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Juli Zeh und Simon Urban vor einem Stall, Kühe stehen im Freien hinter einem Zaun.

Peter von Felbert

Da Genderstern, dort Schweinepest

Juli Zeh hat einen neuen Roman geschrieben, aber diesmal ist einiges anders: „Zwischen Welten“ ist ein moderner Briefroman, den Juli Zeh gemeinsam mit dem Autorenkollegen Simon Urban verfasst hat. Die eigentliche Geschichte versteckt sich dabei lange zwischen den Zeilen.

Von Maria Motter

„Da draußen ist ein Monster“, lautet eine Warnung in „Zwischen Welten“ von Juli Zeh und Simon Urban. Im Roman fliegen die WhatsApp-Nachrichten und E-Mails ein erzähltes Dreivierteljahr zwischen den Hauptfiguren hin und her: Theresa und Stefan hatten in der Studienzeit eine WG, bis Theresa plötzlich weg war. Zufällig begegnen sie einander wieder, und sie erklären sich und ihre Welt – die ersten 250 langen Seiten. „Zwischen Welten“ ist ein moderner Briefroman zu dem Zustand der Gesellschaft, den der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen die große Gereiztheit nennt.

Die eigentliche Geschichte steckt lang zwischen den Zeilen. Die weibliche Hauptfigur in „Zwischen Welten“ kämpft ums Überleben als Milchbäuerin.

Juli Zeh und Simon Urban stehen neben einem Baum im Wald und schauen einander an.

Peter von Felbert

Simon Urban und Juli Zeh haben „Zwischen Welten“ zusammen geschrieben.

Juli Zeh und Simon Urban führen den digitalen Jahrmarkt der Eitelkeiten und Befindlichkeiten vor. Für die Schreibarbeit wurden sie „quasi ein Schreibgehirn, einer hat gesprochen, einer getippt“, sagte Juli Zeh der Neuen Zürcher Zeitung. Sie haben sich die Erzählstimmen also nicht aufgeteilt.

Die männliche Hauptfigur in „Zwischenwelten“ ist schon zu Beginn unsicher. „Sprichst du überhaupt noch mit mir“, textet der Kulturjournalist Stefan an Theresa. Dass sie damals in der WG nie Sex hatten, bedauert der Single Stefan noch immer und zunehmend offen. Theresa hat den Hof ihres Vaters mit 200 Kühen in Brandenburg übernommen, der genossenschaftlich organisiert ist. Sie ist Mutter von zwei Buben und verheiratet mit einem sehr schönen Mann, wie sie versichert. Aber bald diktiert sie sogar am Mähdrescher E-Mails an Stefan und teilt frühmorgens ihre Sorgen und Vorhaben mit ihm. Ein totes Wildschwein an einem Maitag kündigt die Tragödie in „Zwischen Welten“ an. Doch diesen frühen Hinweis kann man leicht überlesen.

Juli Zeh und Simon Urban wollen mit ihrem Roman „Zwischen Welten“ zeigen, wie Kommunikationsverwerfungen entstehen. Das ist wegen der eingeschränkten Erzählperspektive in einem Briefroman teils sportlich angestrengt, und es ist auch anstrengend, weil die Hauptfiguren sich einen Schlagabtausch nach dem anderen zu bekannten Anlässen aktueller Themen liefern – von der Diskussion über Dreadlocks bis zur Zuschreibung als Putin-Versteher.

Ein Schwan ist auf dem Buchcover von "Zwischen Welten" von Juli Zeh und Simon Urban

Luchterhand

„Zwischen Welten“ von Juli Zeh und Simon Urban ist bei Luchterhand erschienen.

Im letzten Drittel rast die Geschichte in Katastrophen

Als Leser*in könnte man jede Position für sich abwägen, doch eigentlich hat man auf eine spannende Geschichte gehofft. Kühe sind schlecht fürs Klima und Kinder sollte man heutzutage keine bekommen, erklärt der Kulturjournalist in privaten Nachrichten und plaudert aus dem Redaktionsalltag. Mehrmals rät Theresa ihm, einen sicheren Messengerdienst zu verwenden. Und die Milchbäuerin rätselt absichtlich, wie denn der Nacktschneck richtig zu gendern wäre.

Irgendwann erzählt die Tochter eines benachbarten Bauern Theresa von der Gruppe „Green Redemption“. Stefan ist skeptisch, was „Green Redemption“ angeht, aber „gerade extrem busy“. Er arbeitet an einer Spezialausgabe zum Thema Klima. Dazu lädt er junge Aktivist*innen in die Redaktion, sieht schon die Journalistenpreisverleihungen vor sich und stößt auf starken Gegenwind seines Chefredakteurs und langjährigen Mentors.

Die Diskussion, was Journalismus heute prägt und was Journalismus können sollte, wird immer wieder angerissen in „Zwischen Welten“. Noch alarmierender und massiv berührend sind allerdings die Passagen zu mittelständischen bäuerlichen Betrieben.

Im letzten Drittel rast die Geschichte auf private Katastrophen voll politischer Sprengkraft zu. Digitales Anprangern setzt sich in realen Taten fort, private Kommunikation wird öffentlich und die Erzählfäden werden zusammengezogen. Der dritte Teil ist gar furchtbar erschütternd in der Gegenwart zuhause. „Zwischen Welten“ ist ein Buch, nach dem man sich von Social Media abmelden will.

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