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Daniel Giménez Cacho dreht sich in der Wüste in seiner Hauptrolle in "Bardo - die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten"

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Alejandro G. Iñárritu ist mit „Bardo“ zurück in Mexiko

Nur er würde verstehen, was in seinem neuen Film „Bardo - Die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten“ vor sich gehe, behauptet Alejandro G. Iñárritu. Aber so kryptisch ist der neue Film des mexikanischen Hollywood-Regisseurs gar nicht.

Von Maria Motter

Beim Sex taucht plötzlich der Kopf eines Babys wie bei einer Geburt zwischen den Beinen seiner Frau auf, und in einer anderen Szene hört der Mann in der Hauptrolle die Nachricht, dass Amazon einen mexikanischen Bundesstaat kaufen will und die USA das begrüßen: Mit ein bisschen Aberwitz und viel mehr Steadicam-Festspielen zeigt Alejandro G. Iñárritu in „Bardo – Die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten“ die Gefühlswelt eines Mannes. Der ist einst Starjournalist beim Fernsehen gewesen, bis ihm die politische Einflussnahme zu viel wurde und er sich als unabhängiger Filmemacher profiliert hat. Doch die Haltung im Werk ist längst nicht mehr mit dem eigenen Leben im Einklang und bei der Einreise nach Mexiko wird ihm erklärt, dies sei nicht seine Heimat.

„Erlebe einen Geist in der Krise“ heißt es im Trailer zu „Bardo“. Regisseur Alejandro Iñárritu hat die Neugier auf seinen neuen Film mit der Aussage gedämpft, nur er würde wirklich verstehen, was in dem Film vor sich gehe.

Aber „Bardo - Die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten“ ist gar nicht kryptisch und auch keine Gedanken-Hochschaubahn wie der Filmtitel suggeriert - denn der Begriff „Bardo“ steht im Buddhismus für einen Zwischenzustand. Es ist ein Künstlerfilm, also vor allem mit einer Persönlichkeit beschäftigt. Autobiografisch mag Einiges sein: Wie seine Hauptfigur ist auch Iñárritu ein gefeierter Mann, der den USA den Rücken kehrt und sich wieder seinem Geburtsland Mexiko zuwendet.

Daniel Giménez Cacho in der Hauptrolle in "Bardo - Die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten"

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Daniel Giménez Cacho in der Hauptrolle als Silverio Gama in „Bardo - Die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten“.

Für „Bardo“ kehrte Iñárritu nach Mexiko zurück

Zwei Jahrzehnte lang hat der Regisseur Iñárritu in Hollywood gearbeitet. Wir verdanken ihm so aufwühlende Filme wie sein Debüt „Amores Perros“ und „21 Gramm“. Für seine letzten beiden Filme „Birdman“ und „The Revenant“ mit Leonardo DiCaprio gewann er zwei Oscars für beste Regie in Folge, unter anderem. „Bardo“ hat er komplett in Mexiko gefertigt.

Das historisch schwierige Verhältnis zwischen Mexiko und den USA schreibt sich im Leben der Hauptfigur fort. Die dreht einen Film über Widerstand gegen den spanischen Eroberer und den mexikanischen Unabhängigkeitskrieg. Szenen vom Set und Gespräche mit dem US-amerikanischen Botschafter fließen ineinander, die Überheblichkeit der Eroberer hat nicht abgenommen. Dass Journalismus vielfach zum Entertainment verkommt, wird festgestellt und die Kumpelei männlicher Konkurrenten ausgestellt. Es sind aktuell vielkommentierte Themen, auf die auch Iñárritu anspielt. „Bardo“ beschränkt sich dabei jedoch auf kurze Dialoge und wartet vor allem mit einer höchst sympathischen Familie auf.

So driftet man mit diesem Sad Dad durch den Alltag und transportiert Axolotls in der Stadtbahn. Die platschen dann auf den Boden, alles ist überschwemmt, auch das Zuhause, das aus der Vogelperspektive kein Dach hat und in der Wüste gebaut ist.

Vater und Tochter am Rand eines Infinity Pools in Mexiko im Film "Bardo - die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten"

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Ein Sad Dad mit lieber Familie.

Eine verträumte Sad Dad Geschichte

Alejandro Iñárritu hat mit „Bardo“ versucht, das zu zeigen, was sich im Kopf eines alternden Regisseurs abspielt. (Gespielte) Realität und Vorstellungskraft sind schön verwoben und das geht geschmeidig auf. Wobei sich Iñárritu durchaus auch einfachster Tricks der Filmschulbücher bedient. Ein Blick in den blauen Himmel trifft auf den Blick aus dem Flugzeug. Traumsequenzen und schließlich ein ziemlich zu erwartender Ausstieg aus dem ganzen Spiel um Erinnerung, Ängste, Vorstellung und Gegenwart gehören dazu.

Anders als der so eitle wie anstrengende „Aheds Knie“, doch nicht so symbolträchtig und schwarzhumorig lustig wie „Pig“ des iranischen Regisseurs Mani Haghighi ist „Bardo“ jedoch eindeutig ein Film für Fans von Iñárritu, die grundsätzlich an seinem Werk interessiert sind.

Ausgerechnet bei den Filmfestspielen von Venedig brachten Kritiker*innen im vergangenen September jedoch wenig Geduld und Verständnis für den selbstbezogenen Spielfilm auf. Angeblich gab es sogar Buhrufe nach Vorführungen. Der Filmemacher ortete rassistische Untertöne.

Die Stärke vergangener Werke erreicht „Bardo“ punktuell. Sehr berührend wird da etwa der Schmerz über den Tod eines Säuglings aus der Sicht des Kindsvaters thematisiert. Zweifel und Reue im Verhältnis zum später geborenen Sohn, viel Fröhlichkeit in der Beziehung zur erstgeborenen und großen Tochter ist da zu spüren. Die Filmfamilie ist so überzeugend, dass man sie für eine echte Familie gehalten habe, so der Gossip zu den Dreharbeiten. Am Punkt ist eine kurze Sequenz, in dem ein inhaftierter Drogenkartellboss dem Starjournalisten so richtig reinsagt, dass nicht er selbst das Problem sei, sondern vielmehr der Interviewer. Und wunderschön ist die Partyszene mit mexikanischer Liveband, in der die Hauptfigur für sich zu Bowies „Let’s Dance“ tanzt.

„Bardo“ bleibt bis zum etwas willkürlich geratenen Ende jedoch überraschend leichtfüßig. Für Netflix hat Iñárritu 20 Minuten von „Bardo“ gekürzt. Übrig geblieben sind insgesamt noch immer zweieinhalb Stunden Selbstreflexion – durchaus mit Schauwert. Doch „Bardo“ bleibt eine Übung in meditiativem Filmeschauen.

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