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Blumen

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Staub und Blumen

Frau D ist 97 Jahre alt und lebt im Altersheim. Frau D lächelt mich an, als ich sie frage, wo sie Silvester feiern wird.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

„Ich hoffe, nicht unter Blumen!“, antwortet sie und danach lacht sie mit voller Stimme. Sie ist sichtlich glücklich über den letzten Satz und freut sich wie ein kleines Mädchen, das gerade die Stöckelschuhe seiner Mutter angezogen hat. Nachdem sie sich beruhigt hat, erzählt sie mir, dass ihr Familiengeschäft eine Gärtnerei war. Ihre Eltern und ihre drei Mitarbeiter brachten Blumen zu den nobelsten Wiener Hotels. Sie zählt einige der Blumen mit ihren lateinischen Namen auf und ich strenge mich an, mir Namen wie Osteospermum oder Ranunculus zu merken.

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Sie schließt ihre Augen und in ihrem Kopf erklingt das Trommeln der mit Blumen gefüllten Pferdekutschen auf den harten Pflastersteine. „Es gab Hotelgäste, die ganze Kutschen mit Blumen bestellten. Das waren meistens Verliebte, die ihren Angebeteten imponieren wollten.“ Frau D macht eine kurze Pause. „Diese verliebten Männer und Frauen sind längst zu Staub geworden. Aber ein schöner Staub.“ Sie macht wieder eine Pause. „Dann nach dem Krieg nutzten wir unsere Orangerien, um Karotten und Tomaten zu züchten, Blumen wurden nicht gebraucht, da die Menschen Hunger hatten. Aber das ist auch vergangen.“

Ihr Familienbetrieb blühte dann richtig auf, als sie Aufträge von der Regierung bekamen. Man brauchte Blumen für offizielle Anlässe, Empfänge, Jubiläen und Staatsbegräbnisse. „Wenn sie Blumen bei uns bestellt haben, wussten wir sofort, wofür sie waren. Politiker sind so vorhersehbar, sie sind nicht wie die Verliebten. Liebe und Politik sind zwei gegensätzliche Pole.“ Ich versuche ihr zu sagen, dass Politiker auch Menschen sind, aber sie schaut mich erbarmungslos mit ihren farblosen Augen an. „Kein Politiker ist größer als sein Ego. Und diejenigen, die wirklich verliebt sind, haben kein Ego.“ Danach lacht sie wieder. „Und alle diese Politiker, die bei uns bestellt haben, sind trotz ihrer Egos auch zur Staub geworden.“

Ich frage, warum sie nicht unter Blumen auf das neue Jahr treffen will. „Mein Begräbnis kann noch ein bisschen warten!“, sagt sie, „und wer weiß, ob sie wissen, wie sie die Blumen richtig arrangieren." Ihr Lachen klingt durch das Zimmer, wo keine einzige Blume zu sehen ist.

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