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Professor für Klimapolitik an der Wiener Universität für Bodenkultur, Reinhard Steurer

APA/GEORG HOCHMUTH

Interview

Reinhard Steurer zu Klimaprotesten: „Im Moment führt kein Weg daran vorbei“

Klimaproteste haben diese Woche die Schlagzeilen geprägt, ob Straßenblockaden in Wien oder die Räumung des Protestcamps im deutschen Lüzerath. Reinhard Steurer, assoziierter Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur in Wien, hat sich mit den Aktivist*innen solidarisiert. Wir haben mit ihm über die aktuellen Proteste gesprochen.

Radio FM4: Die Aktivist*innen der Letzten Generation haben diese Woche jeden Tag Straßenblockaden in Wien durchgeführt. Die Blockaden waren dann allerdings immer recht schnell beendet. Ein Verkehrschaos ist auch großteils ausgeblieben. Wenn wir jetzt zu Beginn des Interviews ein Resümee dieser Blockaden ziehen, was haben die denn gebracht?

Reinhard Steurer: Ich denke, sie haben sehr viel mediale Aufmerksamkeit gebracht. Eine doch wieder neu angestoßene Diskussion dazu, dass die Klimapolitik in Österreich nicht ausreicht, ihre eigenen Ziele zu erreichen. Und das ist es, um was es geht. Also es geht nicht darum, jetzt konkret Tempo 100 zu erzwingen, obwohl das eine konkrete Forderung ist, sondern im Großen und Ganzen geht es darum, einen gesellschaftlichen Diskurs in Gang zu bringen, so dass eine Mehrheit entsteht, die besseren Klimaschutz will. Und das, glaube ich, hat die Woche doch in Gang setzen können.

Kritisiert werden die Aktionen der Letzten Generation unter anderem deshalb, weil sie unter anderem die Gesellschaft spalten würden. Würde Sie sagen, dass das eine faire Kritik ist?

Natürlich sind die Proteste unangenehm. Das ist keine Frage. Und dafür gibt es auch viel Verständnis von den Aktivist*innen und von Wissenschaftler*innen, die sie mittlerweile unterstützen. Aber ich fürchte, dass das Teil des Programms ist, dass es nur noch in einer irgendwie unangenehmen Form zu Veränderungen kommt, weil alles andere bisher schon probiert wurde und einfach nicht gereicht hat. Und das sieht man auch mit historischen Vergleichen, dass ziviler Widerstand einfach in der Mitte der Gesellschaft am meisten bewirken kann. Wenn Protestaktionen bei Ölfirmen oder vor Ministerien durchgeführt werden, dann stört das eigentlich niemand und die Medien interessiert es kaum. Deswegen werden Aktivistinnen gewissermaßen von der Medienlogik in solche Situationen getrieben, wo es eben dann störend ist. Das ist bedauerlich, aber den Preis müssen wir wohl zahlen.

Geschichte ist ja auch ein gutes Stichwort. Sie haben auf Twitter einen sehr interessanten Vergleich angestellt zwischen der Klimabewegung und der Bürgerrechtsbewegung in den USA in den 1960ern. Die Methoden sind ja damals auch von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt worden. Die sind als lästig empfunden worden. Jetzt, im Nachhinein sagt man aber, die Methoden hätten schließlich Erfolge gebracht. Können Sie das kurz ausführen, bzw. Müssen Protest einfach so aussehen, dass sie dann am Ende auch tatsächlich wirksam sind?

Genau solche Vergleiche zeigen eben, dass die Formen des zivilen Widerstands, mit denen man aktuell konfrontiert sind, immer unangenehm sind. Und im Nachhinein verherrlichen wir sie. Bei der Bürgerrechtsbewegung war es genauso, dass sie Straßen blockiert haben, Busse besetzt haben, die sind stehen geblieben. Die Polizei ist gekommen, hat die Schwarzen verhaftet, Pendler sind zu spät in die Arbeit gekommen und Umfragen haben gezeigt, dass eine große Mehrheit der Weißen - über 80% - der Meinung war, dass diese Proteste den Anliegen der Schwarzen schaden, also dass das kontraproduktiv ist. Die Parallele zur heutigen Zeit könnte nicht deutlicher sein, denn heute wissen wir, dass diese Proteste sehr wohl wirksam waren.

Nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland hat es diese Woche große Schlagzeilen in punkto Klimakrise gegeben. Im deutschen Ort Lützerath wird gerade ein Protestcamp geräumt, damit Braunkohle abgebaut werden kann. Ist diese Woche die Woche, von der wir im Rückblick mal sagen werden „ja, da hat sich was getan“?

Es ist sicher eine Woche, wo sich einiges getan hat, aber es wird nicht die entscheidende Woche sein. Wir bohren da sehr dicke Bretter und es wird noch bedauerlicherweise mehrere solche Wochen und Ereignisse brauchen. Für mich persönlich war es eine wichtige Woche, weil wir, ich und 40 andere Wissenschaftlerinnen, sich das erste Mal auf die Straße gestellt haben und zivilem Ungehorsam, zivilem Widerstand den Rücken gestärkt haben. Das hätte ich mir vor mehreren Jahren kaum träumen lassen und somit war das ein großer Schritt für mich, der hoffentlich auch etwas bewirken kann.

Es ist nicht alltäglich, dass Wissenschaftler*innen sich so direkt öffentlich politisch äußern – ist das ein schwerer Schritt gewesen?

Das war schwierig und es ist dem auch ein langer Nachdenkprozess vorausgegangen, weil einem natürlich klar ist, dass sehr viele, möglicherweise eine große Mehrheit der Bevölkerung das nicht versteht. Viele werden sich denken, jetzt spinnen die Wissenschaftler auch schon. Meine Hoffnung ist, dass mit diesem Schritt manche zumindest zum Nachdenken kommen. So nach dem Motto „Wenn die das jetzt schon machen, ist da vielleicht doch was dran“. Ob diese Hoffnung aufgeht, können wir nur ausprobieren und im Nachhinein bewerten. Das war auf jeden Fall eine wesentliche Motivation.

Ja, damit einhergegangen ist ja auch, dass sie diese Woche medial sehr präsent gewesen sind und auch mit Politikerinnen und Politikern diskutiert haben. Manche von denen sagen ja jetzt, dass sie die Klimakrise verstanden hätten. Die Bundesregierung zum Beispiel hat nach ihrer Klausur neue Punkte zur Klimapolitik präsentiert. Ich nenne da jetzt nur drei Beispiele: Die Umweltverträglichkeitsprüfungen sollen schneller abgewickelt werden. Es soll ein Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungs-Gesetz geben und die Biogas-Produktion soll ausgebaut werden. Was sagen Sie jetzt konkret zu diesen Schritten? Sind das die richtigen Schritte?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich derartig beschäftigt war mit meiner E-Mail-Inbox und all den Medienterminen, dass ich das nur am Rande mitbekommen habe. Ich habe mitbekommen, dass die Beschleunigung des UVP-Verfahrens schon seit mehr als einem halben Jahr ausverhandelt ist, dass das nicht wirklich was Neues ist, und dass die anderen beiden Dinge natürlich ein Schritt in die richtige Richtung sind. Die entscheidende Frage bei all dem ist aber: Ist die Beschleunigung dadurch so groß, dass wir dann auf Zielpfad kommen? Und da muss man natürlich sagen, das reicht immer noch nicht. Denn die großen Brocken bei den Emissionsreduktionen, die notwendig sind, liegen zum Beispiel im Verkehr. Und dazu habe ich keine neue Initiative gesehen. Also gut, in die richtige Richtung, aber bei weitem noch nicht genug für das, wo wir hinmüssen.

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