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Rebecca Giblin und Cory Doctorow auf einem Podium

twitter.com/rgibli

Kreative Arbeit im Würgegriff der digitalen Plattformen

In ihrem neuen Buch „Chokepoint Capitalism“ beschreiben Rebecca Giblin und Cory Doctorow, wie Amazon, Google, Spotify etc. Produzent*innen wie Konsument*innen sehr profitabel in Geiselhaft genommen haben. Sie beschreiben aber auch Strategien, wie sich das wieder ändern kann.

Von Stefan „Trishes“ Trischler

Das moderne Leben ist voller Widersprüche. Eigentlich ist den meisten von uns bewusst, dass das online bestellte Abendessen sowohl den Restaurants ihren Preis drückt als auch die Lieferanten ausbeutet - Profit macht dabei hauptsächlich die vermittelnde Plattform. Trotzdem hat diese Praxis in viele Leben Einzug gehalten, weil es eben sehr bequem ist. Wohl auch bei Menschen, die etwa Musik produzieren, Videoblogs machen oder Bücher schreiben, obwohl diese den Mechanismus eigentlich aus eigener schlechter Erfahrung kennen müssten. Denn auch an ihrer Arbeit verdient zuallererst eine große digitale Plattform. Deren Nutzungsbedingungen sind der gerechten Bezahlung künstlerischer Arbeit nicht zuträglich, aber es ist schwierig, sich ihnen zu entziehen. Denn oftmals gibt es wenige bis gar keine Alternativen - und auf den größten Plattformen nicht präsent zu sein und so Publikum zu verlieren, können sich viele Kreative schlicht nicht leisten.

Chokepoint Capitalism Cover, Untertitel "How Big Tech and Big Content Captured Creative Labor Markets and How We'll Win Them Back"

Beacon Press

Wie es dazu kommen konnte, skizzieren Rebecca Giblin und Cory Doctorow in ihrem Buch Chokepoint Capitalism. Rebecca unterrichtet an der Melbourne Law School und publiziert zu den Themen Urheberrecht und Schöpfer*innenrechte (was, wie wir lernen, leider nicht dasselbe ist). Cory ist Netzaktivist, Blogger und Science-Fiction-Autor. Gemeinsam haben sie gute Einblicke in die Materie, eigene Erfahrungen mit den Plattformen und auch eine Art aktionistischen Humor. So wird ein Extra-Kapitel über die vielen Probleme mit der von Amazon betriebenen Hörbuchplattform Audible dort als exklusives Audiobook angeboten.

Der ehemalige Buchhändler mit dem großen A hat in „Chokepoint Capitalism“ eine der bösen Hauptrollen, weil er nicht nur unabhängige Autor*innen, sondern auch die weltgrößten Verlage mit übergroßer Marktmacht und ohne Skrupel immer weiter auspresst. Auch das Publikum wird mittels Urheberrecht und dem sogenannten DRM (Digital Rights Management) eingemauert, denn: Will man den Anbieter für E-Books oder Hörbücher wechseln, ist die bisher angehäufte digitale Bibliothek futsch. Jede Anleitung, diesen vermeintlichen Kopierschutz zu umgehen (eben auch in solchen legitimen Fällen) gilt als Verbrechen.

Ähnliches hat ehemals Microsoft versucht, als es die Kompatibilität seines „Office“-Paketes zu Apple absichtlich mühsam gestaltet hat. Apple hat die viel verwendeten Dateiformate damals mit eigener Software rekonstruiert, was dem schnellen Wachstum zur großen digitalen Lifestyle-Marke sicher dienlich war. Mittlerweile ist das digitale Ökosystem, wo alles gut zusammenarbeitet und sich im Hintergrund synchronisiert (mitunter auch mehr als gewünscht, wie Thomas Schmid jetzt weiß!), eines der Argumente pro Mac-Computer und iPhones. Das erhöht aber auch die sogenannten Umstiegskosten, falls man doch auf ein anderes System wechseln wollen sollte.

Diese sind für viele digitale Quasi-Monopolisten sehr wichtig. Die User werden ab einem gewissen Punkt nicht mehr mit dem besten Service gehalten, sondern weil es zu mühsam wäre, woandershin zu wechseln. Der einzige Grund, etwa sein Facebook-Konto 2023 noch nicht gelöscht zu haben, sind die Freund*innen und Bekannten, mit denen man sonst schwieriger Kontakt halten könnte.

Apple hat dieser Mechanismus dabei geholfen, mit seinen Geräten eine so starke Marktposition zu erreichen und seine 30-prozentige Kommission auf alle Erlöse in seinem Store aufrechtzuerhalten. Bis auf die Fortnite-Macher Epic Games kann sich kaum jemand leisten, dagegen rechtlich vorzugehen - und selbst für den Games-Giganten ist der Ausgang des langwierigen Verfahrens unklar. So bleiben wir in einem antikompetitiven Schwungrad gefangen, wie es Giblin und Doctorow so treffend nennen. Denn die größere Marktmacht macht es auf verschiedenen Ebenen umso schwieriger, dass neue Dienste mit besseren Bedingungen eine kritische Größe erreichen.

Dabei haben die großen Tech-Konzerne auch Komplizen, wie die größten Verlage oder die Major Labels. Universal und Co. ließen sich von Spotify im Gegenzug für ihre Kataloge auch Aktienbeteiligungen geben. Das hat zu der eigentlich absurden Situation geführt, dass die großen Plattenfirmen bei den Verhandlungen über mehr Geld für ihre Künstler*innen auf der Bremse standen, weil ihnen ein höherer Aktienkurs von Spotify mehr Profite versprochen hat. Der ausverhandelte, niedrige Tarif galt dann aber für alle. Und auch die EU-Kommission hat mit ihrer Datenschutzrichtlinie unabsichtlich zur Marktkonzentration beigetragen, weil es für neue Start-ups schwieriger ist, die damit verbundenen Zusatzkosten zu stemmen, während etwa Google die natürlich aus der Portokassa zahlt.

Dabei setzt das Autoren-Duo bei der Bewältigung dieser Probleme stark auf die Politik. Denn durch mündige Konsumentscheidungen allein kann Big Tech nicht in die Schranken gewiesen werden. Es braucht stärkeres Wettbewerbsrecht, damit etwa der Booking-Riese Live Nation nicht die größte Plattforum Ticketmaster aufkaufen und damit Bands, Locations und Konsument*innen gleichermaßen unter Druck setzen kann. Auf technischer Seite wäre der gesetzliche Zwang zur Interoperabilität ein wichtiger Schritt. Wenn ich meine digitalen Bücher, Playlisten oder Dienste leichter von einer Plattform zur anderen transferieren kann, müssen diese sich um bessere Bedingungen für alle bemühen.

Ein erfolgreicher Kulturstreik wird auch in diesem Podcast beschrieben: Ab 1942 weigerten sich Musiker* innen in Amerika, neue Songs aufzunehmen, um etwa Radio-Tantiemen zu erzwingen.

Schließlich würde mehr Transparenz bei den Abrechnungen den Kreativen helfen zu erkennen, ob sie noch fair entlohnt werden. Wenn der durchaus übliche Fall eintritt, dass dem nicht so ist, braucht es gemeinsame Aktionen. Dafür bräuchten die digitalen Kulturschaffenden aber auch Interessensvertretungen und Gewerkschaften, wie Giblin und Doctorow anhand der Writers Guild of America ausführen. Die hat für ihre Drehbücher schreibenden Mitglieder mit zwei Streiks bessere Bedingungen erreichen können.

Wie der „Nadelöhr-Kapitalismus“ entstehen konnte und sich in vielen Kreativbranchen (aber nicht nur dort) als Quasi-Standard festgesetzt hat, liest sich in Chokepoint Capitalism sehr faszinierend. Aber es sind natürlich die Lösungansätze im zweiten Teil des Buches, die noch wichtiger scheinen. Denn auch wenn es aktuell nicht so aussehen mag, kann sich die kreative Arbeit aus dem Würgegriff der großen Internetplattformen wieder befreien - wenn die Politik, die Konsument*innen und die Schöpfer*innen nur zusammenarbeiten.

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