von einer Partei. Man sieht es in Umfragen: Zwei Drittel der Bevölkerung sind für eine Besteuerung von Vermögen. Hin zum Wie: Wie können wir das demokratisch, nachhaltig und umfassend gestalten? Es muss viel partizipativer gestaltet werden, als momentan der Fall ist.

Radio FM4: Es kommt oft das Argument: Wenn man die Leute mit Vermögen besteuert, dann hauen sie halt ab. Das Geld, das berühmte „scheue Reh“, wird dann auf irgendwelchen Cayman-Inseln gelagert. Es wäre schon mehr oder weniger weltweite Zusammenarbeit nötig, nicht?

Marlene Engelhorn: Naja, nein, es gibt keine weltweite Regierung. Steuerrecht kann man nur innerhalb eines Hoheitsgebietes, das einer Regierung unterstellt ist, durchsetzen. Ich kann nicht in Österreich Steuern für Frankreich beschließen. Gleichzeitig haben die USA gezeigt, dass es auch anders geht. Die haben es einfach beinhart an die Staatsbürgerschaft geknüpft und damit das Schweizer Bankgeheimnis geknackt. Also man kann es schon auch anders machen. Man muss die Privilegien rückbauen, die die Vermögenden haben. Privilegien sind Vorrechte und per Definition Unrecht, weil das den Gleichheitsgrundsatz verletzt. Natürlich braucht es eine internationale Zusammenarbeit zu diesem Thema, wie in allen anderen Bereichen auch. Das ändert aber nichts daran, dass wir dort anfangen müssen, wo wir es können, und das sind momentan nationalstaatliche Gebiete. Die USA haben es vorgemacht, was die Staatsbürgerschaft und Vermögen und Steuern angeht. Das Nächste: In Europa sind die allermeisten Steuersümpfe, nicht nur auf irgendwelchen Inseln. Österreich ist einer dieser Steuersümpfe.

Man zahlt seine Steuern, wenn man weiß: Der Sozialstaat hievt jedes Jahr eine Million Menschen über die Armutsgrenze.

Radio FM4: Sie selber wollen Ihr Geld besteuert haben. Da sagen natürlich viele Leute: Wenn sie ihr Geld loswerden will, dann kann sie ja Charity betreiben. Nun sind Sie aber ziemlich dagegen, dass man sich vom Wohlwollen von, etwa, Warren Buffet abhängig macht. Was tun Sie mit Ihrem Geld?

Marlene Engelhorn: Das ist ein schwieriges Thema, denn idealerweise würde es besteuert. Jetzt habe ich leider nicht die Hoffnung, dass unsere Regierung so schnell ein Rückgrat entwickelt in der Frage. Insofern habe ich dieses Dilemma. Ich will das Vermögen, das ich habe, rückverteilen und kann nicht Ewigkeiten warten, das hielte ich für eine sträfliche Vernachlässigung der Tatsache, dass wir jetzt handeln müssen. Wer beschäftigt sich mit diesen ganzen Themen, Wirtschaft, sozialen Themen, Klimawandel, Frauenrechte, mit all dem? Es gibt in Österreich das Momentum Institut, die sind unabhängig, die wollen sich auf Kleinstspenden aufbauen, so gut sie können, und haben dafür eine Kampagne losgetreten, wo sie mich eingeladen haben, mitzumachen. Da war ich sehr geehrt und mache gerne mit, denn ich finde diesen Ansatz so wichtig, dass ganz viele Menschen das mittragen, was da an Arbeit geleistet wird. Das finde ich fördernswert. Gleichzeitig hoffe ich, dass mir langfristig eine andere Rückverteilungsstrategie gelingen wird, als dass ich immer wieder herausfinden muss, ob es eine Organisation gibt, die einen unabhängigen, demokratischen Weg verfolgt -, weil das erst wieder eine Einflussnahme ist. Ich sehe das schon kritisch. Ich stehe hinter den Organisationen, denen ich die Unterstützung zusage, zu 100 Prozent, aber es ist halt besser, wenn das über die Steuern geregelt wird.

Radio FM4: Das heißt, Sie wollen die Macht, die mit Geldbesitz verbunden ist, nämlich Einfluss ausüben zu können, auch selber nicht, sie wollen sie nicht nur wem anderen wegnehmen.

Marlene Engelhorn: Sie steht mir nicht zu. Kein Mensch in einer Demokratie verdient Macht einfach nur, weil er oder sie in eine vermögende Familie geboren ist. Es widerspricht dem demokratischen Gedanken: Eine Stimme pro Nase, nicht eine Stimme pro Euro. Das ist aber momentan das politische Gewicht, das ich auf die Waage lege. Und langfristig gesehen ist es die Aufgabe der Öffentlichkeit, diese Gewichtung zu regulieren. Besteuerung ist jetzt nicht das sexy Mittel des Jahrhunderts, aber es ist das demokratischste, was man mit Geld machen kann. Man zahlt seine Steuern, wenn man weiß, der Sozialstaat hievt jedes Jahr eine Million Menschen über die Armutsgrenze. Das ist eine Wahnsinnsleistung. Kein Vermögender mit seiner Charity kann das hinkriegen.

mehr Buch:

Aktuell: