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Acts to watch 2023

Hier sind sechs Musiker*innen, von denen wir 2023 gern noch mehr hören wollen, und auch werden: Von Hemlocke Springs bis Nia Archives.

Von Katharina Seidler

New Year, New Music: Sobald die Jahresrückblicke hinter uns liegen, stürzen wir uns mit vollem Elan in die Preview-Listen jener Künstlerinnen und Künstler, die uns im Jahr 2023 hoffentlich noch oft Ohrwürmer bescheren werden.

Hemlocke Springs

Tik-Tok-Fame, die Erste: Im Frühling letzten Jahres lud die Studentin Isimeme “Naomi” Udu aus Carolina „Gimme all your luv“ auf TikTok hoch, einen Song, den sie daheim geschrieben hatte, um sich vor einer schweren Prüfung ihres Bioinformatik-Studiums zu drücken. Wenige Stunden später zeigte ihr Telefon tausende Klicks, einen Kommentar von Grimes und mehrere Angebote von Produzenten und Aufnahmestudios an. Es war aber dann ihre zweite Single, „Girlfriend“, deren Vocals sie daheim unter der Decke aufgenommen hatte, „um ihren Bruder nicht aufzuwecken“, die Hemlocke Springs endgültig in die Höhen von 15 Millionen Spotify Klicks (von TikTok ganz zu schweigen) katapultierte.

„Girlfriend“ kombiniert die gemäßigt exaltierte Abgedrehtheit von Künstlerinnen wie Marina (Ex-And the Diamonds) oder Kate Bush mit der elektropoppigen Indie-Leichtigkeit von etwa Phoenix und führte endgültig dazu, dass Naomis Biotechnik-PhD derzeit auf Eis liegen muss. Das Debütalbum von Hemlocke Springs soll im April herauskommen, die nächste Single „Stranger Danger“ erscheint bereits am 13.1.2022. Selbstgewählte Genre-Kategorie: Awkward Black Girl Anthems.

Isabella Lovestory

Sie trägt die Liebe zwar im Namen, aber zuckrige Liebeslieder sucht man im Werk der honduranischen, in Kanada beheimateten Musikerin Isabella Lovestory vergeblich. Vielmehr verkündet sie auf ihrem Debütalbum selbstbewusst: "A mi me gusta el amor hardcore“, „ich steh auf Hardcore Liebe“, und das ist ausdrücklich erotisch gemeint.

Isabella Lovestory macht unerschrockenen, sexpositiven Reggaeton und Hyperpop. Neoperreo heißt diese club-orientierte Spielart von Reggaeton, die oft auch mit der queeren Clubszene assoziiert wird. Ein extrem partytauglicher, zwingender Sound, geprägt von Artists wie Tomasa del Real und Ms Nina, der seit einigen Jahren die weltweiten Clubs und Festivals erobert, und der mit Isabella Lovestory nun eine neue Protagonistin hat. Mura Masa hat sie zu einem Feature in seinem Track „Tonto“ eingeladen; mit dem Album „Amor Hardcore“ aus dem letzten Herbst gibt es aber auch bereits einen eigenen Longplayer der Musikerin und 2023 wird zweifellos noch einiges kommen (zum Beispiel ein Gig beim Primavera Sound Festival, to whom it may concern).

Nia Archives

Auf den Dancefloors der Clubs sind die Neunziger Jahre in Form von Drum’n’Bass und Jungle schon länger wieder zurück; nun überführt sie mit Nia Archives eine junge britische Produzentin auch in poppigere Gefilde. Aufgewachsen mit jamaikanischer Soundsystem-Kultur, die bei ihrer Familie zuhause hochgehalten wurde, und der Musik von Drum’n’Bass-Größen wie Goldie oder Roni Size, kombiniert Nia Archives die steppigen Beats des Hardcore Kontinuums mit ihrem entspannten, kühl-souligen Gesang, der ihre Tracks stellenweise beinahe schon in Indie-Songs verwandelt. Währenddessen setzt sie in den Lyrics aber oft auf ernste und politische Themen, etwa durch explizite Verweise auf die von Rassismus geprägte Geschichte Schwarzer Menschen in UK und in den USA. Mit ihrem Track „Baianá“ war Nia Archives kürzlich auf der #2 der FM4 Most Wanted Clubtracks des Jahres; bei den BBC Sounds of 2023 steht sie auf Platz 3.

Edna Million

Edna Million, one in a million: Derzeit noch ein absoluter Geheimtipp, darf man davon ausgehen, dass die markante Alt-Stimme der jungen Wienerin Edna Million schon bald ein immer größeres Publikum erreichen wird. Ihr dunkles Songwritertum mit brüchigen Folk-Einflüssen bezieht seine Inspiration von Acts wie Patti Smith und Tom Waits, aus dessen Song „Jockey Full of Bourbon“ sich Edna Million auch ihren Artist Namen ausgeborgt hat. Wo androgyne Stimm-Verwandte wie hierzulande Anna Wallner mit ihrer Familienband Wallners in Piano-Dream-Pop-Gefilden wandeln oder sich Haley Fohr aka Circuit des Yeux jenseits des Atlantiks in Richtung orchestralen Avantgarde-Pop neigt, bleibt Edna Million vorerst noch minimalistisch und betont eckig und kantig. Derzeit sieht man die 21-jährige Studentin vornehmlich in ihrer Studienstadt Berlin mit ihrer Gitarre auf Open Stages auftreten; für 2023 warten nach ihrer selbstbetitelten Debüt-EP, die im letzten November erschienen ist, bereits zahlreiche weitere Songs in der Schublade.

Special Interest

Eigentlich schon kein „Act to watch“ mehr, sondern bereits so hot right now: Das Quartett Special Interest aus New Orleans, Louisiana vereint die zwingende Mixtur aus Disco und (Post-)Punk, Pop und House, wie sie Acts wie LCD Soundsystem vor einigen Jahren perfektionierten, mit der explosiven Energie von Frontfrau Alli Logout sowie mit einer expliziten politischen Agenda. Mit dem glamourösen Disco-Punk ihres dritten Albums „Endure“ haben Special Interest im Herbst 2022 die weltweiten Musikmedien endgültig auf ihre Seite gezogen. Als sänge Beth Ditto im Art-Rock-Gewand von den Qualen des Black Panther-Aktivisten Herman Wallace („(Herman’s) House“), als sprudelte eine Portion Punk-Gitarren-Soda und Jungle-Breakbeats („Cherry Blue Intention“) in einem Bottich queer-feministischer Limonade.

Meryl Streek

FM4 Kollegin Alexandra Augustin hat Meryl Streek für uns aufgespürt und sein Album „796“ hier ausgiebig vorgestellt.

Er ist definitiv nicht gekommen, um uns mit seichten Witzchen zu unterhalten, auch wenn das Wortspiel im Künstlernamen es nahelegt. Vielmehr hat der irische Musiker und Spoken-Word-Punk Meryl Streek mit „796“ im November 2022 eines der wütendsten Alben des Jahres herausgebracht. Allein schon der Titel: Die Zahl 796 bezieht sich auf hunderte getötete Babys, die in einem katholischen Mutter-Kind-Heim im irischen Tuam gefunden wurden. Ein riesiger Skandal, der erst kürzlich aufgearbeitet wurde. Aber nicht nur mit der katholischen Kirche in Irland rechnet Meryl Streek in seiner Musik ab; es geht auch um zerrüttete, neoliberale Gesellschaftssysteme, um die Housing Crisis und Klassenunterschiede – der dazugehörige Song heißt wenig subtil überhaupt gleich „Death to the landlord“. Dabei erzählt er keineswegs nur von Irland, denn die gesellschaftlichen Bruchstellen werden in praktisch allen Ländern der Welt immer sichtbarer.

Zu seinen wütenden Lyrics lässt Meryl Streek metallische Punk-Basslines scheppern – definitiv keine Feelgood-Platte, aber einer der dringlichsten Appelle des letzten Jahres, nicht abzustumpfen, bei Unrecht nicht wegzusehen und gemeinsam mit aller Kraft an einer besseren Gesellschaft zu arbeiten.

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