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Copenhagen Cowboy

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Neo(n) Noir aus Dänemark: „Copenhagen Cowboy“

In seiner neuen Serie verfolgt der Regisseur Nicolas Winding Refn alte Obsessionen. Nur steht jetzt eine Frau im Mittelpunkt surrealer Thrilleraction.

Von Christian Fuchs

Stoisch, wortkarg, brutal, so sind sie alle, die Hauptcharaktere in den faszinierenden Filmen von Nicolas Winding Refn. Unberechenbare, gefährliche Figuren, mit denen sich der Regisseur, laut Eigenaussage, bestens identifiziert. Wobei Winding Refn in Persona wie ein nerdiger Intellektueller wirkt, der sich selbst gerne reden hört. Eine Art dänischer Quentin Tarantino, der sich ein eigenes Bubenreich voller grimmiger Einzelgänger geschaffen hat.

Mit dem poppigen wie blutigen Neo-Noir-Thriller „Drive“ ist Nicolas Winding Refn 2011 ein Konsensfilm gelungen. Mit seinen anderen Arbeiten sorgt der dänische Regisseur aber regelmäßig für Kontroversen. Nach dem umstrittenen Unterwelt-Drama „Only God Forgives“ spaltete der Hollywood-Schocker „The Neon Demon“ ebenso die Meinungen gespalten wie die surreal-brutale Serie „Too Old to Die Young“, die die Nerven des Produzenten Amazon strapazierte. „Copenhagen Cowboy“ ist nun auf Netflix erschienen.

Wie beim älteren Bruder im Geiste aus Kalifornien spielten Frauen lange Zeit keine große Rolle in den Filmen von Nicolas Winding Refn. „Bronson“, „Only God Forgives“, sogar der romantisch angehauchte „Drive“ feiern Figuren mit ausgeprägter (und giftiger) Maskulinität.

Seit „The Neon Demon“, erschienen 2016, ist das anders. Nicolas Winding Refn, stark geprägt von der Stärke seiner Mutter, seiner Ehefrau, seiner Tochter, wie er selbst betont, stellt jetzt Frauen in den Mittelpunkt seiner Neo(n)-Noir-Thriller. Winding Refns neue Serie „Copenhagen Cowboy“, gedreht in seiner Heimatstadt, zelebriert eine androgyne kühle Weiblichkeit, inmitten überhitzter, verrückter, gewalttätiger Männer.

Copenhagen Cowboy

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Odysee durch die Unterwelt

Dabei ist die junge Protagonistin Mia (Angela Bundalovic) im Grunde nur eine feminine Version der bisherigen Refn-Antihelden. Sie redet wenig, schaut intensiv in die Kamera, verstrahlt eine Aura des Gespenstischen in ihrem blauen Trainingsanzug. Das mysteriöse Waisenkind verfügt über übersinnliche Fähigkeiten, erzählt man sich in Kopenhagens Gangsterkreisen.

Eine Kette dramatischer Ereignisse lässt Mia auf eine Odysee durch die Unterwelt der dänischen Metropole aufbrechen. Schon bald vermischen sich nicht nur unzählige Sprachen auf der Tonspur, auch die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen, was an Winding Refn Werke wie „Valhalla Rising“ oder „The Neon Demon“ denken lässt.

Neben albanischen Frauenhändlern, der chinesischen Mafia und serbischen Kriminellen kommt auch ein dänischer Vampirclan ins Spiel. Erinnert die Stimmung anfangs noch an ein Krimidrama, mutiert „Copenhagen Cowboy“ zu einem martialischen Zeitlupen-Märchen. Marvel auf Valium, Michael Bay im Xanax-Coma, notiere ich mir beim Anschauen. Die atemberaubend stilisierten Bilder habe ich mir allerdings exakt so von Nicolas Winding Refn erwartet.

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Zitate wie in einem Fiebertraum

Wie sein geistesverwandter Kollege Tarantino ist Winding Refn eben auch eine Trademark. Das Kürzel NWR im knalligen Vorspann steht für ausgesprochen grelle Neonfarben, betont langsame Schnitte, dunkel pulsierende Electro-Soundtracks und heftige Härte an gezielten Stellen. Wer diesen Pop-Overkill nicht aushält, aber auch die gezielte Langsamkeit, wird frustriert abbrechen.

Dankbare Refn-Fans, zu denen auch der Schreiber dieser Zeilen zählt, begeistern sich dagegen an einer Art Best-of-Album des Regisseurs. Wo die rauhe Direkheit der „Pusher“ Trilogie auf die erstarrten Tableaus aus „Too Old To Die Young“ trifft, wo Zitate wie in einem Fiebertraum auftauchen (Bruce Lee! Dario Argento! Jean Rollin! Stanley Kubrick! Hannibal Lecter!) und David Lynch als visueller Übervater wohlwollend nickt.

Anders gesagt: Wer sich mit üblichen Serien-Dramaturgien langweilt, könnte „Copenhagen Cowboy“ eventuell als Geschenk empfinden.

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