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Mitglieder des Cártel de Jalisco in Militärmontur posieren mit schweren Waffen vor Panzern

Youtube Screenshot / Grupo REFORMA

Die Narco-Influencer auf TikTok

Während in Mexiko der Drogenkrieg eskaliert, machen Kartell-Mitglieder als Influencer Karriere. Sie nutzen TikTok, Instagram und Twitter, um Propaganda zu machen und um neue Sicarios und Sicarias zu rekrutieren.

Von Ali Cem Deniz

Unter dem Hashtag „Chapiza“ sind auf TikTok und anderen Plattformen tausende Videos zu finden, die Kämpfer und Kämpferinnen des Sinaloa-Kartells zeigen. In den Videos prahlen sie mit Sporttaschen voller Geld, vergoldeten Pistolen, Drogenpaketen, schweren Waffen und gepanzerten SUVs. Chapizas sind Kämpfer, die für die Chapo-Fraktion im Sinaloa Kartell arbeiten. Seit der Verhaftung von Joaquín Archivaldo Guzmán Loera alias El Chapo führen seine Söhne die Fraktion an. Mit Ovidio Guzmán Lopez haben jetzt die mexikanischen Sicherheitsbehörden auch einen dieser Söhne verhaften können – bei dem Einsatz kamen dutzende Menschen um.

Im Gegensatz zu seinem Vater, der einst mit Tunnels zwischen Mexiko und USA den Drogenschmuggel revolutioniert hat, ist Ovidio nicht als Logistik-Genie bekannt. Die Rolle, die er für das Kartell gespielt hat, war eher symbolischer Natur. Denn während sein Vater in einer Betonzelle in einem amerikanischen Hochsicherheitsgefängnis verharrt, bekam man von Ovidio bisher nur Bilder zu sehen, die seinen Reichtum zeigten.

Narco Lifestyle auf TikTok

Auf Social Media prahlen schon kleine Fußsoldaten und Soldatinnen mit Geldbündeln, Drogenpaketen und Maschinengewehren. Die sogenannten Sicarios und Sicarias werden schon meist als Teenager von Kartellen rekrutiert und sollen mit ihren Videos wiederum anderen Jugendlichen den Lebensstil schmackhaft machen. Für die Kartelle sind die Jugendlichen billiges Kanonenfutter. Mit großen Waffen und spärlicher Ausbildung ziehen sie für eine Handvoll Dollar in den Kampf gegen andere Kartelle und mexikanische Sicherheitsbehörden. Wenn sie dabei ihr Leben verlieren, werden sie einfach durch die nächsten ersetzt. Im mexikanischen Drogenkrieg sind seit 2006 über 300.000 Menschen ums Leben gekommen.

Damit sie nicht von anderen Kartellen oder Behörden identifiziert werden können, ersetzen ihre Gesichter durch Emojis. Statt ihren echten Namen verwenden sie Kämpfernamen. Untermalt werden die Videos häufig von Narcocorridos, Balladen, die das Leben von berühmten Schmugglern oder Ereignissen im Drogenkrieg besingen.

Das vielleicht weltweit berühmteste Narcocorrido ist übrigens einem fiktiven Drogenbaron gewidmet. Eine Folge in der zweiten Staffel von „Breaking Bad“ eröffnet mit einer Ballade der Band Los Cuates de Sinaloa, die in „Negro y Azul“ über den Aufstieg des Gringo-Bosses Heisenberg singen.

Propaganda im Drogenkrieg

Die Plattformen versuchen zwar die Verbreitung der Videos zu stoppen, indem sie bestimmte Hashtags wie z.B. #CJNG auf TikTok zu verbieten – CJNG steht Cártel de Jalisco Nueva Generación. Doch solche Hindernisse lassen sich leicht umgehen, und so erreichen die Videos ein Millionenpublikum. Die brutalsten Videos, die schon von der KI herausgefiltert werden, landen auf Plattformen wie Reddit und 4Chan, wo es kaum Content-Moderation gibt.

Die großen Kartelle nutzen Social Media auch, um Propaganda zu betreiben. Denn die Sicherung von Handelsrouten und wichtigen Umschlagsplätzen, den sogenannten „Plazas“, geht nicht nur mit brutaler Expansion. Die Kartelle versuchen auch, die Sympathien der lokalen Bevölkerungen zu gewinnen und inszenieren sich als Helfer und Beschützer einfacher Leute. Insbesondere zu Beginn der Lockdowns in den Mexiko verteilten die rivalisierenden Kartelle Essen und Spenden, um Einfluss bei der mittellosen Bevölkerung zu gewinnen.

Die Propaganda wird aber auch verwendet, um mit Folter und Enthauptungsvideos Gegner einzuschüchtern. Dass heute Kartelle auf jeder Social Media Plattform zu finden sind, ist kein Zufall. In vielerlei Hinsicht waren sie nämlich Pioniere und haben früh das Potenzial des Internets erkannt.

Virale Videos auf dem Schulhof

Als 2005 die Video-Plattform YouTube online geht und die ersten User Katzenvideos hochladen, kommt der mexikanisch-amerikanische Drogenboss Edgar Valdez Villarreal, bekannt als La Barbie, auf die Idee, seine Gegner vor laufenden Kameras zu töten und die Videos auf YouTube zu stellen. Zwar hatten vor ihm schon südamerikanische Kartelle ähnliche Videos aufgenommen, aber mithilfe des Internets verbreiten sich La Barbies Videos extrem schnell. KI-gesteuerte Content Filter, die automatisch solche Videos filtern oder flaggen, gibt es damals nicht.

La Barbie will mit den Videos Kontrahenten in seinem Revier einschüchtern, doch bald verbreiten sich die Filme weltweit und kommen bis in europäische Schulklassen, wo sich Jugendliche auf ihren ersten videofähigen Handys die brutalen Videos anschauen. Lange vor Social Media produzieren so Kartelle virale Videos.

Die Videos machen La Barbie bald berühmt und berüchtigt und sorgen für eine extreme Eskalation der Gewalt in Mexiko. Von da an versuchen die Kartelle, einander an Brutalität zu übertreffen und produzieren immer heftigere Videos. Während der Drogenkrieg immer mehr Tote fordert, beginnt sich der Mainstream immer mehr für die Narco-Kultur zu interessieren. Drei Jahre nach den ersten Gewaltvideos von La Barbie wird das bereits erwähnte „Breaking Bad“ zum Serienerfolg.

Narco sells

Auf „Breaking Bad“ folgen Filme wie der Thriller „Sicario“ vom Regisseur Denis Villeneuve. Telenovelas wie „La Reina del Sur“ bekommen amerikanische Remakes und „Narcos“ wird zu einer der erfolgreichsten Netflix-Produktionen. Letzteres erzählt unter anderem auch den Aufstieg von El Chapo. Inzwischen versuchen sogar ehemalige Drogenbosse, als Influencer Karriere zu machen. Auf TikTok und Instagram gibt etwa Sandra Ávila Beltrán, die in den 1990er Jahren für das Sinaloa-Kartell im großen Stil den Transport von Drogen aus Kolumbien in die USA organisierte, Make-Up-Tips und postet Weihnachtsgrüße.

Die Verhaftung von Ovidio Guzmán Lopez ist in erster Linie ein symbolischer Erfolg und ein Signal an die USA. Denn die mexikanische Regierung will das Land attraktiver für amerikanische Investitionen machen und demonstrieren, dass man das Kartellproblem, das seit Jahrzehnten das Land plagt, unter Kontrolle hat.

Auf den Social Media Plattformen spürt man davon aber nicht viel. Die Sicarios und Sicarias laden fleißig ihre Videos hoch und schwören Rache für die Verhaftung ihres Anführers.

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